Landliebe


Sie rocken wie die Hölle und lieben nichts mehr als das geruhsame Leben in der Provinz. 3 Doors Down wollen sich vom Ruhm nicht verbiegen lassen.

Manchmal geht es wirklich sehr viel schneller, als man glaubt. Keine sechs Monate ist es her, da saßen Sänger Brad Arnold und Bassist Todd Harrell noch ganz und gar unbekümmert in einem klapprigen Tourbus und konnten beim besten Willen nicht fassen, dass sie am selben Abend im legendären Fillmore in San Francisco auftreten durften – eine Lokalität, in der einst solche Größen wie Jimi Hendrix, die Doors und Grateful Dead verkehrten. „Ich habe meinen Vater angerufen und ihm erzählt, wo wir sind. Aber er wollte es partout nicht glauben. Also haben wir Fotos gemacht und uns mit einem Filzstift mal eben in der Garderobe verewigt, direkt neben lim Morrison“, grinst Brad. Sein Kumpel Todd köpft derweil ein kaltes Dünnbier und pfeift einer Blondine hinterher. Große Jungs eben, die sich wie auf Klassenfahrt fühlen, mit starkem Southern-Akzent reden und immer wieder von Heimwehattacken geplagt werden. Schließlich kommen sie aus dem tiefsten Süden der LISA – Escatawpa im Bundesstaat Mississippi. Rednecks, Ku-Klux-Klan, Good Ol‘ Boys, Baumwollplantagen. Unter anderem hier findet TV-Mann lerry Springer Kandidaten für seinen täglichen Sex-Talk.

„Escatawpa ist eine winxige Stadt – mit einer Ampel und einem Gemischtwarenladen. Das Einzige, was du in deiner Freizeit tun kannst, ist Wasserski fahren oder die Polizei ärgern – und es gibt dort das beste Seafood-ßarbecue auf Erden. Überhaupt sind wir auch zu Hause alle zusammen – Band und Crew. Wir wohnen in unmittelbarer Nachbarschaft und treffen uns bei jeder Gelegenheit. Die Leute dort behandeln uns sehr gut. Scheiße, je mehr ich darüber rede, desto mehr vermisse ich es. Ich war in den letzten sechs Monaten nur zehn Tage zu Hause.“

Was für Menschen aus Metropolen nur bedingt seinen Reiz hat, ist für die Band aus den Südstaaten beinahe schon der Himmel auf Erden – kleine heile Welt, Familie und Geborgenheit. Ohne Showbiz, ohne Medien, ohne Drogen- und Verkehrsprobleme und ohne Kriminalität. In dieser Umgebung sind Todd Harrell, Brad Arnold, Matt Roberts (Gitarre), Chris Henderson (Gitarre) und Richard Lyles (Drums) aufgewachsen. Und hier, wo man seinen Nachbarn noch kennt, haben sie auch ihre Familien und Verlobten (vier Fünftel von 3DD wollen noch in diesem lahr heiraten), liier gingen sie einst soliden, unspektakulären Jobs nach (Automechaniker, Elektriker, Sicherheitsdienst) und spielten in lokalen Bands, die meistens 80er-Jahre-Metal coverten: Def Leppard, The Cult, Van Haien und Metallica. „Unsere ersten Gigs bestanden daraus, dass wir Metallicas schwarzes Album, ‚Sixteen Stone‘ von Bush und ‚Paranoid‘ von Black Sabbath nachgespielt haben – und zwar komplett. Irgendwann haben wir sogar ein Rush-Medley zusammengestellt, das war richtig geil. Wenn uns mal die Ideen ausgehen, können wir immer noch als Coverband auftreten“, lacht Todd.

HipHop, R&B und Electronic gelten im 3-Doors-Down-l.and als abnormal und absurd. Aufrichtige Jungs brauchen eben aufrichtige Musik, aber keine Bitches, Pimps und dicke Wummen – ganz zu schweigen von Loops und Samples aus dem Computer. Solche Apparate gehören laut Brad in den Flughafen oder ins Krankenhaus, aber nicht in die Musik. Ähnlich konservativ geht er auch an seine Songtexte heran.

Die Lyrics handeln von Drogen, Liebe und Verlust, basieren jedoch nach Brads Bekunden nicht auf eigenen Erlebnissen: „Ich kenne niemanden, der schon mal Heroin probiert hat, und in meiner Stadt ist das auch kein Thema.“

Wohl dem, der aus einem Provinzkaff im amerikanischen Süden stammt! Was allerdings verblüfft, ist die Tatsache, dass 3 Doors Down es vor dem Hintergrund ihrer bürgerlichen Grundhaltung überhaupt geschafft haben, etwas ganz Besonderes auf die Beine zu stellen: nämlich solide, dynamische Rockmusik – mit eingängigen Melodien, fetten Gitarren und Refrains. Eine Melange aus traditionellem Hardrock und der Ruppigkeit des Grunge, die jenseits aktueller Trends und Strömungen funktioniert. „Es ist wieder Zeit für richtigen Rock’n’Roll, wie es ihn schon seit lahren nicht mehr gibt“, so Todd. „Ich könnte mir nichts Besseres vorstellen, als dass sich Van Haien wieder mit David Lee Roth zusammenschließen. Das war mein erstes Konzert, 1984.“ Derzeit munkelt die IIS-Szene übrigens genau davon einer V.H.-Reunion mit good ol‘ Diamond Dave.

