„Kommst du mit nach Indien? Kristina Koch ruft bei Chan Marshall an, 15. Februar 2008


chan marshall: Ich muss dich gleich warnen: l’m a real talkingmachine today!

Gut! Dann lass uns gleich über dem neues Album reden. Was hat dich überhaupt dazu gebracht, eine zweite Platte mit Schwerpunkt Cover-Versionen zu machen?

Ich bin schlimm, oder? Mir ist klar, dass manche Leute skeptisch auf diese Platte gucken. Aber, weißt du, mit Skeptikern habe ich es nicht mehr so. Wenn ich mich darum scheren würde, was andere erwarten, dann wäre ich so, wie ich früher war: ängstlich und ohne Selbstvertrauen. Ich trinke nun seit zwei Jahren nicht mehr und habe seitdem hart an mir gearbeitet, das Leben so zu genießen, wie es mir geschieht ich sagte mir: Chan, wenn du gern eine Cover-Platte machen möchtest, dann ist es okay. Mona, lass‘ meine Unterwäsche in Ruhe! Sorry, dieser Hund kaut ständig an allem herum.

Also ist die Platte deine Ode an die Selbstbestimmung?

So ist es. Ich will einfach nichts mehr verschwenden. Ich habe großen Respekt vor der Zeit bekommen – es gibt Momente im Leben, die man nutzen sollte: Als meine Band und ich das erste Mal für die „The Greatest“-Tour probten, fing einer an, „The Tracks Of My Tears“ von Smokey Robinson zu spielen. Und dann haben wir den ganzen Abend anstatt zu proben nur Cover gespielt. Das hat so viel Spaß gemacht, dass ich diese Lieder unbedingt aufnehmen wollte. Erst hatten die anderen nichts dagegen. Aber als ich sagte, dass ich „New York, New York covern will, waren sie mit ihrer Geduld am Ende (lacht). Ich hab hier einen Cranberry-Almond-Chocolate-Riegel. Schokolade ist das Größte, oder? Ich esse übrigens nur so viel Schokolade, weil ich Single bin. (kaut) Was passierte dann?

Ach ja, wir hörten uns das Original von „New York, New York an, und als die Anfangsmelodie kam.“tada-dadada tatadadada“, haben alle genervt rumgeschrieen, aber ich sagte, nein, nein, das wird völlig anders und neu. kein Hit oder Werbe-Song für Tampons, sondern es wird unser Song, unser Working-Class-New York-Song. Ich nehme die Idee des Lieds wirklich sehr ernst, weil es das New York beschreibt, wie ich es kenne: Alle gehen nach New York, um ein besseres Leben zu bekommen. Auch heute noch. Ich selbst habe dieser Stadt wahnsinnig viel zu verdanken, ich liebe New York.

Was lernt man als Musiker, wenn man Songs covert?

Man lernt, wie viele verschiedene Ebenen ein Song haben kann. Es tritt ständig wieder ein neuer Aspekt des Liedes in den Vordergrund. Nachdem wir diese Lieder immer wieder gespielt hatten, war ein und derselbe Song mal emotional, mal politisch odermal nur Musik. Ein guter Song ist einer, den man auf verschiedene Weisen interpretieren kann. Aber sag mal, glaubst du, die Leser deines Magazins könnten eine weitere seltsame Cover-Platte von mir mögen? Ich habe überhaupt keine Ahnung, wie sie so ankommt! Ich habe nur gehört, dass ich in den US-Album-Charts bin, ist das nicht unglaublich? Ohne MTV, Airplay, Manager und auf einem Indielabel!

Ich bin sicher, deine Platte kommt gut an! Du bist die Titelgeschichte.

Hör‘ auf!? Sagst du das nur so? Das ist ja wahnsinnig nett von euch! Darauf muss ich eine rauchen. Ich komme auch so schnell es geht nach Deutschland, ich versprech’s! Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass meine erste Cover-Platte ganz gut ankam; ich weiß noch, dass ich mir damals auf der Tour eine richtige Fanbase aufgebaut habe, (singt rauchend) We got your picture, but shes got you…

Du singst Patsy Cline.

Genau, ist sie nicht wunderbar? Wir haben auch eine Version von „She’s Got You“ aufgenommen, sie ist nicht auf dem Album, aber irgendwo wird sie schon erscheinen. Es ist so traurig, dass Patsy tot ist. Wie ist sie nochmal gestorben?

Sie ist mit dem Flugzeug abgestürzt, als sie noch recht jung war.

