Interview

Mit Kassetten auflegen: „Beatmatchen geht da halt nicht!“ 


Klingt kurios, gibt es aber tatsächlich: Kassetten-DJs. Sandra Heinzelmann legt in ihrer Freizeit in der Berliner Club- und Kunstszene mit Kassetten auf. Dass es dabei nicht so sehr um den Klang geht, und wieso sie sich gerne eine WhatsApp-Gruppe für Kassetten-DJs wünscht, hat sie uns im Interview erzählt.

Das DJ-Sein gestaltet sich facettenreich: Da gibt es die coolsten Säue auf Erden, die da am Plattenteller stehen, die 08/15-ich-könnte-auch-einfach-eine-Spotify-Liste-abspielen-lassen kind of DJs und natürlich auch die Klang-Fetischisten, die noch immer oldschool nur mit Vinyl auflegen und alles selber mischen. Und es gibt: Kassetten-DJs.

So wie Sandra Heinzelmann. Eigentlich arbeitet die Berlinerin an der Neuköllner Oper und anderen Berliner Theater-Häusern, Hauptsache, es ist vielfältig. Neben ihrem ganz normalen Alltag pflegt sie allerdings ein für viele vielleicht nicht ganz so normales Hobby: Sie legt, unter dem DJ-Namen  _smh, mit Kassetten auf. Beziehungsweise: spult ihr Set zusammen. Was das an Vorbereitung braucht, was sie am liebsten spielt und wie sie überhaupt dazu kam, hat Heinzelmann uns im Interview erzählt.   

Musikexpress: Kassetten auflegen ist kein Beruf, oder? 

 Sandra Heinzelmann: Mein „Day Job“ ist an der Oper – weil meine eigentliche Ausbildung mit Musik, Theater und Regie zu tun hat. Ich mache dort Regie-Assistenzen, Produktionsmanagement, Ausstattungsassistenz, und so weiter. Ich bin ein „Mädchen für alles“ – aber es hat immer mit Musik zu tun. Und wenn ich nicht mit Kassette auflege, lege ich auch mal mit CD oder dem Computer auf. 

Der Spul-Stift darf nicht fehlen!

 Kein Vinyl? 

Nee, weil mein Plattenspieler von 1967 ist und sich der nicht so zum Auflegen eignet. Ich habe auch Schallplatten, die ich sehr gerne höre, aber das ist relativ viel Klassik und sonst sehr experimentelles Zeug, was wirklich keine Partymusik ist. 

Und wie kamst du dann zum Kassetten-Auflegen? 

Das liegt daran, dass ich meine Kassettensammlung aufgehoben habe. Sie hat mich durch die Schule begleitet. Auch als CDs oder mp3s up-to-date waren, habe ich die Tapes  behalten und gehört. Ich besitze auch noch so eine klassische Stereoanlage mit Kassettendeck, CD-Spieler und so weiter. Ich hatte immer so um die 150 Kassetten. Die Leute haben sich gerne ein bisschen darüber lustig gemacht, dass ich dieses etwas rumpelige Medium noch wertschätze. Ich war für sie immer das Kassetten-Mädchen.   

Sandra Heinzelmann beim Auflegen

Vor ein paar Jahren habe ich hauptsächlich in der Berliner Kunstszene aufgelegt, auf Vernissagen, zum Beispiel. Da konnte ich mehr oder weniger spielen, was ich wollte. Irgendwann meinte ich zu einer Freundin mal: ‚Ach, ich müsste eigentlich mal meine Kassetten auflegen, ich hab’ die alle noch und alle machen sich drüber lustig. ‘ Und sie schaute mich nur an und meinte: ‚JA! Mach das! ‘ Und dann ging’s los. Ich überlegte mir, wow, wie kann ich das überhaupt umsetzen? Ich hatte nur einen Walkman zu der Zeit, einen Panasonic – die originalen Walkmen, die ich jetzt habe, habe ich erst später erstanden, gefunden oder geschenkt bekommen, weil ich auf die Suche ging. Ich dachte mir: Wie kann ich das machen, wie kriege ich das hin? Wie kann man Kassetten ansatzweise irgendwie mixen? Und wie kriege ich das dann an ein Mischpult? Wie löse ich dieses Problem mit dem Spulen?  

 Fragen über Fragen …

 Ja, das war wirklich erst einmal ein Ausprobieren und Herausfinden am Anfang, ich kannte keinen, der so etwas macht.  

Und was ist jetzt deine Lösung?

Also: Wenn ich weiß, dass ich irgendwo spielen beziehungsweise auflegen werde, und eine Vorstellung habe, wohin die Richtung gehen soll, muss ich mich erstmal einen ganzen Tag vorneweg hinsetzen. Alle meine Kassetten durchhören und ungefähr, um nicht zu sagen eher genau, an die Stelle spulen, wo ich sie haben will. Dann klebe ich eine Post-It auf die Schachtel mit „Seite A“, damit ich weiß, wo das Lied zu finden ist und dann muss man auch den obligatorischen Stift mitnehmen, zum Feinspulen. Einen von den vier Walkmen habe ich nur dabei, um vorzuhören, ob das wirklich ungefähr passt oder ob ich mich an das Lied doch falsch erinnere. Wenn es doch schneller oder langsamer ist, als ich dachte, weil – tja, Beatmatchen geht da halt nicht! 