1997 machen 3 Doors Down ihre erste EP, die frühe Fassungen von „Loser“, „Life Of My Own“, „By My Side“, „Kryptonite“ und „Down Poison“ enthält, sich fast 2.000 Mal verkauft und auch Radiostationen auf den Plan ruft. So wird der einflussreiche Rocksender WCPR so lange mit Anrufen jugendlicher Hörer bombardiert, bis er „Kryptonite“ auf die Playlist hievt. Lind es geht weiter: immer größere Gigs, erste Talentscouts von interessierten Plattenfirmen, prestigeträchtige Festivals, Radio- und Print-lnterviews und schließlich ein Showcase in New York. Der führt Mitte ’99 zum Vertrag mit dem Semi-Indie „Republic Records“ und macht 3 Doors Down zu Labelmates von Godsmack, MDFMK und der Bloodhound Gang. Nicht die schlechteste Umgebung – zumal all diese Bands potenzielle Hitlieferanten sind, die Medien somit ähnliches auch von 3 Doors Down annehmen. Doch als am 15. Februar 2000 das Album „The Better Life“ erscheint, gibt’s erst mal lange Gesichter: Was soll man mit dieser handwerklich perfekten Gruppe, die zwar charttaugliche Songs schreibt, aber in keine zeitgemäße Schublade passt? Weder in die populäre Rap-Rock-Fraktion noch ins Alternative-Lager und schon gar nicht in den boomenden New Metal. Es folgt eine mehrmonatige Ochsentour. Billige Motels, schlechtes Essen, mickrige Gagen und gebündelte Vorurteile. „Wir haben oft zu spüren bekommen, was die Leute von uns Südstaatlern halten. Dass wir Rassisten seien, uns an Tieren vergehen und unsere Cousinen schwängern würden – was für Blödsinn!“ Aber: ]e länger 3 Doors Down unterwegs sind, desto größer wird die Nachfrage. Binnen drei Monaten wechseln sie von kleinsten Clubs in stattliche Hallen. Dabei entwickelt sich vor allem ein Song zum Publikumsliebling: „Kryptonite“, eine Hommage an Superman, die Comicfigur, von der vor allem Brad nicht genug bekommen kann: „Ich bin ein Riesen-Fan, weil Superman ein einsamer, trauriger, sehr menschlicher Held ist. Allerdings geht es im Song eher darum, wie falsch es ist, sich nach den Erwartungen anderer zu richten, anstatt man selbst zu sein.“

Apropos Superman: Inzwischen sorgen die Fans von 3 Doors Down für eine Renaissance des legendären „S“-Symbols. Bei den Konzerten der Band läuft inzwischen jeder Zweite mit einem entsprechenden T-Shirt mm, und Todd hat sich das Symbol sogar auf den Oberarm tätowieren lassen – in Silber. Doch der Reihe nach: „Kryptonite“ schafft es bis in die Billboard Top 5. Dort hält es sich mehrere Wochen. Und das ist erst der Anfang. Schon im August hat sich „The Better Life“ über eine Million Mal verkauft. Ihr ebenso schneller wie durchschlagender Erfolg ist den fünf Freunden vom Land denn auch nicht ganz geheuer: „Ich kapiere das nicht, aber die Leute lieben uns. Sie wollen Autogramme, geben uns Bier und bieten uns sogar kostenlosen Sex an. Nicht immer leicht, nein zu sagen, aber bislang schaffen wir es noch.“

Wenige Wochen später hat „The Better Life“ Dreifach-Plalin eingespielt, ist 16 Wochen in den Top 10 und räumt alle verfügbaren Awards und Auszeichnungen ab. Hierzulande sind die Shooting Stars aus den USA auf den großen Sommerfestivals vertreten. Eine Band mit Zukunft, die bislang alles richtig macht. Was laut Todd auch so bleiben soll: „Die Leute reden viel davon, wie sehr du dich veränderst, wenn du ein Rockstar bist, dass du zu einem arroganten, dekadenten Sack wirst. Das ist Blödsinn. Alle Stars, die ich getroffen habe, waren ganz normale Menschen. Und das gilt auch für uns. Wir wissen, wer wir sind und wo wir herkommen. Und wir glauben an Gott. Was sollte da schiefgehen?“ Eben. www.3doorsdown.com