Miriam Bryant und Lorde vs. Lady Gaga: Das Schockierende im Normalen


Erschreckend gewöhnlich: Miriam Bryant ist mehr Adele als Lady Gaga. Und deshalb erstmal kein Hingucker, findet Jan Schmechtig.

Vergangenes Jahr besuchte ich mit einer Freundin ein Showcase von Miriam Bryant. Schon damals nannte man sie gerne die „ schwedische Adele“, und ja: Miriam Bryant fiel an dem Abend tatsächlich durch ihre beeindruckende Stimme auf – aber nicht nur dadurch. Ihr sehr eigenwilliger Kleidungsstil bestand offensichtlich aus Vintage-Stücken, die mit sehr viel Persönlichkeit kombiniert waren. Meine Begleitung jedenfalls war hingerissen von Stimme und Musik, sagte aber im gleichen Atemzug: „Na, an ihrem Styling muss man aber noch feilen“.

Nun, ungefähr ein Jahr später, ist Miriam Bryants Debütalbum RAISED IN RAIN und mit ihm auch ein neues Albumcover erschienen. Und was ist mit Frau Bryant geschehen? Zartes Make Up, Nasenring weg, helle Extensions und massenkompatibles Outfit. Ich bin baff und kann nicht mal sagen, warum, denn man hat der Künstlerin eigentlich nur einen normalen Anstrich verpasst und sie ein wenig massenkompatibler gestylt. Dann die Erkenntnis: Ich bin als Pop- und Modekonsument mittlerweile so übersättigt von abgefahrenen und schockierenden Stylings, dass „normal“ für mich das neue „shocking“ ist.

Mehr Videos von Miriam Bryant gibt es

hier auf tape.tv

In Zeiten, in denen Künstler das x-te Bild ihrer riesigen Möpse mit Klebestreifen beklebt präsentieren (Nicki Minaj), liegt der eigentliche Schock darin, das Gewöhnliche zu zeigen. Als Miley Cyrus anfing sich nackig zu machen und unmögliche Frisuren zuzulegen oder Lady Gaga wie ein Geist auf LSD in London auftrat, ließ das mich zumindest komplett kalt Vielleicht bin ich aber einfach nur gelangweilt vom permanenten „besser zu viel als zu wenig“, sei es musikalisch oder auch in Bezug auf das Outfit. Ich bin für mehr positiven Schock durch Understatement in Musik und Outfit. Bei Acts wie Tom Odell etwa besteht der einzige Showeffekt darin, mit zunehmender Dauer des Konzertes immer stärker zu transpirieren. Ebenso Lorde, die zwar im Video zu „Tennis Court“ wie eine Gothic-Botschafterin aussieht, aber sonst im Auftreten wie auch in Songinhalten größtenteils bescheiden auftritt ( „ … And we will never be Royals, it doesn’t run in our blood …“).

Wobei: Man weiß ja nie. Vielleicht hat Lorde zum nächsten Album blaue Haare, trägt Lederleggings und eine diamantbesetzte Kette mit der Aufschrift „LORDE“ um den Hals. Parallel wird Lady Gaga dann ihr erstes Album mit orchestral performten Akustik-Balladen veröffentlichen. Shocking!

___

Jan Schmechtig bloggt unter Horstson.de über Männermode und Musik – und fortan in loser Regelmäßigkeit und im Wechsel mit anderen Autoren auf musikexpress.de.