Justin Bieber live auf Europa-Tournee 2013: Ein Engel probt den Absturz


Auf den Spuren Michael Jacksons: Justin Bieber ist ein Teenie-Popstar, der damit bald nicht mehr klarkommen wird. Seiner Show tut das noch keinen Abbruch, im Gegenteil: Die Stilisierung als Medienopfer ist längst Teil der Karriere des erfolgreichsten Social-Media-Celebrity der Welt. Momentaufnahmen seiner „Believe“-Europa-Tournee.

Sein Tross kam viel zu spät, sagt der Verkäufer in der Bude von „Die letzte Curry vor dem Spiel“. Es ist jetzt 19:00 Uhr, die Türen der o2 World in Berlin müssten längst offen  sein. Die Teenies rufen schon seit einer halben Stunde bei Minusgraden: „Aufmachen! Aufmachen!“, einige von ihnen stehen schon seit dem Ostermorgen vor der Halle. Aber Justin Biebers Europa-Tour-Karawane – Bühne, Licht, Leinwand, Tänzer, Techniker, die ganze Produktion – stand während seiner Anreise von Wien im Stau, die Berliner 02 World erreichte er erst Sonntagmittag statt am frühen Morgen. Jetzt muss die Bühne im Eiltempo hochgeprügelt werden. Sagt der Currymann.

Lange kann Justin Bieber diesen Wahnsinn kaum noch durchhalten. Vom Grammy-Aus, seinem toten Hamster, dem Ärger mit den Nachbarn, seinem Geburtstag, an dem er nicht in einen Londoner Club kam, seinem Paparazzi-Frust: Die Welt zerreißt sich das Maul über ihn, und selbst für die Fluchtversuche aus seiner Watte-Welt erntet der 19-jährige Superstar nur Hohn und Spott. Am Münchener Flughafen etwa haben sie ihm inmitten seiner Europatournee seinen Freund und Affen Mally weggenommen. Einfach so, weil Bieber für die Einführung des Tieres in seinem Privatjet nicht die ordnungsgemäßen Papiere dabei hatte. Kein Wunder, dass ihm all der Rummel, Hass und Neid irgendwann über den wuschigen Kopf steigt. „Mach’ die Presse glücklich“, hatten seine Berater stets zu ihm gesagt, aber damit sei irgendwann mal Schluss, erklärte Bieber via Instagram. Der Affenmoment, seine Ansage, er brauche keine Auszeit, er wisse wer er sei und was er tue sowie weitere Szenen seiner aktuellen „Believe“-Tour machen Glauben: Dieses „irgendwann“ ist jetzt.

In der Berliner O2 World, 20:42 Uhr. Auf der Leinwand prangt nichts als ein großer Schlüssel mit Justin Biebers Initialen, die größten Hits von Michael Jackson liefen bis jetzt als Warm-Up und in Zimmerlautstärke auf Dauerrotation. Ein Schelm, wer dabei an den Fall des King Of Pop und seinen Affen Bubbles denkt und nicht an dessen Aufstieg zum einst größten singenden und tanzenden Popstar der Welt. Der zehnminütige Countdown beginnt. „If you’re ready for Justin Bieber make some noise“ skandiert der DJ, die Teenies – Tausende Mädchen, die träumen, Justin Bieber hätte nur Augen für sie – rasten pflichtbewusst aus. Das werden sie auch in den nächsten anderthalb Stunden immer dann tun, wenn Biebers Gesicht in Nahaufnahme auf der Leinwand zu sehen ist – und eigentlich immer dann, wenn sie gerade Luft haben.

Bieber, der fast perfekte Roboter

Und plötzlich ist er da. Nach Schattenspielen, die eher einen Auftritt von Batman als den des erfolgreichsten Teenstars der Welt erahnen lassen, kommt Justin Bieber mit Engelsflügeln (!) von der Hallendecke geschwebt. Er landet sicher im Kreise seiner Tänzer; was folgt, ist eine aufgeblasene Show und Profi-Performance eines jungen Mannes, die in ihrer roboterhaftigen Mechanik ihresgleichen sucht. Bieber agiert wie die Maschine, die er sein soll und in seinen Sphären wohl auch muss: Keine Ansage kommt spontan, nichts kommt aus dem Bauch oder gar von Herzen, aber dafür ist in der perfekten Choreographie auch gar kein Platz.

