Jan Joswig kontrolliert: Blood Orange in der Stilkritik


Native Tongue des R&B: Die Outfits von Dev Hynes von Blood Orange stecken voller Bedeutung - und sind nur auf den ersten Blick unauffällig.

Der Natürlichkeitstrend bespült die R&B-Gestade. Kein Blingbling, kein Neon, stattdessen eine Holzkette mit Afrika-Amulett. Diese Kette entspricht dem Karohemd und Vollbart der weißen Indie-Musik. Zurück zu den Wurzeln, das Ishedale babaawa der Stammeskrieger oder das Yeehaw der Cowboys. Musikalisch baut Dev Hynes als Blood Orange an glamouröser Prince-Laszivität weiter, aber sein Outfit positioniert sich gegen Dekadenz und Künstlichkeit. Damit setzt er konsequent seine Aufarbeitung des intellektuellen Strangs im HipHop Ende der 80er Jahre fort. In früheren Saisons favorisierte Dev Hynes eine runde Nickelbrille, wie man sie nur von strebsamen Mauerblümchen und der Cold-Chillin Posse kennt. HipHop-Produzent und Wunderkind des James-Brown-Samples Marley Marl gründete 1986 das Label Cold Chillin für Ghetto-Rapper mit Bibliotheksausweis. Der Intelligent (sic!) Hoodlum und Kool G Rap & DJ Polo zeigten sich auf ihren Plattencovern mit den Nasenfahrrädern der Bücherwürmer.

Mit der Afrikaholzkette und den Kraut-und-Rüben-Dreads empfiehlt sich Dev Hynes als Ehrenmitglied einer Bewegung, die noch viel deutlicher für Vergeistigung und Spiritualität (und für Humor statt Aggressionsstau) im HipHop einstand. Die „Native Tongues“ konterten den gängigen Look von Goldkette, Trainingsanzug und gemeißelter Blockfrisur mit Afrikaketten, folkloristischen Stoffen und Wuschel-Dreads. Ihren nostalgisch-natürlichen Afrozentrismus trugen sie im Namen vor sich her: Jungle Brothers, A Tribe Called Quest, Brand Nubians.

Auch Dev Hynes sparte sich den Songwriter-tauglichen Natürlichkeitslook auf Spiritualitätspfaden für sein Blood-Orange-Projekt auf, mit dem er Maschinen-Soul à la Prince und Jam & Lewis spielt. Einfache Zeichen raus senden – und sie widersprüchlich zusammenknallen lassen, auf diese Pop-Strategie versteht sich Dev Hynes perfekt. Dass er als Blood Orange eine schwere Lederjacke wie ein Macho-Rocker trägt, sie aber lasziv über die bloßen Schultern hinabgleiten lässt wie die Lollobrigida ihre Stola, wäre eine weitere Kontroverse dieses auf den ersten Blick unauffälligen Outfits, das voll von verknoteten Bedeutungsfäden steckt.

Jan Joswigs Stilkolumne ist auch in der Dezember-Ausgabe des Musikexpress erschienen.