Jan Joswig kontrolliert: Jan Delay – Der Kiez schaukelt im Raubtiermuster


Wenn der Rock‘n‘Roll an seine Ränder gerät, kommen die Wildkatzen ins Spiel. Ein letztes Aufbegehren im modischen Zoo.

Kaffeeklatschende Omas und rebellierende Jugendliche teilen sich ihre ästhetischen Vorlieben: für gefärbte Haare und für Raubtiermuster. Wird es stotternd psychotisch wie im Psychobilly: Raubtiermuster (Sparky Phillips/Demented Are Go). Wird es dekadent manieriert wie im Glamrock: Raubtiermuster (Brian Eno/Roxy Music). Wird es aggressiv nihilistisch wie im Punk: Raubtiermuster (Johnny Thunders/Heartbreakers). Wenn das Leben an seinen Rand gerät, wenn im allerletzten Frühling der müde Saft in den welken Stängeln final aufzuschäumen versucht, heißt es auch bei den alten Damen: Raubtiermuster (Brigitte Mira/Drei Alte Schachteln). So staffieren sich all jene aus, die aus der Mitte der Gesellschaft gedrängt werden – bis die Kiezkneipe das letzte gemeinsame Auslaufgehege bietet.

Der Genre-Hopper Jan Delay hat mit HAMMER & MICHEL die niederschwelligste Platte seiner Karriere eingespielt. Lokalsentimentaler Fischbrötchen- Pubrock mit domestizierten AC/DC-Riffs, die auch noch bei zwei Promille keine Fragen aufwerfen. Jan Delay stemmt die heroische (und sehr erwachsene) Aufgabe, niemanden auszuschließen, weder Rentner noch Rowdies. Er spielt nicht für eine bestimmte Generation oder eine bestimmte Szene. Er spielt für einen bestimmten Ort: die Hamburger Eckkneipentheke, an der die große Verbrüderung der Randgestalten steigt.

Mit HAMMER & MICHEL ist Jan Delay endgültig der Hamburger Jung’ vom Kiez für den Kiez, ein Volksmusiker wie Udo Lindenberg oder BAP. Er schlägt Wurzeln im Lokalen. Dazu bedarf es eines entsprechenden Looks. Dexys Midnight Runners (deren Albumtitel SEARCHING FOR THE YOUNG SOUL REBELS sich Jan Delay für sein erstes Solo-Album SEARCHING FOR THE JAN SOUL REBELS auslieh) kleideten sich passend zu ihrer Wandlung zu den Celtic Soul Brothers als irische Auswanderer des 19. Jahrhunderts. Jan Delay ist ebenso konsequent und demonstriert seine Verbundenheit zu St. Pauli auf dem Cover und in seinen Outfits zu HAMMER & MICHEL mit dem einzigen Kleidungselement, das den großen Schulterschluss aller Kiez-Akteure – von Kaffee-Oma bis Astra-Halbstarkem – versinnbildlicht: das Raubtiermuster. Dass sich musikalisch unter dem Muster keine Wildkatze, sondern nur ein Meerschweinchen verbirgt, ändert nichts an den geilen Outfits.

Diese Kolumne ist in der Juli-Ausgabe des Musikexpress erschienen – ab 10. Juni 2014 erhältlich.