John Lennon – Szenen einer Ehe


Mancher Leser mag sich am Begriff „Chef-Beatle“ gestört haben. War nicht Paul McCartney der Boß der Fab Four? John Lennon sein Assistent und George Harnson und Ringo Starr die Mitläufer? Nichts da, Leute ~ die Tatsache, daß Paule als einziger Ex-Beatle noch funktioniert und andauernd Glänzendes wie BAND ON THE RUN bis Schmalziges a la „Mull Of Kintyre“ herausspuckt, hat ihn im Nachhinein als den Kopf, als das Genie der Beatles dargestellt. In der Zeit von 1963 bis 1968 jedoch, bevor McCartney’s Hang zu ebenso schonen wie harmlosen Liedchen durchdrang (ABBEY ROAD, LET IT BE), in dieser Zeit galt stets und allzeit lohn Lennon als der Chef. Und eben dies hat Lennon’s Rückzug aus dem Showgeschäft 1975 eigentlich recht schmerzhaft gemacht…

Erinnern wir uns: Ohne die Beatles, die geniale „Durchschnittsband“ der sechziger Jahre, die erst fast alles möglich, und damit den Weg für noch Besseres freimachte, ohne diese zunächst scheinbar schmuddeligen, alsbald jedoch adrett-sauberen Jungs von beinah nebenan‘ wäre nicht nur in der Musik vieles anders. Gäbe es vielleicht nicht mal einen MUSIK EXPRESS. Die Beatles stellten in fast jeder Hinsicht das Musterbeispiel dar, arv dem sich jeder andere zu messCT hatte. Und als die Nachfolger ihre Vorbilder überholt harten, waren die Beatles klug genug, sich auch überholt zu fühlen – und abzutreten. Weshalb alle seit zehn Jahren kursierenden Gerüchte und Angebote für eine Wiedervereinigung der Fab Fouran an Dummheit kaum zu übertreffen sind. Die klingt, wie wenn die Franzosen ihren Napoleon und die Deutschen ihren Kaiser Wilhelm wiederhaben wollten (das Traurige ist, daß einige Deutsche tatsächlich ihren Kaiser W. herzaubern wollen!). Ich bitte euch! Würdet ihr heutzutage das Begräbnis dieser Legende „Beatles“ live miterleben wollen? Einen Ringo, der auf gewissem Gebiet ein exquisiter Drummer war, aber nie und nimmer eines der heute so beliebten Endlos-Soli zustande brächte? Ihr wurdet erstaunt sein,wie oft sich George Harrison bei Gitarrensoli vergreifen würde, womöglich noch statt mit Kiss’scher Kriegsbemalung oder Queen‘ schem Flutlicht lediglich von Curry-Reis umhüllt. Und was man an Paule McCartney besitzt, wissen seine Fans wie auch seine Feinde heute gut genug.

Aber der Lennon. Der hat doch 1966 tatsachlich öffentlich verkündet, die Beatles seien nun größer als Gott. Obwohl eigentlich bloß die schlichte Wahrheit, geriet dies damals zum echten Skandal. Doch was müßte Lennon heute verkünden, um einen vergleichbaren Skandal zu provozieren? Ich kann’s mir gar nicht ausdenken…

Lennon galt immer als der Intellektuelle der Beatles, während Paul den Schönen, Ringo den Bemutterungswürdigen und George den Verinnerlichten abgab. Als McCartney „Yesterday“ durchdrückte und sich damit selbst bei Rockfeinden Freunde schuf („Aha, die können also auch richtige Musik spielen“), in dieser Zeit mußte auch Lennon herhalten, um ältlich-bürgerlichen Kritikern den Zugang zu dieser neuen Langhaarigen-Musik zu erleichtern. Lennon hatte mit „A Spaniard In The Works“ und „In His Own Write“ zwei Bücher geschrieben und im Spielfilm „How I Won The War“ mitgewirkt. Und das ließ ihn in den Augen der älteren Generation etwas erklärbarer und freundlicher erscheinen. Niemand wollte erkennen, daß Lennon kaum daran dachte, sich von Bürgertum oder Establishment – um zwei der vielen Namen für die gleiche Sache zu nennen – vereinnahmen lassen wollte. Dafür war McCartney zuständig – der Biedermann unter den Beat-Brandstiftern, das Muttersöhnchen auf dem Schoß der Kultur. Als das Oberhaupt des Establishments (ein altbackener Begriff übrigens), nämlich Queen Elizabeth sie selbst, den Beatles den MBE-Orden (Members Of The British Empire) verlieh, äußerte selbst der harmlose George Harrison Ironie: „Ich hätte nie geglaubt, daß man fürs Rock’n’Roll-Spielen einen Orden kriegt.“ Paulchen hingegen empfand den Orden als hohe Ehre und hütete ihn sorgfältig – Lennon indes gab seinen Orden aus Protest gegen die englische Intervention im Biafra-Krieg zurück und legte ihn am Lieferanteneingang des Bukkingham-Palastes ab…

