Mega Byte Road


Bei ihnen piepst es richtig: Mit der neuen Game-CD werden die Helden der Videospiel-Software zu den Superstars von morgen

Popstars. zieht Euch warm an: In der Gunst der technisch regen Jugend lassen die allen Idole schwer nach. Eine neue Welle elektronischer Spiele rollt genüßlich den ganzen Kontinent auf und zelebriert seine digitalen Helden nun auch im glasklaren Digital-Sound. Nur wer die Software der neuen CD-Videospiele auch als Tontriiger ernst nimmt, hat in Zukunft eine Chance, ganz vorne mitzumischen. Denn die Grenzen zwischen Spiel-Programmen und den dazugehörigen Soundtracks sind schon jetzt am verschwimmen.

Michael Jackson, seit jeher mit beiden Ohren am Puls der Kindheits-Vorlieben, hat als erster seiner Zunft den neuen Trend registriert: Wer ein jugendliches Publikum heutzutage auf allen Medienfronten erreichen will, darf sich nicht mehr mit Platte, Video, Konzerten und Film begnügen. So begab es sich vor einem Jahr, daß ein elektronischer Mini-Michael jedem Halbwüchsigen auf Knopfdruck eehorchte — in einem Videospiel zu Jacksons Film „Moonwalker“. Jeder darf mal Jacko sein: Den Joystick fest in der flinken Bediener-Hand, läßt man das Alter Ego auf dem Bildschirm ein paar flotte Tanzschritte hinlegen und etwas „magischen Sternenstaub“ aus dem Hüftgelenk schütteln, um eine Handvoll erlesener Bösewichter nachhaltig von der Mattscheibe zu vertreiben. Untermalt wird das Geschehen von kernig wummernden „Beat It“- und „Smooth Criminal“-Versionen. Der Klang dieser kleinen Spiele-Konsolen ist zwar noch so ärmlich, daß noch nicht einmal ein Michael Jackson damit einen neuen Hit lancieren könnte, aber genau daran wird zur Zeit von den Herstellern der Spiel-Systeme mit Höchstdruck gearbeitet.

Mit Millionen-Etats für ihre Forschungs- und Entwicklungs-Labors, unterstützt von einer gewaltigen Marketing-Kampagne sind die japanischen Konzerne Nintendo und Sega fieberhaft am Werkeln, um Videospiele als viertes großes Unterhaltungs-Medium neben Musik, Film und Fernsehen auf dem weltweit noch immer munter expandierenden Freizeit-Markt zu etablieren. Die Elektronikriesen der Unterhaltungs-Industrie wollen da nicht länger tatenlos zusehen: Matsushita (Panasonic und Technics) arbeitet zusammen mit dem US-Medienkonzern Time/Warner an einem neuen Spielsystem auf CD-Basis. Auch bei Sony ist der Griff zur Compact Disc in naher Zukunft Marketing-Schwerpunkt: Die sogenannte „Playstation“ kommt Ende dieses Jahres in den USA auf den Markt. Sony will selber auch Software (sprich: Spiele, die auf einer CD gespeichert sind) für seinen Zögling anbieten. Wichtig für den ungehemmten Verbreitungsgrad: Die Playstation kann Spiele für das in diesen Wochen vorgestellte Super Nintendo-System verarbeiten. Kein Wunder also, daß ein nicht gerade kleiner Abschnitt des Milliarden-Vertrages, den Michael Jackson mit Sony ausgehandelt hat. die Vermarktung seiner Musik (und Film-Projekte) auf Spielsoftware-Trägern regelt. Jackson, um seine ungebrochene Wirkung auf potentielle Käufer zwischen vier und zehn Jahren wissend, hat wieder einmal den richtigen Riecher bewiesen: Wenn die Spiel-Kids nur lange genug seinen neuen Song aus dem Nintendo dudeln hören, werden sie ihm wohl auch als Plattenkäufer erhalten bleiben.

