Mein Leben mit… „Mit Schirm, Charme und Melone“


In unserer Reihe „Mein Leben mit...“ sprechen die ME.MOVIES-Autoren über Serien, die Ihr Leben geprägt haben.

Ach, wir Kinder der 60er-Jahre, wir hatten ja damals nichts. Kein Internet, kein Wikipedia, kein Facebook, kein Netflix. Wir hatten nur das Fernsehen mit seinen drei öffentlich-rechtlichen Programmen. In Schwarz-Weiß. Einen Farbfernseher konnte sich kaum jemand leisten, weil Kaufpreise zwischen 2.500 und 4.000 D-Mark einem Vielfachen des Durchschnittseinkommens entsprachen.

Zwei Fernsehserien aus dieser dunklen, abseits der Metropolen ganz und gar unglamourösen Zeit sind mir im Gedächtnis geblieben. Die eine, die amerikanische Westernserie „Bonanza“, hat mich zwar als Kind begeistert, jedoch Jahrzehnte später keinen nennenswerten Eindruck bei mir hinterlassen. Die andere dagegen schon. Sie hat trotz ihrer abstrusen Handlungsstränge mein Bild von der Welt geprägt. Es ist eine englische Agentenserie mit dem etwas kalauernden, aber durchaus aufschlussreichen deutschen Titel: „Mit Schirm, Charme und Melone“. Der Originaltitel dagegen klingt nicht ganz so charmant – „The Avengers“, deutsch: Die Rächer –, führt jedoch auf die falsche Fährte. Die Serie handelt nicht von Rache im „Kill Bill“-Sinn, sondern von einem exzentrischen, mit Genialität gesegneten, britischen Geheimagententeam, das die Weltübernahmepläne von exzentrischen, semi-genialen Verbrechern stets zu verhindern weiß: Diana Rigg als Agentin Emma Peel und Patrick Macnee als ihr Führungsoffizier John Steed hatten haarsträubende, fantastische Abenteuer zu bestehen, deren Realitätsnähe ungefähr auf dem Niveau der James-Bond-Filme lag.

Mein Leben mit... „The Wire“
Mit denen hatte die Serie ein paar weitere Gemeinsamkeiten: Zum Beispiel diese spezielle Art von „Humor“, die ich als very british empfand, und die ausgeklügelten Tötungsmechanismen, die der Heldin zugedacht waren, wenn sie vom Bösewicht gefangen genommen wurde. Anstatt sie nach ihrer Gefangennahme einfach zu erschießen, wurde sie aufwändig auf Eisenbahnschienen gefesselt, um von einem Zug überrollt zu werden; oder sie wurde an einen Tisch gekettet, um schön langsam von einer Kreissäge in zwei Hälften zerteilt zu werden. Dieses Vorgehen jedenfalls erwies sich als nicht zielführend, weil es Peels Partner Steed immer genügend Zeit ließ, um die Heldin bis zum Ende der Episode vor dem Tod zu bewahren.

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Dass die erste Staffel von „Mit Schirm, Charme und Melone“, die ich gesehen habe, die insgesamt vierte der Serie gewesen ist, wusste ich damals nicht. Genauso wenig war mir bekannt, dass in den ersten drei Staffeln die Heldin noch Cathy Gale hieß und vom späteren Bond-Girl Honor Blackman verkörpert wurde – wie gesagt, es gab ja kein Internet. Für mich war Diana Rigg (übrigens auch ein späteres Bond-Girl) als Emma Peel das Maß aller Dinge; eine Heldin, die asiatische Kampfsportarten beherrschte, nicht nur furchtbar intelligent war, sondern auch wunderschön und auf ihre ganz eigene Art eine Feministin, weil sie sich als eine fortschrittliche, selbstbestimmte Frau präsentierte, die physisch und intellektuell den Männern haushoch überlegen war. Emma Peel war eine Stilikone der 60er-Jahre, die den In-Boutiquen der Carnaby Street in London entsprungen zu sein schien: Ihre Arbeitskleidung bestand aus einem ledernen Catsuit und Minikleidern mit Lackstiefeln.

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Patrick Macnee als John Steed verkörperte den mittelalten, englischen Gentleman im dreiteiligen Anzug mit Melone und – wetterunabhängig – Regenschirm. Beide Accessoires konnten bei Bedarf zu tödlichen Waffen werden. Steed war ein Mann mit hervorragenden Manieren, aber er vermittelte auch den Eindruck, ein Schlitzohr zu sein, das mit allen Wassern gewaschen war. An seinem Verhalten und zwischen den Zeilen, die ihm ins Drehbuch geschrieben wurden, war unschwer zu erkennen, dass er durchaus ein sexuelles Interesse an seiner Kollegin hatte, auch wenn dieses in keine entsprechenden Handlungen mündete.

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Ich habe es dem Selbstverständnis und dem Selbstbewusstsein Emma Peels zu verdanken, dass ich nie auf den Gedanken gekommen bin, Frauen könnten weniger wert sein als Männer. Zur Erinnerung: Die Gleichberechtigung der Geschlechter war damals noch in weiter Ferne, so durften Ehefrauen ohne Erlaubnis ihrer Männer keine Arbeitsstelle annehmen. Emma Peel brachte eine Saite in mir zum Schwingen, ganz im Sinne ihrer männlichen Erfinder und gemäß der Etymologie ihres Namens – Emma Peel = „M. Appeal“ = „Man Appeal“ = Wirkung auf Männer. Aber sie zeigte auch, dass Sexyness kein Signal der ultimativen Verfügbarkeit für das andere Geschlecht und kein Widerspruch zu gelebtem Feminismus ist.

Mein Leben mit... „Sex and the City“
„Mit Schirm, Charme und Melone“ machte England für mich zu einem Sehnsuchtsort, lange bevor ich die Popmusik entdeckte, die für Jugendliche meiner Generation normalerweise als Initiation für Sehnsuchtsorte zuständig war. Als ich Jahre später im Urlaub mit meinen Eltern durch Südengland fuhr, fühlte ich mich ein bisschen wie John Steed auf dem Weg zu seinem nächsten Abenteuer. Das reale England hatte mit dem Land aus der Serie nicht viel zu tun. Die seltsam sterilen, menschenleeren Settings der Serie mit den Gebäuden, die auch für ein Kind unschwer als Filmkulissen zu erkennen waren, übten eine eigenartige Faszination auf mich aus. Sie spielten den unrealistischen Plots in die Hände, weil sie stets beruhigend zu bestätigen schienen: Achtung, es ist doch nur ein Film.

Übrigens war die Schauspielerin Diana Rigg genau wie der Charakter, den sie verkörperte, eine selbstbestimmte Frau in einer Zeit, in der die Männer die Welt dominierten. Irgendwann hatte Rigg keine Lust mehr, Emma Peel zu sein. Die Schauspielerin war – nennen wir es – unzufrieden mit gewissen Praktiken der Produktionsfirma der Serie. So hatte sie erfahren, dass sie als Hauptdarstellerin weniger Gage erhalten hatte als der Kameramann. Nach ihrer zweiten Staffel war Schluss für sie. Ihre Nachfolgerin Linda Thorson als Tara King blieb farblos und ohne Eigenschaften, so wurde die Serie 1969 nach nur einer Saison mit der neuen Hauptdarstellerin eingestellt. Ab Mitte der 70er-Jahre wurde „Mit Schirm, Charme und Melone“ wiederbelebt – mit Joanna Lumley als Agentin Purdey. Es war die Ära der Dauerwellen, der Zauber des Swinging London war verflogen.