Jenseits von Wolfjang


Wo Wolfjang und Wim nicht sind, da ist das Gluck. Eine sehr persönliches Statement zum Thema Pop von Wiglaf Droste.

Es war ein gutes Jahr. Die Gurkenköpfe rückten noch näher zusammen, damit man sie alle auf einen Streich erledigen kann. Der kölsche Dauerlautsprecher Wolfjang Niedecken, der als singender Kriegsdienstverweigerer begann und sich mittlerweile anhört wie der Pressesprecher Rudolf Scharpings mit Gitarrenbegleitung, ließ sich von Wim Wenders abfilmen, dem Tränentier des deutschen Films. Niedecken gefiel sich in verwesten Rock-Gesten und feierte sich als „liberalen, demokratischen Musiker“- er weiß eben nicht, daß man im Leben Kompromisse machen darf, niemals aber in der Kunst. Einer der besten Sätze des Jahres stammt von Hartmut Engler, dem Sänger der akustischen Todesstrafe Pur: „Mein Vorbild ist Wolfgang Niedecken.“ Das gönnt man dem BAPisten von Herzen – wie auch den Sprung des Niedecken-Abfilmers Wenders nach Düsseldorf. Wenders drehte ein Video für die Toten Hosen und erklärte, Chefbrüllo Campino wegen seiner „physischen Präsenz“ auch als Schauspieler benutzen zu wollen. Die geistige Präsenz sieht so aus: Von MAX mit dem Titel „König von Deutschland“ behängt, einer Ausreichung, die außer ihm auch Patrick Lindner und die Frisöre Gerhard Meir und Udo Walz erhielten, schleimte sich Campino bei Papi Staat ein: .Joschka Fischer dürfte Außenminister bleiben. Aber nur, wenn du endlich wieder Turnschuhe trägst, Joschka!“ Den „Tatbestand der Ruhestörung“ wollte der Dummduzer Campino „aus dem Gesetz entfernen“ – er möchte halt, daß sein Sondermüll weiter Menschen quält, die, im Gegensatz zu ihm, einen Kopf mit zwei Ohren haben und nicht nur ein Gestell fürs naßforsche Grinsen. Das Schicksal aber war nicht ungnädig: Campino wurde zum Kollateralschaden seiner eigenen Bundeswehrmusik. Ohne Stimmband trat Campino schon immer auf – ohne Kreuzband aber wollte er nicht und sagte eine Tournee ab. Diese Lärmschutzmaßnahme fand leider keine Nachahmer. Bono, ein weiterer Freund von Brillenwenders, ließ erneut seinen Weltrettungsrockismus von der Leine. Das einzig Musikalische allerdings, das sich Bono nachsagen läßt, ist seine Verehrung für Johnny Cash. Hier liegt der irische Stadionpfaffe einmal nicht falsch. Im September 1995 sah ich Johnny Cash live, im Tempodrom in Berlin, schwer gezeichnet von der Parkinsonschen Krankheit und ganz und gar würdig. Bela und Rod von den Ärzten waren da, wir knieten vor Johnny Cash und weinten. Unsere Tränen waren ehrlicher Wodka und nicht minder innigliche Verehrung. Erfreulicherweise haben die Ärzte dieses Jahr eine in jeder Hinsicht streichelbare Platte herausgebracht, türkis, flauschig und intelligent, jenseits allen Deutschrockistengullups. Aber das Tröstlichste ist: Der schon fast tot geglaubte Johnny Cash hat es noch einmal geschafft. „Solitary Man“ heißt seine stolze Standortbestimmung. Auf Augenhöhe mit seinem Gott zieht Cash die Bilanz eines wahr gelebten, mythenreichen Lebens. Mit dieser CD im Gepäck läßt sich alles aushalten. Sogar Westernhagen. Und sogar Campino, Wolfjang und Wim.