Doch auch die Hardware-Konkurrenz schläft nicht. JVC bastelt mit Sega an einem Gerät namens „Wondermega“, das ebenfalls bestehende Videospiel-Technologie mit einem eingebautem CD-Laufwerk kombiniert. Die Kiste kam für umgerechnet rund 1000 Mark vor drei Wochen in Japan auf den Markt und entwickelte sich in kürzester Zeit zum Hardware-Hit. Zusatz-Nutzen: Mit dem „Wondermega“ lassen sich auch normale CDs abspielen, via MIDI-Schnittstelle ist sie in ein Keyboard-System integrierbar und darüberhinaus eignet sie sich auch als Zentral-Gerät für Karaoke-Späße. JVC (hier alias „Victor“ firmierend) hat seinen „Wondermega“ auch als Vorab-Angriff auf das im Herbst erscheinende „CD-I“-System von Philips lanciert. Das „I“ steht für „Interactive“ und mit dem dazugehörigen Player macht Philips nun endgültig Ernst mit dem Schlagwort „Multimedia“: Das Gerät schluckt Musik- und Spielfilm-CDs, ist als Game-Player einsetzbar, liest Daten-Silberlinge mit komplett gespeicherten Lexika und ist gar mit Kodaks Foto-CD kompatibel.

Die Compact Disk als künftiger Hort elektronischer Spielfreuden ist also längst beschlossene Sache; die breite Markteinführung der CD-Systeme wird in Europa 1993 erfolgen. Compact Discs sind nicht nur wesentlich billiger zu produzieren als die momentan üblichen Steckmodule, sie bieten auch viel mehr Platz für Grafik- und Sounddaten. Während man im Moment beim Moonwalker-Spiel mit einem grobschlächtig computeranimierten Michael Jackson vorlieb nehmen muß, könnte bei einer CD-Version ein ganzes interaktives Video-Clip mit dem leibhaftigen Künstler eingespeist werden. Das Geld, so scheint’s, sitzt bei den Spiel-Kids locker genug. „Her ständig über die hohen CD-Preise moseri.“ feixt Glen Ward, Leiter der Abteilung „Verkaufsentwicklung“ beim britischen Händlerriesen HMV,“.der sollte mal in unsere Läden kommen und sich die 13jährigen Kinder anschauen, wie sie in Massen Spiel-Software bis zu 150 Mark das Stück kaufen. „

Der Big Bang in der Welt der elektronischen Spiele steht uns damit eigentlich erst noch bevor, aber was der von Nintendo und Sega beherrschte Markt jetzt schon hergibt, ist nicht von Pappe. Weltweit hat alleine Nintendo bislang etwa 600 Millionen Spielmodule verkauft; allein im Geschäftsjahr 1991 wurde ein Umsatz von 6.25 Milliarden Mark erzielt und in jedem dritten US-Haushalt ist mindestens ein Abspielgerät dieses Unternehmens zu findea In Deutschland hält sich diese Penetrationsrate mit 10 Prozent momentan noch etwas in Grenzen; allerdings ist Nintendo erst seit zwei Jahren mit einer eigenen Niederlassung hierzulande vertreten. Ziel für 1992: Eine Million verkaufter Game Boys und Super-Nintendos. Sega will mit einem Werbeetat von 50 Millionen Mark nachziehen und heuer noch gut 800.000 Konsolen verkaufen. ¿

Beim Geschäft mit der Software sind bereits Popstar-Dimensionen erreicht: In l V; Jahren verkaufte Nintendo alleine in den USA etwa 2 Millionen Spielkassetten mit dem knubbeligen Helden“.Super Mario“. Dieses geistige Kind eines gewissen Shigeru Miyamoto hat es inzwischen zu einer eigenen TV-Serie (in Deutschland bei RTL plus im Kinderprogramm) gebracht. Solche Daten konnten auch den Konkurrenten Sega beeindrucken, der 1991 seinen Star Sonic aus der Retorte zauberte. Der putzige Igel mit den blauen Stacheln ist die Hauptfigur des Nr. 1-Spiels „Sonic the Hedgehog“; eine Fortsetzung ist fest für Weihnachten eingeplant.

