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„Maniac“-Kritik: Für diese Serie wurde Netflix erfunden


Emma Stone und Jonah Hill begeben sich in die Hände dubioser Wissenschaftler. Was dann folgt, ist ein Meisterwerk.

Klar, die Nutzerzahlen des US-Streamingdienstes Netflix steigen mit jedem Monat. Und auch 2018 fanden sich immer mal wieder Titel, die es wahrscheinlich nirgends ins lineare TV geschafft hätten und dank Streaming dankbare Abnehmer an den Smart-TVs und Laptops dieser Welt gefunden haben. Ein wahrhaft besonderes Projekt, das die Freiheiten der Plattform komplett ausnutzt, konnte man in den vergangenen Monaten aber nicht auf Netflix entdecken. Mit „Maniac“ ändert sich das nun.

 

Cary Fukunaga, der seit seiner Regiearbeit für die ziemlich perfekte erste Staffel von „True Detective“ einer der gefragtesten Männer der Filmwelt ist (und den nächsten James Bond drehen wird), reizt die Spielwiese Netflix schon mit der Laufzeit der zehn Episoden aus. Einige Folgen von „Maniac“ dauern fast eine Stunde, eine sogar nur 27 Minuten. Fukunaga streckt nicht, sondern liefert Häppchen, wenn ein Häppchen gefragt ist. Und er nimmt sich manchmal etwas mehr Zeit, um die Gefühlswelten seiner schrulligen Figuren so nachvollziehbar wie möglich offenzulegen.

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Ganz einfach ist das nicht immer, denn „Maniac“ gibt seinen Zuschauern bewusst viele Rätsel auf. Zeitsprünge, sehr viele Kostüme und die Frage, in welchem Kopf man eigentlich steckt, verlangen permanentes Mitarbeiten der Zuschauer.

Verwirrung liegt wohl in der Natur der Story: Zwei Fremde landen als Testobjekte bei einem Pharmakonzern, der eine pillenbasierte Therapie für Menschen mit psychischen Problemen ausprobiert. Owen (Jonah Hill) hat den Bezug zur Realität verloren, sieht Menschen wo keine sind, verliert den Glauben an seinen eigenen Verstand. Er sieht die Studie als verzweifelten Versuch auf neue Ordnung in seinem Leben. Bei der Studie werden drei Pillen mit den Formen der Buchstaben A, B, C verteilt. Nach der Behandlung mit C sollen die Patienten geheilt sein.

Regisseur Fukunaga mit Emma Stone.

Annie (Emma Stone) ist aus einem anderen Grund Teil des Experiments. Seit dem Verlust ihrer Schwester hat sie lange nach Mitteln gesucht, die sie beruhigen. Und fand schließlich Medikament A, von dem sie nun süchtig ist. Sie ergaunert sich einen Platz beim Experiment und ist dort entsetzt, als ihr die Wissenschaftler eine tiefe, unterbewusste Verbindung mit Owen attestieren.

„My motherfucking Superpower is Love“

Die beiden (vielleicht irgendwann) Liebenden begeben sich nicht nur in die Hände von kraftvollen Substanzen, sondern auch in die von dubiosen Wissenschaftlern. Justin Theroux spielt den Erfinder der neuartigen Therapie, der sich von seiner als Psychoanalytikerin sehr erfolgreichen Mutter abgrenzen will, eine Affäre mit seiner Assistentin hatte und der seinen Penis privat gern in einen Kontroller steckt um möglichst gefühlsechten Cybersex zu haben. Wer hat eigentlich die Kontrolle über dieses verrückte Experiment? Vielleicht niemand, vielleicht aber auch der von den Wissenschaftlern programmierte Supercomputer, der irgendwann aber auch Liebeskummer bekommt und selbst therapiert werden muss.

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Cary Fukunaga hat diese komplizierte und nuancierte Geschichte zu jeder Zeit voll unter Kontrolle, in den romantischen sowie einigen exzessiv gewalttätigen Momenten. Vielleicht klappt es ja so gut, weil der Sohn eines Japaners und einer Schwedin tatsächlich eine skandinavische Vorlage neuverfilmt und stilsicher mit japanischen Schauspielern anreichert. Der Stilmix sorgt für fast comichafte Figuren und Sets, die eigentlich auch Wes Andersons Kopf entsprungen sein könnten. Sind sie aber nicht, Fukunaga findet schließlich seine eigenen Metaphern, Farben, Darsteller und vor allem seinen eigenen Humor.

Ein bisschen „Cloud Atlas“, ein bisschen „Black Mirror“

Dieser Humor ist bitter nötig, denn jede Figur in „Maniac“ ist eigentlich eine todtraurige. Die ehrlichen (Selbst-)Analysen von Owen und Annie sind schwer zu ertragen, gern flüchtet man sich gemeinsam mit den beiden in die Traumwelten, die durch die Einnahme von A, B und C ausgelöst werden. Da wird Owen mal zum Superspion oder Annie zur White-Trash-Krankenschwester, die einen Lemur aus den Fängen von Pelzhändlern (der Yellow King aus „True Detective“ ist einer davon) befreien will. Irgendwann wird Owen sogar zum Gangster, der im Fernsehen eine Fantasy-Serie sieht, in der Annie gemeinsam mit ihrer Schwester einer Prophezeiung  auf den Grund geht. Herrje, in einer späteren Episode ist Jonah Hill sogar ein Falke und sucht aus der Luft nach Annie.

All diese Sprünge und Side-Plots wirken zwar oft wie aus einer ganz anderen Serie, Jonah Hill und Emma Stone (die beide jetzt schon Platz im Regal für Auszeichnungen machen können) verknüpfen all die Varianten ihrer Figuren aber mit überraschender Leichtigkeit. In dieser Hinsicht erinnert „Maniac“ ein wenig an „Cloud Atlas“, meistens aber an eine extrem lange Episode von „Black Mirror“. Nur ohne den nervigen Anti-Technologie-Zeigefinger und mit totalem Fokus auf die Gefühle vielleicht schon längst verlorener Seelen.

Wenn Jonah Hill an einer Stelle der Serie „My motherfucking Superpower is Love“ schreit, möchte man als Zuschauer vor Freude die Arme hochreißen! Bei Netflix in den USA wird man das aktuell wohl ebenso tun und sich dafür feiern lassen, diesem Unikat von Serie, das nach einer Staffel übrigens auch beendet ist, grünes Licht gegeben zu haben.

„Maniac“ startet am 21. September 2018 auf Netflix. Alle zehn Episoden der Mini-Serie werden zeitgleich zur Verfügung gestellt. 

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