Popkolumne, Folge 50

Lars Eidingers Aldi-Tüte, Billie Eilishs Bond-Song und Wheatus‘ Loser-Hymne „Teenage Dirtbag“ – Die Popwoche im Überblick


In unserer Popkolumne präsentiert Julia Lorenz im Wechsel mit Linus Volkmann die High- und Lowlights der Woche. In der neuen Folge schreibt sie über Lars Eidinger und und seine Aldi-Tüte, über die Aussage, dass es wohl niemals einen weiblichen James Bond geben wird – und feiert obendrauf Wheatus' „Teenage Dirtbag“.

Ein bisschen Werbung in, wie sagt man so schön hüftsteif, eigener Sache (auch dafür wurden Kolumnen ja erfunden, oder?): Die Musikjournalistin Juliane Streich hat ein Buch herausgegeben. Ein Buch über Frauen, die die Popgeschichte geprägt haben. Und weil das Thema ähnlich erschöpfend ist wie der Komplex „Männer in der Popgeschichte“, erhebt der Band „These Girls“ auch gar keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Der Musikexpress fand’s gut, nun gehen die AutorInnen auf Lesereise – am Freitag in Leipzig, am Montag in Berlin und bald auch in Hamburg und Worms. Mein geschätzter Kolumnenkollege Linus Volkmann und ich haben auch mitgeschrieben. Falls das nun ein Grund sein sollte, nicht zur Buchvorstellung kommen: Ich lese nicht. Versprochen. (Kollege Volkmann schon – sorry, Hamburg.)

„These Girls: Ein Streifzug durch die feministische Musikgeschichte“ ist eine besondere Pop-Chronik

Skandal der Woche: Lars und die Tüte

Jaja, nach fast einer Woche hat nun schon so ziemlich jeder seinen Kommentar dazu ins Netz gehackt, was sich Schauspieler und Teilzeit-DJ Lars Eidinger jüngst ausgedacht hat – aber ich mag halt auch noch mal. Gemeinsam mit dem Luxustaschenhersteller Bree hat er einen Lederbeutel für 550 Euro entworfen, der dem Design der ikonischen Aldi-Nord-Tragetaschen nachempfunden ist. Dazu posierte er auf den Straßen Berlins, unter anderem mit Obdachlosen. So weit, so gedankenlos.

https://www.instagram.com/p/B7QDCqlCQv7/

Das Erwartbare geschah: Es gab Hofberichterstattung, kritische bis giftige Kommentare und wüste Beschimpfungen. Natürlich wurden auf Twitter auch ärgerliche Interviewzitate hervorgekramt – Frauenfußball sei ein Fall für die „Paralympics“ –, selbstredend ohne kenntlich zu machen, dass die Aussagen von 2013 sind. (Das macht die Sache nicht besser, trägt aber immerhin der Möglichkeit Rechnung, dass Menschen und Meinungen sich ändern können.)

Glückwunsch, Lars: Ähnlich virtuos wusste in der vergangenen Woche nur Julia Klöckner mit ihrer kalkuliert kontroversen „Dorfkinder“-Kampagne die Sozialen Medien zu bespielen. Die war, den bocklosen Stock-Fotos sei Dank, zwar gefühlt erschwinglicher als eine Bree-Tasche, verrichtete aber bestens ihr Werk als Spaltpilz. Am Ende war die Eidinger-Aktion vor allem: ziemlich aufschlussreich.

Sie zeigte nämlich, dass Ironie nicht mehr so funktionieren kann wie etwa in den Fun-orientierten Neunzigern – weil sie allzu schnell als Zynismus verstanden und kritisiert wird. Was einerseits daran liegt, dass sich politische und gesellschaftliche Zustände immer stärker zuspitzen und den Leuten das lässige Lachen zunehmend im Hals steckenbleibt. Andererseits ist die Frage in den Vordergrund getreten, wer sich etwas Dekadentes wie Ironie überhaupt leisten sollte. (Eine populäre Antwort ist: Ein beliebter, weißer, reicher Schauspieler ist es vielleicht nicht.)

Letztendlich treibt die Luxustüte nur auf die Spitze, was bei Middle-Class-Kids in Städten wie Berlin eh gang und gäbe ist: mit den Insignien von Armut zu spielen, ein bisschen Prekariat zu behaupten, wo in wenigen Jahren ein Bausparvertrag sein wird, und sich so street credibility bei abgesicherter Lebenslage ermogeln. Vielleicht fühlt sich der eine oder die andere vom Aldi-Lars ertappt, weil man eben doch nicht aus Schichtzugehörigkeitsgründen „so irre pleite“ ist, sondern weil man die letzten beiden Gin-Tonic-Runden im Berghain bezahlt hat. Kein Grund also, sich über ein Stück Leder mit Aldi-Logo aufzuregen. Lieber mal wieder die Coverversion des Gentrifizierungskritiker-Klassikers „Common People“ von Isolation Berlin hören.