„Ich muss mich vorher einen ganzen Tag  hinsetzen. Alle Kassetten durchhören und ungefähr, um nicht zu sagen eher genau, an die Stelle spulen, wo ich sie haben will.“

 Das ist eben der aufwendige Faktor daran. Ich finde gar nicht mal das Justieren der Tonqualität oder des Sounds so problematisch – das geht alles über das Mischpult einigermaßen gut. Aber die Stelle vorher zu finden – da ist ja bei CDs, Platten oder auch bei einer Software kein Problem. Bei Kassetten ist das spannender! 

In einem guten Mixtape steckt auch viel Arbeit.

Ja, eben! Man kann eben nicht einfach eine Playlist machen und brennt sie dann oder schickt sie bei Spotify rüber. Du musst genau überlegen, was du tust und wie du etwas anordnest. Du sitzt dort, drückst Stopp, spulst noch etwas vor oder zurück und machst es noch etwas schöner. 

 Und wo legst du so auf, wenn du mit Kassette auflegst? 

In relativ verschiedenen Orten. Oft in verrauchten, kunstaffinen Kneipen oder Bars in Friedrichshain, Neukölln oder Kreuzberg.  Es gab mal eine Veranstaltungsreihe, das war so 2012/2013 herum, die nannte sich „Turbo Tuesday“ von einem Berliner Kunstkollektiv und die wurde eben jeden Dienstag veranstaltet. Da habe ich sehr, sehr viel aufgelegt. Ich leg auch auf Hochzeiten und Geburtstagen auf!

https://www.facebook.com/TurboTuesdayfucbar/photos/a.108517529285796.11407.108480222622860/108517702619112/?type=3

 Auch mit Kassette? 

Nein! Da muss man ja sehr flexibel sein. Das geht mit Kassetten nicht so gut, weil ich ja nur meine Sammlung habe, und nur mein privater Musikgeschmack da zum Tragen kommt. Gerade bei zeitgenössischer Tanzmusik ist es schwierig, das auf Kassette zu kriegen, auch wegen der Soundqualität. 

 Aber das kommt ja langsam wieder. 

 Ja, zum Glück, da habe ich dann die Chance, das auch zu bekommen und nicht so abgelutschte Bänder spielen zu müssen. 

 Was machst du, wenn deine Tapes ein Problem haben und die Qualität eher mau wird? 

Wenn ein Band reißt, versuche ich das zu reparieren, so gut es geht. Natürlich gibt es dann einen Sprung und diese Stelle kann ich nicht mehr benutzen, dann muss ich mir überlegen, ob ich nicht doch lieber ein anderes Lied von dem Band nehme. Aber das gehört dann dazu.

Am Dramatischsten ist es eigentlich, wenn ein Band zu lange an der Heizung lag. Das kann ich dann einfach nicht mehr spielen, das wäre eine zu starke akustische Zumutung. Das kann und will ich nicht anderen antun: Wenn Leute die Musik die sie lieben und gerne hören, total verleiert präsentiert bekommen. Wenn mir das aber passiert, muss ich hoffen wieder an Leerkassetten zu kommen, um das Lied wieder darauf ziehen zu können oder auf dem Flohmarkt die Original-MC zu finden.  

 Welches Genre bevorzugst du? 

Meine eigene Sammlung ist sehr Rock-lastig. Auch zu Schulzeiten habe ich eher Alternative, Rock, Metal und später sowas wie Placebo gehört. Auch viel Britock und amerikanischen Metal. Ein bisschen Johnny Cash kann ich aber auch anbieten. Was aber total an meiner Sammlung vorbeigegangen ist, ist die 90er Dance-Musik. Die habe ich praktisch nicht auf Kassette. Wenn sich das Leute wünschen, muss ich doch meinen Computer auspacken.  

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Aber du legst nicht gleichzeitig Kassette auf und hast dein Laptop angeschlossen? 

Nee, Kassette ist Kassette. Das wäre ja sonst inkonsequent. Den meisten Leuten, die mich bisher danach gefragt haben, wollen sehen, wie ich dastehe und pfriemele, und dass es eben manchmal rauscht. Die Übergänge sind nicht immer so smooth. 

Was ist deine Lieblingskassette? 

Ich habe nicht nur eine, sondern eher eine Art Kassetten-Kollektion, die mir sehr am Herzen liegt. Das sind vor allem Mixtapes, die irgendwann mal Leute für mich gemacht haben. Das sind dann auch die Tapes, die ich wirklich niemals wegwerfe, auch wenn sie nicht mehr spielbar sind. Aus sentimentalen Gründen. Ich habe zum Beispiel eines voll mit Punk drauf, das ist so abgeschrammelt, das kann ich wirklich nicht mehr spielen, aber das kann ich einfach nicht wegtun. Weil da so viel Mühe drinsteckt, die Menschen, die mir das gemacht haben, haben sich was dabei gedacht. Weil sie dachten, die Songs muss ich einfach mal hören.