Die Popularität der Videospiel-Stars aus der Retorte äußert sich nicht nur im Geschäft mit den Modulen, die zwischen 50 und 120 Mark kosten. Sonic ziert auch Hosenträger und Baseball-Mützen, während es für Super Mario-Fans die passende Bettwäsche gibt. Gegen das Treiben auf dem amerikanischen Markt nehmen sich die bundesdeutschen Merchandising-Anstrengungen aber im Moment noch eher bescheiden aus; Köstlichkeiten wie die Super Mario-Frühstücksflocken haben Europa noch nicht heimgesucht.

Zarte Bande zwischen Spielewelt und Musik-Business wurden bereits geknüpft: So gründeten das Programmierer-Team „The Bitmap Brothers“ und die Londoner Plattenfirma Rhythm King 1991 die Spielefirma Renegade. Die Partner hatten sich gesucht und gefunden: Die Programmierer wollten ähnlich wie Popstars mehr im Vordergrund bei der Publicity Ihrer Programme stehen. Bei Software-Packungen prangt zwar groß das Logo der Herstellerfirma auf dem Cover, aber die Namen der eigentlichen Schöpfer Findet man oft nur kleingedruckt in der Anleitung. Die Bitmap Brothers haben jetzt ihren Ego-Trip, mehr Kontrolle über die Vermarktung und höhere Gewinnbeteiligungen. Außerdem spendieren Rhythm King-Künstler wie Betty Boo oder Bomb the Bass die Titelmusik für Renegade-Computerspiele.

Renegade feiert in Software-Kreisen als starker Außenseiter bereits ähnliche Erfolge wie Rhythm King als unabhängige Plattenfirma. Weitere englische Top-Programmierer schließen sich den Bitmap Brothers an: auch in der Musikwelt werden solche Vorgänge aufmerksam registriert. Als jüngst die Programmierfirma Sensible Software einen Vertrag mit Renegade abschloß, meldete sich der selige Alt-Rocker Captain Sensible („Happy talk“, „Wot“) zu Wort; ob der verblüffenden Namensähnlichkeit wolle er sich für gemeinsame Promotion-Auftritte zur Verfügung stellen. So weit sind wir also schon gekommen: Ein in Vergessenheit geratener Popstar will im Kielwasser von Spieleerfindern ein paar Schlagzeilen ernten.

Solche Parallelen zur Musik-Industrie sind keine Einzelfälle. Seit einem Jahr ermittelt Media Control. Gralshüter der Single- und Album-Hitlisten, auch eine Verkaufshitparade für Computerspiele. In kürzester Zeit haben diese Charts, die nach verschiedenen Hardware-Systemen aufgeteilt sind, einen ähnlich unangefochtenen Status erreicht wie die Platten-Verkaufslisten in der Musikwelt. Fehlt eigentlich nur noch ein winziges Verbindungs-Glied zwischen Mario, Sonic und seinen Freunden mit der großen Welt des Pop-Geschäftes: Findige Musik-Produzenten der Plattenfirmen, die das Millionenheer der Spiel-Kids mit fetzigen Game-Soundtracks (am besten gleich mit singender Spiel-Figur) beschallen und vor jedem Game-Start via Bildschirm auf den dazugehörigen Tonträger hinweisen: „Noch mehr tolle Hits von Mario bekommst du auf seiner Schallplatte ,Magigal Megabyte Tour‘ für nur 32,90 Mark im Plattenhandel. „

Ein Wort zur Güte: Auch wenn hinter der ganzen Spielewelle natürlich die Jagd nach Yen, Dollar und Deutschmark steckt, muß man den Leistungen der Programmierer Respekt zollen. Die besten Videospiele bieten intelligente Unterhaltung mit leckerer Grafik. Dumpfe Ballereien, wie man sie aus der Spielhalle kennt, sind auf dem absteigenden Ast. Während Musikindustrie und Fernsehanstalten vor allem durch das Wiederholen abgenudelter Ideen auffallen, steckt das Medium der elektronischen Spiele noch voller Überraschungen und Innovationen. Gesellschaftsfähig ist es ohnehin schon geworden: Eric Clapton bekannte sich jüngst in einem Interview dazu, nur noch nach dem Game Boy-Puzzle-Spiel Tetris (kostenlos dem Gerät beigepackt…)