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Überraschung der Woche: Billie Eilish singt den Bond-Song

James Bond, Agent 007, ewiger Anzugjockel und Ladykiller im Dienste ihrer Majestät, gespielt von einer Frau: Die Vorstellung gefällt einem schon, weil sie Traditionalisten mindestens so sehr verärgern dürfte wie einst die weibliche Ghostbusters-Belegschaft. Aber: No chance, meinte kürzlich Barbara Broccoli, Produzentin der James-Bond-Reihe. Auf die Frage, ob 007 nicht so langsam mal von einer Frau gespielt werden könnte, sagte sie dem US-Magazin „Variety“: „Er kann jede Hautfarbe haben, aber er ist männlich.“

Im gleichen Atemzug sprach sie sich allerdings dafür aus, Männerrollen nicht einfach für Frauen umzuschreiben – und betonte, Frauen seien „weitaus interessanter als das“. Kann man natürlich für miefigen Sexismus halten. Schließlich können Frauen ja erst einmal: alles. Spannend sein können solche Experimente ja allemal, und ein paar Irritationsmomente haben dem Hochglanzkino noch nie geschadet. Aber ob man aber gerade 007, der ja (trotz Transformation in der Ära Daniel Craig) letztendlich ein slicker Pistolero der alten Männlichkeit ist, ein Relikt quasi, unbedingt feministisch umdeuten muss? Ob man genau diese Institutionen krampfhaft auf gegenwärtig bürsten muss – oder ob’s nicht Zeit für eine ganz neue Art (weibliche) Heldin wäre?

Den Titelsong zum neue Bond „No Time To Die“ wird zumindest von einer neuen Heldin gesungen: Neu-Superstar Billie Eilish nämlich. Gemeinsam mit ihrem Bruder hat sie den Titelsong für „No Time To Die“ geschrieben. Der gespensterhafte, flüchtige ASMR-Pop der 18-Jährigen als Soundtrack für 007: Ungefähr so schwer vorstellbar wie ein, nun ja, weiblicher Bond. Aber zumindest schon bald Realität.

Billie Eilish wird den nächsten „James Bond“-Titeltrack singen

Verkannte Kunst: „Teenage Dirtbag“ von Wheatus Teenage Dirtbag“ war das „November Rain“ für Menschen mit Pickeln im Gesicht

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Lange, bevor der Begriff „Incel“ erfunden war, als jugendliche Outcasts mit Triebstau noch nicht in den sozialen Medien Erfüllung oder Freunde suchen (oder sich im schlechtesten Fall hasserfüllt organisieren konnten), sondern still im Schulklo eingeschlossen auf das Ende der großen Pause warteten, sang eine Band aus New York die Hymne der ewig Verdroschenen. „Teenage Dirtbag“, programmatischerweise auch Song zum Film „Loser“, erzählt aus der Ich-Perspektive die Geschichte eines ganz normalen Sonderlings, eines Ekelteens. Zugleich ist sie die Geschichte seines Crushs Noelle, die unerreichbar ist und noch nicht einmal zu wissen scheint, dass der arme Teufel existiert – um am Ende, einen bombastischen Spannungsbogen später, wie die Prinzessin aus der Kürbiskutsche vor seiner Tür zu stehen. Natürlich mit zwei Tickets für Iron Maiden.

„Teenage Dirtbag“, gesungen vom aufrichtig uncoolen Brendan B. Brown mit Weirdo-Hut und Weirdo-Stimme, war nicht nur in seinem Inhalt, sondern auch in seiner Form eine gigantische Rockoper für Verlierer – dramatische Bridge und Happy End mit schlimmem Gejaule („Ouuuuuh yeah“ – hat das jemals ein Sänger so unangenehm intoniert?) inklusive. „Teenage Dirtbag“ war das „November Rain“ für Menschen mit zu vielen Taschen an ihren Hosen und Pickeln im Gesicht, für Menschen, die das nervtötende Gescratche am Anfang des Songs wahrscheinlich wirklich „geil, ey“ finden – und sich auf jeder Party unmöglich machen, indem sie das genau so formulieren. Wheatus nahmen sie ernst und schenkten ihnen eine Hymne. Danach schien ihre Aufgabe in der Musikgeschichte erledigt.

„Was stimmt nicht mit Euch?“: Antilopen Gang, Dschungelcamp 2020, „Big Bang Theory“ – Die Popwoche im Überblick

Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte von Julia Lorenz und Linus Volkmann im Überblick.