Kussmund mit dicker Lippe


DAS GUTE ENDE vorweg: „War angenehm mit Dir zu reden“, sagt Wendy James. Und: „Du glaubst es nicht, da gibt es männliche Kollegen von dir, die sind sich nicht zu blöd, nach meiner privaten Telefonnummer zu fragen,“

Natürlich glaube ich das. Unverschämt blond, blauäugig und gut gelaunt, wie Englands Pop-Königin in spe ihre endlosen Beine dekorativ über üppige Polstersessellehnen in einem luxuriös-langweiligen Hotelzimmer räkelt… wenn sie die Stellung schon länger so hält, ist es kein Wunder, daß so mancher kühle Schreiber den klaren Kopf verloren hat.

Vor allem nach so einem Vorspiel: Wendy schiebt sich die Finger zwischen die Beine, um für die neue Single ihrer Band Transvision Vamp (aktuelle LP: BUBBLE OF BABBLE) zu werben; Wendy erscheint auf der Titelseite des englischen „Face“. die nackte Wahrheit nur spärlich mit ein paar exakt plazierten Perlenschnüren und Straßgefunke! verhüllt; Wendy tönt dazu laut, sie wolle berühmter werden als Madonna und außerdem mindestens einen Oscar gewinnen. Genug also, um auch weibliche Journalisten zumindest ein wenig zu irritieren. Wendy winkt ab: „Ach Gott, die Geschichte mit dem Oscar, ich war sturzbetrunken, als ich das gesagt habe!“ Stocknüchtern reiht sie die Episode mittlerweile ein in ihre übergeordnete Lenden-Philosophie, die da schlicht und einfach heißt: „Ich will ganz nach oben. “ Frühpubertäre Prägung mag dabei in ihrem allumfassenden Konzept des absoluten Startums eine Rolle gespielt haben. „Als ich Teenie war, hatte ich kein Poster von Donny Osmond an der Wand hängen. Virien Leigh, Brigitte Bardot, Sophia Loren, das waren meine Idole. Der perfekte Glamour, und ich war felsenfest davon überzeugt, daß diese Figuren alle so makellos sind wie sie aussahen.“ Bis Klein-Wendy den Punk entdeckte. Joe Strummer und die unwiderstehliche Wirkung enger Jeans um wohlgeformte Männerbeine, Cowboy-Boots und den Geist der Revolution. Sie weiß jetzt, daß alle Stars, die sie in ihrer frühen Jugendzeit angehimmelt hatte, genauso „abgefuckt, abhängig, frustriert und häßlich sind wie jeder andere Mensch auch. „

Und zwei Seelen wohnen, ach, in ihrer Brust, die sie seit nunmehr drei Jahren als optisches Reizmittel zur Mehrung ihres Ruhmes als wirkungsvolle Frontfrau der Glam-Rock-Popper von Transvision Vamp einsetzt. Die Femme Fatale-Ästhetik um Busen, Bauch und Hüften, die starken Sprüche im Kopf. Aber kann und darf frau das — denken und sich ausziehen? Wendy James hat zumindest damit keine Probleme: „Mir macht es Spaß, anzügliche Fotos zu machen. Starke Frauen sollten stolz auf sich sein und ihre Sexualität bewußt einsetzen. Was ich wirklich ekelhaft finde, sind diese unzähligen harmlosen Mäuschen im Geschäft, die ein bißchen hübsch aussehen, ein bißchen Lippenstift tragen und sich von irgendwelchen großmäuligen Männern alles vorschreiben lassen. Das ist frauenfeindlich. Für mich gibt es nur zwei Positionen in der Branche, Michelle Shocked oder Josephine Baker. A Sexualität oder Bananenröckchen, jeder Mittelweg ist schlicht verlogen.“

Und wenn sie nicht gerade über Großbritannien („kleine, blöde Insel“) oder die gescheiterte Weltordnung doziert, ist ihr Weg am Rande klar „All diese bornierten Schlaumeier, die über mich herziehen, würden schnell ihren Mund halten, wenn sie einmal erfahren dürften, was für ein einmaliges Aphrodisiakum es ist, vor Tausenden von Leuten zu stehen, die einen alle anstarren. Es ist meine eigene kleine Perversion, auszutesten, wie weit ich sie treiben kann. Sex und Rock V Roll läßt sich nicht trennen. Rock ’n‘ Roll ist Rhythmus, und Rhythmus ist Sex. Ganz einfach. “ Endziel dieser Philosophie ist Amerika. Nicht weil sie immer noch von Hollywood träum! („Was soll ich mit diesen materialistischen Yankees?“), sondern, „weil Amerika wichtig ist, wenn man richtig berühmt werden will. “ — Und wenn Amerika und der Rest der Welt den glänzenden Ruhm einer Wendy James nicht unbedingt will? „Diese Möglichkeit existiert für mich nicht. „