Er mimt den Tänzer, Womanizer, Soulman, Songwriter, Schlagzeuger, R’n’B-Star, begrüßt Nicki Minaj als Gaststar auf der Leinwand, er macht die ganz große Show und er macht das eigentlich sehr gut – aber die Fäden, an denen er zu Anfang von der Decke schwebte, kriegt man nicht mehr aus dem Kopf. Bieber ist ein fast perfektes Produkt an einem seidenen Faden. Eines, das die Nachfrage lange nicht stillen konnte. Bieber erinnert sich auf der Bühne an seinen letzten Auftritt in der o2 World in Berlin, „toll“ sei das gewesen. Heute ist die Halle nicht ausverkauft.

Sein Gesang, der bei all den Moves als sportlich gelten darf, geht im ewigen Bassgewummer seiner Live-Band unter; die Songs selbst – einige davon hätten den New Kids On The Block schon vor 25 Jahren blass zu Gesicht gestanden – sind tatsächlich nicht der Rede wert. Eine Justin-Bieber-Show ist ein Best-Of seiner Studio-Alben „My World 2.0“ und „Believe“ (die Weihnachtslieder von „Under The Mistletoe“ spart er folgerichtig aus), mit Songs wie „Never Say Never“, „Baby“ und, als Zugabe, natürlich „Boyfriend“, die erste Single seines aktuellen Albums „Believe“, mit der er sich vom Image als Teenieidol emanzipieren wollte, ohne seine alten jungen Fans zu verprellen. Aber um die Musik geht es ohnehin nicht. Es geht um Image.

Justin Biebers Beschwerden über Paparazzi sind längst Teil seiner Show

Zwischen den Songs laufen auf einem Justin-Bieber-Konzert Videoproduktionen, die Bieber als Superstar und Medienopfer inszenieren. Als Superagent etwa schlägt er darin seine Paparazzi in die Flucht. Ein anderer Kurzfilm erklärt seine gar nicht mehr so neue neue Frisur als buchstäblichen Einschnitt seiner Karriere, rafft Fragen der Presse, die so ein Superstar immer wieder zu hören kriegt und endet mit Biebers wohlfeilem Statement: „I just wanna be me“. Was für ein Widerspruch: Ja, Justin Bieber beschwert sich lautstark über die Presse. Die Stilisierung als mißverstandener Musiker ist aber längst zentraler Teil seiner Show. Der Show eines 19-Jährigen übrigens, die den Eintrittspreis von bis zu 130 Euro (für Stehplätze im „Golden Circle“, dem vorderen Bühnenbereich, für den die Kids schon seit Mittag anstehen) rechtfertigen soll. Das Taschengeld der „Beliebers“ rechtfertigt den Preis indes nicht.

Es ist und bleibt also eine Crux: Justin Bieber hat hart an sich, seiner Show und seiner Karriere gearbeitet. Und er will, dass das verdammt noch mal jeder kapiert. Bei den noch anstehenden Deutschland-Konzerten seiner „Believe“-Tour 2013 in Dortmund und Köln wird er wieder beweisen, dass er noch funktioniert. Es dürfte aber, auch wenn dies gerade laut Bieber erst der Anfang seiner Karriere sei, maximal eine Frage von Jahren bis zum Absturz sein, hoffentlich nicht während seiner Bühnenshow als Erzengel. Weil der Wahnsinn weitergeht und die Welt sich weiterhin das Maul zerreißen wird. Wenn er am Ende seiner Europa-Tournee sein Kapuzineräffchen Mally in München abholen (lassen) wird, muss er sich auf die nächste Runde Hohn und Spott gefasst machen: Wegen dem in Gewahrsam genommenen Affen werfen sie Justin Bieber schon jetzt vor, er vernachlässige seinen kleinen Freund in dessen Quarantäne. Hätte ihn zwischen seinen Shows ja mal besuchen können.