Ich habe aber auch aus dem Schrank meiner Eltern einige Kassetten geklaut, wie die „Abba – The Hits“-Kassette. Eine der wenigen neuen Kassetten, die ich kaufte, ist von einer neuen Band aus Norwegen, die ihr Debüt in Eigenregie und Handarbeit auf Kassette herausgebracht haben. Das fand ich so schön, wieder zu entdecken, dass auch junge Leute die Kassette benutzen. 

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Wirst du noch häufig gebucht als Kassetten-DJ? 

Im letzten Jahr habe ich viel im Oper-, Theater und Film-Bereich gearbeitet. Aber jetzt habe ich wieder etwas Zeit dafür und merke auch, dass da ein Interesse besteht, weil die Leute sich wieder daran erinnern, dass ich das ja auch mache. Es hängt zudem davon ab, wo das denn ist: Die Leute müssen eher zuhören wollen und nicht ganz so wild aufs Tanzen sein. Manche Songs kriegt man dann auch einfach nicht mehr so toll gemischt – man kann also keinen 1a-Klang erwarten. Berghain-Kantine würde nicht so gut funktionieren.

Aber darum geht es ja auch gar nicht, sondern eher um das Haptische. Mittlerweile hat einfach jeder einen Rechner und einen Controller. Aber alleine die Art, mit einem Medium wie der Kassette aufzulegen, bringt ein anderes Gefühl. Man guckt nicht auf einen Bildschirm, was die Meisten auf der Arbeit sowieso tun. Du beschäftigst dich mit konkreten Dingen. Die Herausforderung darin besteht, dass es nicht so einfach ist. Du musst das Lied kennen und wissen wann es aufhört.

 „Berghain-Kantine würde nicht so gut funktionieren.“

Noch mal zurück zur Technik: Wie bist du mit deinen Walkmen aufgestellt? 

Ich habe einen Walkman, den kann man nur noch zum Spulen benutzen, weil der Tonkopf hinüber ist. Ich muss immer ein Päckchen Batterien mitnehmen. Wenn es gut läuft, brauche ich davon dann nur eine Schachtel am Abend. 

Die „Basic“-Ausrüstung von Hienzelmann

Legst du auch mit Gettoblastern auf? 

Nein, die müsste ich auf dem Fahrrad transportieren, das ist unpraktisch. Ich hatte sogar mal so ein Kassettendeck zum Spulen, aber auch das war mir zu unhandlich. Vielleicht liegt es auch einfach an meiner Liebe zum Walkman. Da stecken ebenso viele Erinnerungen mit drin, das ist wie bei der ersten Generation iPod. Ich tausche keine Dinge aus, wenn sie noch funktionieren. Es muss nicht immer das Neueste sein.  

Kennst du andere Kassetten-DJs? 

Es gibt sie, aber ich kenne sie nicht. Vielleicht bin ich zu nerdy dafür. Andere vernetzen sich da mehr. Bei mir sind die Liebe zur Marterie und die Liebe zur Musik die größten Faktoren. Eigentlich wäre es aber schon lustig, wenn wir so ‘ne WhatsApp-Gruppe hätten.  

Gab es mal eine merkwürdige Situation für dich beim Auflegen mit Kassette? 

Ich habe mal im Wedding in so einem Punkschuppen gespielt und da kam irgendein sehr angetrunkener Typ auf mich zu und meinte, ich solle doch mal bitte jetzt sein Smartphone einstöpseln, weil er jetzt gerne das Lied lieber hören wollte. Da musste ich ihm erstmal verklickern, dass ich hier beschäftigt bin und das gerade einfach nicht geht. Aber er hat die Situation gar nicht verstanden. Das ist so ein Moment gewesen, der das Hashtag #awkward verdient hat.  

Wie groß ist deine Kassetten-Sammlung heute? 

Es sind leider weniger geworden, weil einige kaputtgegangen sind und weil ich netterweise viele an eine Freundin verschenkt habe, die voll auf 80s Pop stand. Sie hatte halt nur ein Kassettenradio in ihrem alten Auto, die habe ich ihr dann vermacht. Aber ich habe auch wieder welche dazubekommen. Der Bruder meiner Freundin hat mir nochmal ein paar geschenkt, da war auch sowas wie die Pet Shop Boys dabei. Aber ich führe keine Liste, so ein Nerd bin ich dann doch nicht.  

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Wer jetzt auch Lust hat voll und ganz in die Kassetten-Welt einzutauchen: Alles was ihr dazu braucht, findet ihr in unserem großen Kassetten-Special im ME 04/18.

 

Privat
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Sabine Winkler