Konzertbericht

Marteria und das Diktat der Druckoptimierung


Der Auftritt von Marteria vergangenen Donnerstag im kleinen Berliner Druckkessel „Cassiopeia“ begann gleich wie eine Abrissparty und wusste sich trotzdem noch zu steigern. Auch Arnim und der Casper können das bezeugen.

Der Mann ist wohl Hygieneinspektor, haha, oder Fingerfetischist. Wahrscheinlicher noch: pervers lebendiges Animationsmonster. Denn er will immerzu unsere Hände sehen. Am Ende sogar abklatschen. Da trägt der sportangelnde Ex-Kicker nur noch Shorts, Socken, Sneakers und hat sich längst auf „Alle Hände!“ durch den Kessel tragen lassen. Weil es heute, am 25. Mai 2017, nur 250 Menschen sind, die aber Sturm für eine Null mehr entfachen, bedankt sich Marteria beim Slalom zum Ausgang bei fast jedem persönlich. Küsst Barteria auch noch ein paar schweißschimmernde Mädchenwangen.

Das krachendste Dankeschön hat allerdings vorhin der Jens erhalten. Denn der war als Einziger schon vor acht Jahren hier, im „Cassiopeia“, als der junge Marten Laciny auf seiner ersten Tour immerhin halb so viele Leute anlockte. Zur Spektakel-Ummantelung der Veröffentlichung seines neuen Albums ROSWELL springt Narrteria nun noch einmal durch die Clubs dieser Debütanten-Reise. Perfekte Orte, um zu vergessen, dass so ein bisschen Blacklash-Dämmerung eingesetzt hat bei ihm: Rap für Berlin-Mitte/mittleres Alter/Mittelklassewagen liefere er inzwischen ab, heißt es in Kritiken zur neuen Platte. An der Basis wird ja schon seit „Lila Wolken“ gemurrt. Im „Cassiopeia“ kann der Künstler jedoch beweisen, dass all das Gemecker live im Club verdampft.

Marteria begrüßt auch Beatsteaks-Arnim und Casper im „Cassiopeia“

Die Rituale und Hits sind dem Marterianer dabei wohlbekannt. Unter dem Eindruck der Superexklusivität und dank der hohen Körperreibung nimmt der Abend allerdings umgehend den Verlauf einer Abrissparty. Die neuen Stücke werden dabei mit durchgeballert, als hätten sie auf mindestens drei „Splashs!“ auch schon „alle Hände!“ gesehen. Gleich bei Song 2, „Aliens“, tippt sich Beatsteaks-Arnim zum Gruß und Gastrefrain an den kecken Hut und würde wohl am liebsten einfach bleiben auf der kleinen Bühne. Aber wo soll denn da später der Casper hin? Na der springt mit Harteria doch sowieso mitten ins Gewühl und mosht die Pit.

Spätestens als der grasgrüngiftige Kobold Marsimoto aus dem Heliumnebel quäkt und der Bass statt „Alle Hände!“ immer nur noch „Alle Bässe!“ zu verstehen scheint, könnte man von Wahnsinn sprechen. Dauerbeben, Stroboskop-Bekloppung, Rage-Against-The-Kanaltrennung, Kid Simius spielt ein Gitarrensolo aus Hack, sein hauseigenes Big-Beat-Geballer von „Die letzten 20 Sekunden“ beschert ein Finale und noch eins und noch eins – es herrscht das Diktat der Druckoptimierung. Ganz klar: Marteria und die 250, sie würden damit am liebsten nie wieder aufhören: in dieser Kammer gegenseitig an ihren Reglern spielen. Doch draußen vor dem Club wartet ein viel größeres Monster, auf Starteria: der hungrige hungrige Markt, er will gesättigt werden. Oh no.