Mink DeVille


Richard ist Rechtsanwalt und Anfang 30. Auf Willy DeVille, den ausgemergelten Schmalztollenträger mit dem goldenen Schneidezahn, steht er seit dessen Auftritt im legendären Rockpalast: „Das war 1980. Oder vielleicht doch erst 1981?“ Richard war damals noch Student – und Willy De-Ville alias William Borsay eine der schillerndsten Sumpfblüten des Rock ’n‘ Roll aus New Yorks Lower East Side. „Der hatte immer so ’nen schmutzigen, verruchten Zug“, erinnert sich Richard. Das gefiel dem angehenden Doktor der Jurisprudenz. Und deshalb ist er heute hier. Um mal nachzuschauen, ob Willys laszive Schmuddel-Erotik die Bude noch immer voll zum Brodeln bringt.

Schon nach den ersten Takten ist Richard sich seiner Sache sicher: „Der Typ da oben, das ist der Rock ’n‘ Roll in Person.“ Das durch die Bank schon etwas gesetztere Publikum in der Münchner Theaterfabrik gibt ihm recht. Von Anfang an badet der schlaksige Amerikaner im stürmischen Applaus. Mit seinem brisanten Stil aus Rhythm & Blues und lateinamerikanisch angehauchtem Rock ’n‘ Roll verwandelt der hagere Sänger mit der Reibeisenröhre und dem millimeterdünnen Oberlippenbart die atmosphärisch eher kühle Betonhalle in eine finnische Sauna.

Die hoffnungslos überfüllte Theaterfabrik wiegt sich zu bittersüßen Latino-Balladen wie „Love & Emotion“ oder rockt zu treibenden Uptempo-Titeln wie „Love Me Like You Did Before“ – und der Schweiß fließt in Strömen. Zwischen den bekannten Krachern aus frühen Mink De-Ville-Tagen spielt die Band einige neuere Nummern, die aber in ihrer eigenwilligen, auch durch Cajun-Einflüsse geprägten Magie den älteren Songs um nichts nachstehen. Wer in diesem Dampfkessel den Flüssigkeitsverlust durch zu viel Bier wettmacht, läuft keine Gefahr umzukippen – dafür ist der Platz zu knapp.

Schwierig dagegen wird’s für Leute mit Blasenproblemen. Vom Zentrum des akustischen Orkans bis zur nur wenige Meter entfernten Pinkel rinne braucht’s gut und gerne zehn Minuten. Aber Rock ’n‘ Roll muß eben weh tun – wer wüßte das besser als Willy De-Ville? Nach Jahren in der Versenkung und einem Offenbarungseid nach vorangegangener Totalpleite weist er gegen Ende des Konzerts schüchtern auf eine jüngst in Eigenregie produzierte Platte hin, die am Ausgang zum Kauf angeboten wird.

Richard, der rockbegeisterte Rechtsanwalt, hat sich das Album schon besorgt, „weil Willy immer noch einer der aufregendsten Rock ’n‘ Roller überhaupt ist.“ Recht hat er.