Eingedenk solcher Fakten erklärt sich die große Spannung, die seit zehn, zwölf Jahren unter den früheren Musikern einer Combo namens Beatles herrscht. Weil Lennon nun fünf Jahre nach ROCK’N’ROLL, seinem letzten Solowerk (SHAVED FISH war ein Sampler), eine neue Platte titels DOUBLE FANTASY veröffentlicht, hat er endlich auch wieder ein Interview gegeben und darin angemerkt: „Es hat zehn Jahre gedauert, bis ich mich wirklich mit ihm (McCartney, Anm. d. Verf.) verständigt habe. Ich weiß genauso viel über ihn wie er über mich, und das ist gar nichts.“ Soviel zur Reunion der Beatles…

Daß Lennon der Zeitschrift „Newsweek“ ein Interview gestattete, ist kaum verwunderlich. Seine Art der Ehrlichkeit und Konsequenz schließ keineswegs aus, eben dieses stets pressewirksam zu vermarkten. Dumm ist nur der Einsiedler, der allein in der Wüste ein besseres Weltbild entwirft und vergißt, einen Journalisten dazu einzuladen. Demzufolge fanden Lennon’s Aktivitäten, die weit über den Rahmen der Rockmusik hinausgingen, immer ihre Publicity. Ob bei einem ,Bed-In‘ im Amsterdamer Hilton-Hotel (!!), wo er mit Yoko Ono, obgleich körperlich gesund, sieben Tage lang im Bett lag und derart für den Frieden in der Welt demonstrierte; ob mit dem reichlich naiv geplärrten Hit „Give Peace A Chance“; ob bei Kundgebungen gegen den Vietnam-Krieg 1972 oder bei einem Hearing 1973 zum Watergate-Skandal (Präsident Richard Nixon; „Werft John Lennon aus dem Land“) – stets setzte sich Lennon ins rechte Licht der Fotografen, respektive wurde er gesetzt. Trotzdem finde ich, solche Sachen gehen in Ordnung: Über Lennon’s Bed-In berichteten die Zeitungen weit mehr als über sogenannte Friedengespräche Marke ,Salt‘, wo die geringe Verminderung tödlicher Raketen den Frieden sichern soll; und nicht Lennon wegen eines geringfügigen Drogenvergehens, sondern Richard Nixon mußte gehen…

Lennon hat manches Naive produziert, jedenfalls aus heutiger Sicht. Trotzdem sind Songs wie „Woman Is The Nigger Of The World“ unverändert aktuell. Wie sieht Lennon heute seine politischen Radikalismen? „Dieser Radikalismus war unecht, weil er völlig unschuldig war. Ich fühlte mich immer schuldig, weil ich Geld machte, also mußte ich es weggeben oder verlieren. Ich meine damit nicht, daß ich ein Heuchler war – wenn ich an eine Sache glaube, dann reicht dieser Glaube bis tief in die Wurzeln. Aber als Chamäleon wurde ich immer zu dem, was mich gerade umgab.“

Die Konsequenz hat Lennon vor fünf Jahren gezogen, als er sich völlig absetzte, jedenfalls aus dem Showbusiness. „Yoko übernahm den Lebensunterhalt, kümmert sich seitdem um Banken und Geschäfte. Und ich wurde Hausfrau.“ Lennon erzog den gemeinsamen Sohn Sean und versuchte, ihm während seiner ersten fünf Jahre das mitzugeben, woran es (zwangsläufig?) den meisten Jugendlichen fehlt: Liebe, Wärme, Zuneigung, Hilfe beim Heranwachsen. Lennon: „Ein Kind braucht Bewegungsfreiheit; und dies einzuschränken, um es dem Wettbewerb im Klassenraum auszuliefern, finde ich lächerlich.“ Und: „Ich halte die meisten Schulen für Gefängnisse.“ Und: „Ich war so ein Macho-Typ aus der Arbeiterklasse, gewöhnt, bedient zu werden, und Yoko hat mir das nicht abgekauft.“ Yoko Ono, oft als die Spalterin der Beatles angesehen, hat offenbar in John Lennon einen Denkprozeß freigelegt, der Lennon vom männlichen, dynamischen, allzeit starken Macker abbrachte auf die richtige Bahn: Der Austauschbarkeit der Rollen. Weg von diesem Mädchen – spielen – mit – Puppen, Jungen-spielen-mit-Panzern-Gefühl. Lennon hat darüber – nach eigener Aussage – zu sich selbst gefunden: „…ich bin frei von den Beatles, weil ich mir die Zeit nahm, zu entdecken, daß ich schon vor den Beatles John Lennon war und es auch nach den Beatles sein werde…“

Darüber haben Lennon und Ono eine Platte gemacht. Mit den Musikern Andy Newmark (dr), Tony Levin (bg), Earl Slick (g), Hugh McCracken (g) sowie drei Cheap Trick-Leuten. Szenen einer Ehe in vierzehn Songs: Sieben von Lennon, sieben von Ono; vielleicht daher auch der Titel DOUBLE FANTASY. Nach allem was man weiß, hat lohn Lennon mehr als die übrigen Beatles und mehr als die meisten Rockmusik er zu sagen. Es könnte allerdings sein, daß Lennon/ Ono’s Ansichten weitgehend ungehört versanden. Dazu bedarf es wenig im Big Business der Rockmusik. Beispielsweise, die deutsche Plattenfirma würde aus Kostengründen den Abdruck der Songtexte verweigern…