Kommentar

Liam Forever: Wieso Liam Gallagher noch immer ein cooler Typ ist


Das erste richtige Solo-Comeback des schönsten Wadenbeißers der Welt stärkt alten Armeeparka-Trägern den Rücken. Ein Einschwörungs-Versuch.

Wenn jemand stirbt, geht sein Facebook-Account in den Gedächtnismodus über. „R.I.P.“ posten dann alle, die den Verstorbenen mal kannten, das sind die Zeiten in denen wir leben. Oasis, das war eine der letzten großen Bands, vielleicht sogar die letzte große Band vor den Sozialen Medien. Das war der gut frisierte Hooligan aus Manchester, der in den 90er- und 00er-Jahren alles unter sich zusammenschlug, Hits in das Publikum kickte wie Fußbälle. Zu Oasis gehörte die letzte Jugendbewegung, die sich Parka tragend, randseits der Tanzflächen stellte, um dort Haltungsschäden nachzuahmen.

Oasis war rau, zärtlich, cool. Oasis war die Energie eines Bruderkampfs, der 2009 in Trennung eskalierte. Seitdem ist die Band im Gedächtnismodus. Liam pflegte den Account gemeinsam mit letzten Oasis-Restbeständen als Beady Eye und Noel pflegt ihn allein mit Noel Gallagher’s High Flying Birds, letztere touren jetzt – dem Publikum von damals geht das wie ein Hexenschuss in das Mark – als Support-Act von U2.

Liam als Wadenbeißer auf Twitter und Noel im Vorprogramm von U2, das also ist Oasis 2017. Aus den absichtlich gekrümmten Rücken ist ein richtiger Haltungsschaden geworden.

Eigentlich müsste man den Gedächtnismodus nun sofort aufheben. Das Profil „Oasis“ endgültig löschen, aber dann hört man nochmal rein, wie verdammt zeitlos diese Alben sind, wie verdammt gut diese Band war. Löschen? Nein, wiederbeleben müsste man Oasis! Liam versucht das seit 2014. Noel bezeichnete ihn zuvor schon einmal treffend als Hund, als einen, der immer wieder ankommt, buckelt und bittet: Komm, spiel‘ mit mir! Aber Noel, der ist eben Katze, und Einzelgänger, der will nicht mehr.

Trotzdem wurde „Don’t Look Back In Anger“ zur Hymne der Bewältigung des Terror-Anschlags auf das Konzert von Ariana Grande in Manchester. Liam trat auf, Noel blieb fern. Liam lästerte auf Twitter, er wusste nicht, dass sein Bruder schon zuvor alle „Don’t Look Back In Anger“-Einnahmen gespendet hatte.

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Und so ist Liam Gallagher, der coolste Typ der 90er, heute nur noch einer von Vielen: ein Wadenbeißer auf Twitter. In regelmäßigen Abständen postet er Screenshots der Google-Suchanfrage „Noel Gallagher Pictures“, nur um darüber „Potatoe“ zu schreiben.

Dieses Schauspiel auf der einen, und eine U2-Vorband auf der anderen Seite, das also ist Oasis 2017. Aus den absichtlich gekrümmten Rücken ist ein richtiger Haltungsschaden geworden. Noel, hast du Bono nicht mal verachtet? Verwäscht das Alter wirklich jede großfressige Rockstar-Attitüde zur opportunen Milde? Und Liam: Verdammt, fällt dir nichts anders ein?

Doch. Neue Musik. Jetzt. Endlich. Wall of Glass, Liam Gallaghers erste richtige Solo-Comeback-Single, kommt keine Sekunde zu spät. Im Video trägt er einer Auswahl wirklich guter Lederjacken und Blousons, sowie eine goldglänzende Saint-Laurent-Kapuzenjacke, während eine Mundharmonika seinen zeitlosen Brit-Pop-Sound bluesig aufbläst. Irgendwie so müssten Oasis heute auch klingen. Dort wo Liam nicht kann, und Noel nicht will, hilft nun Adeles „Hello“-Songschreiber Greg Kurstin. Gemeinsam klingen sie aus dem Stand besser, als alles was Beady Eye jemals veröffentlicht haben.

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Sicher, Liams Song, seine Performance, alles ist Memorabilia, aber sie lebt. Für die Menschen, die einst Armeeparka zu Ponyfransen trugen wird dieser Oktober wichtig. Wir werden Jacken von Saint Laurent tragen und Liams dann frisch erschienenes Album AS YOU WERE hören und wir werden uns gut dabei fühlen, weil Liams alte Borniertheit mit Musik wieder wie eine Haltung aussieht, weil Liam ganz sicher niemals im Vorprogramm von U2 auftreten wird und er uns damit beweist, dass nicht alles, was wir mal waren, heute egal ist. Das Gegenteil von RIP, es ist „Live Forever“.

Der Einschwörungs-Versuch auf Liam Gallagher erschien zuerst in der diesjährigen August-Ausgabe des Musikexpress.