Kiss in Berlin: 14 Beobachtungen zum Konzert der vier Monster


Die maskierten Hardrocker spielten am 3. Juni ein Konzert vor rund 8000 Zuschauern in der Berliner 02 World. ME-Redakteur Oliver Götz war dabei und hat 14 interessante Beobachtungen festgehalten.

1. Das Verhältnis von geschminkten zu ungeschminkten Konzertbesuchern dürfte bei etwa 1:50 liegen – eine etwas enttäuschende Quote. Allerdings macht auch nur ein perfekt maskiertes Vater-Kind-Paar – Gene Simmons trägt einen kleinen Eric Singer auf den Schultern – jede Enttäuschung sofort wett.

2. Typisch Kritiker: Herummotzen, aber selbst ungeschminkt auf der Sitzplatztribüne herumhängen. Idee-Notiz für das nächste Gastspiel der Band in deiner Stadt: Gemeinsam mit einem Freund mit den Masken der ex-Mitglieder Eric Carr („Der Fuchs“) und Vinnie Vincent („Der Ankh Krieger“) auflaufen – unzählige Selfies mit (hoffentlich) belustigten anderen Konzertgängern sind dir sicher!

3. Menschen, die erst kurz vor Konzertbeginn ihren Sitzplatz erreichen und sich dann noch einmal schnell auf ihrem Smartphone die frischen Fotos anschauen, die sie gemeinsam mit Mitgliedern der Band zeigen, haben entweder ohnehin genug Geld zum Ausgeben oder verzichten in diesem Jahr einfach mal auf ihren Jahresurlaub: ein exklusives „VIP-Ticket“ der höchsten Kategorie, das unter anderem ein kleines Kiss-Akustik-Set am Nachmittag und ein Meet & Greet mit der Band beinhaltet, kostet 1000 Euro.

4. Das Verhältnis von Böllerexplosionen zur Anzahl von Songrefrains dürfte bei etwa 7:1 liegen. Die Stars des Abends in der Reihenfolge ihres Wirkungsgrads: Paul Stanley, Gene Simmons, diese mit Spezialeffekten gespickte Bühne (u.a. gibt es riesige LED-Projektsflächen sogar an der „Decke“, Feuerfontänen, die die Hallen-Klimaanlage an die Belastungsgrenze bringen, und: LASER!), Tommy Thayer, Eric Singer.

5. Erster akustischer Eindruck: Paul Stanleys Singstimme wird über die Jahre nicht besser, gerade im Halten des Volumens in den Strophen tut er sich schwer. Zweiter Eindruck: In den hohen Tönen schlägt er sich allerdings wacker.

6. Stanleys hysterische Animationsstimme bleibt hingegen Geschmackssache. Immerhin hat er neben den sonstigen Rock´n´Roll-Predigten an seine „People!“ an diesem Abend eine interessante Information zu verkünden: Seine Mutter Eva Eisen (die mit ihrer Familie aus Nazi-Deutschland flüchten musste) stammte aus Berlin – also zieht er einfach mal eben lässig an John F. Kennedy vorbei, wenn er behauptet (hysterische Animationsstimme an!): „Ich bin ein Berliner!“

7. Längst eine Binsenweisheit: Die Angestellten Thayer und Singer erledigen ihre Arbeit bei weitem zuverlässiger als der Leadgitarrist und der Drummer der Urbesetzung. Beide sind auch handwerklich ohne Tadel (wobei die handwerklichen Voraussetzungen zum Spielen der zumeist grobschlächtigen Kiss-Songs sich ohnehin in Grenzen halten dürfen), nur kann ein Tommy Thayer niemals den schelmisch-unberechenbaren Ace Frehley ersetzen. Eric Singer hingegen singt tatsächlich sogar ein bisschen wie Peter Criss. Und Schlagsolo kann er auch!

8. Was ist eigentlich auf den großen Bildschirmen an der Bühnenkante zu sehen, auf die Kiss von ihren Plätzen aus einen guten Blick haben? Die Antwortmöglichkeiten lauten: a) „Kiss Meets The Phantom Of The Park“ b) Groupie-Bewerbungsfotos c) der aktuelle Stand ihres Bandkontos d) Songtexte … „Hm, ich nehme den Telefonjoker. Und ich würde gerne Brian Wilson in Kalifornien anrufen!“

9. Grundsatzfrage: Wie bedrohlich kann eigentlich ein Monster sein, das Blut spuckt? Sagt der eine Dämonen-Bezwinger zum anderen: „Komm, ich glaube es reicht, das Ding spuckt ja schon Blut …“

10. Copy-Paste-Fehler auf der Seite setlist.fm: Mögen Kiss auf ihrer laufenden Tour auch jeden Abend das gleiche Programm abspulen, der in Klammern gesetzte Eintrag „Gene spits blood and flies“ zwischen den beiden Höhepunkten „Bass Solo“ (well …) und „God Of Thunder“ muss um die Flugeinlage gekürzt werden. Gene Simmons bleibt aus unbekannten Gründen (Mottenlöcher in den Feldermausflügeln?) mit beiden Hufen auf der Erde, der Mikrofonständer unterm Hallendach einsam und verwaist zurück. (Nachtrag: Inzwischen steht nur noch „Gene spits blood“ auf der Seite.)

11. Die andere Monsterschwinge tut es aber noch: Der Programmpunkt „Paul flies out to the crowd“ wird eingelöst, Paul Stanley steigt mit den höchsten Plateausohlen des Abends (die künstliche Hüfte hält) in die Fußraste der Tarzanbahn und segelt auf seine eigene, rotierende Hebebühne in der Mitte der Arena.

12. Wären Kiss tatsächlich noch relevant für die Zielgruppe 5-10 Jahre, es gäbe diese Bühne als Spielzeug. (Ups, besser erst googeln, dann schreiben: Es gibt Kiss-Bühnen als Spielzeug!)

13. Betrachtet man die Single-Charts, dann sind Kiss in Deutschland eigentlich ein Two-Hit-Wonder. Dass es sich diese Band leisten kann, davon an diesem Abend nur einen zu spielen – „I Was Made For Lovin’ You“ nämlich –, ansonsten oft auch erstaunlich hardrockig Gas gibt und trotzdem nichts als Begeisterung erntet, spricht für besondere Fantreue. „God Gave Rock ’n’ Roll To You II“, der zweite Hit, läuft immerhin nach Konzertende als Rausschmeißer vom Band.

14. (Persönliche Anmerkung: Sollte dem Autor in den nächsten 24 Stunden auch nur noch ein Gitarrensolo über den Weg laufen, wird er es eigenhändig erdrosseln!)