Was eine Verschwendung! Ist das nicht schrecklich? Heute würde Patsy Cline bestimmt mit Tony Bennett zusammen auf der Bühne stehen. Oder (flüstert) vielleicht würde ich in ihrem Vorprogramm spielen? Allein die Vorstellung…Oh Gott, es sind nur noch so wenige da von den alten Stars! Da darf man gar nicht drüber nachdenken, nicht wahr?

Suchst du gezielt Lieder aus, die du covern willst, oder begegnet dir zwischendurch mal eins, von dem du denkst, das war ja auch mal was?

Nein. nein. Es sind immer absolute Lieblingslieder, die mir viel bedeuten und ein Teil von mir sind. Songs, die ich seit Jahren für mich allein spiele, ständig singe oder dahinsumme.

Was steht noch auf deiner Liste?

Oh, vieles. Ich wollte immer mal „Straight To Hell“ von The Clash covern, aber der Song macht mich emotional so fertig, dass ich mich noch nicht getraut habe. Weißt du was, ich hole noch einen Schokoriegel!

Schon mal zuviel Respekt vor einem Song gehabt?

Oje, allerdings! Du denkst da an I Believe In You von Dylan, oder? Ja, man merkt das, nicht wahr? Vor diesem Lied hatte ich so viel Respekt! Aber wir hatten es überhaupt nicht geprobt und als ich dann im Studio stand, fühlte ich mich total nackt. Das war der schwerste Song, weil er mich so berührt. Für Dylan war es ein so wichtiger Song. Es geht darin um seinen Glauben an Gott.

Du bist ausgewiesene Dylan-Kennerin, du coverst ihn oft, und auf jukebox widmest du ihm deinen „Song to Bobby“. Was würdest du Dylan-Einsteigern raten?

Lad‘ dir „To Ramona“runter, von another side of bob dylan, nimm‘ Kopfhörer und hör‘ einfach zu. Dann „Hurricane“von desire. Das sind die beiden perfekten Songs, um Dylan-Fan zu werden! Ich habe eine Karte von ihm, auf die er „Thanks, Bob“ geschrieben hat, nachdem er einen Auftritt von mir gesehen hat. Hab‘ ich natürlich eingerahmt! Letztes Jahr hab ich ihn kurz getroffen, nur Roman Polanski und Dylan und ich in einem Raum. Ein Wachtraum. Die Dylan-Songs auf Jukebox sind Reisen in meine Vergangenheit. Aber „Ramblin‘ (Wo)Man“ von Hank Williams zum Beispiel spielt, obwohl das Stück so alt ist, für mich im Hier und Jetzt. Da sehe ich Frauen von heute schwer arbeiten und mich selbst, wie ich dafür kämpfe unabhängig zu leben. Was hast du am Valentinstag gemacht? Hast du gefeiert?

Nein, du?

Ich habe meinen Hund zum Candlelight-Dinner ausgeführt. Ich hatte kein Date, also waren Mona und ich italienisch essen. Pasta und Shrimps für mich, Rindfleisch für Mona! Ich gehe eben Pipi machen, aber sprich ruhig weiter.

Du spielst eine Nebenrolle in Wong Kar-Wais „Blueberry Nights“. Hast du Blut geleckt?

Naja, das war ja nur… Mona, nicht ins Bad pinkeln! Der Filmpart ist ja eher unspektakulär, ich sage keine 20 Zeilen, aber zwei Sachen haben besonders viel Spaß gemacht: Einmal hat mir Jude Law geholfen, meine Zeilen zu lernen. Das andere war, als Wong Kar-Wai mir gezeigt hat, wie man schauspielert: Wie man an der Theke sitzt und langsam den Kopf hebt und dann eine Zigarette anzündet, trinkt und all so was. Jude Law ist ein Wahnsinns-Schauspieler: Ich war total geschockt, als er dann in seinen Filmcharakter schlüpfte und plötzlich böse auf mich war; dabei war er doch gerade noch der nette Typ. Haha, bin ich nicht schrecklich naiv?

Was kommt als nächstes?

ich bin Wassermann, ich will alles aufsaugen, was es gibt. Ich würde so gern so vieles machen, zum Beispiel Ballett! Welches Sternzeichen bist du? Du solltest auch Ballett tanzen! Ich bin gerade in Bangladesh gewesen, in der Gegend, wo vor kurzem der Hurrikan war, und dann habe ich die Unberührbaren besucht, ich sag dir, das war nicht gerade ein Urlaub. Aber weißt du, ich komme aus dem Süden, ich bin in Atlanta geboren. Da wächst man mit einem starken Bewusstsein für Ungerechtigkeit auf, ich habe immer Mitgefühl mit den Armen. Kommst du im Winter mit nach Indien? Anstelle von Weihnachtsgeschenken! Dort will ich den Kindern Englisch beibringen. Mit meiner Gitarre natürlich.