Modeselektor im Interview: “Der Film ist unser Familienalbum”


Mit 'We Are Modeselektor' bringen, richtig, Modeselektor ihre erste DVD auf den Markt. Wir sprachen mit dem Berliner DJ-Duo über Techno in Berlin, Tourwahnsinn und warum die beiden Freunde mal mit Björk zu Kris Kross getanzt haben.

Es waren einmal zwei Jungs im Umland von Berlin, die anfingen, Musik zu machen. Anfangs bloß, weil sie einfach irgendetwas machen wollten und weil nach der Wende sowieso alles drunter unter drüber ging. Die beiden gingen zusammen zur Schule, hatten die gleichen Freunde und besuchten die gleichen Partys. Trotzdem brauchten Gernot Bronsert und Sebastian Szary erst mehrere Kennenlernversuche, bis sie feststellten, dass sie füreinander bestimmt sind. Der Rest ist die Geschichte von Modeselektor. Und diese Geschichte ergründen Romi Agel und Holger Wick in ihrer Dokumentation “We Are Modeselektor”, die am 3. Mai als DVD bei Monkeytown Records erscheint.

Für ihren Film haben sich die Regisseure in Rüdersdorf, Woltersdorf und Berlin auf Spurensuche begeben, haben mit Freunden, Familien und Weggefährten von Modeselektor gesprochen und ihre Protagonisten seit dem vergangenen Sommer auf Schritt und Tritt mit der Kamera verfolgt. Herausgekommen ist ein Film über Tourwahnsinn, Techno in Berlin und zwei Jungs, die nicht nur die Leidenschaft zur Musik verbindet, sondern auch eine besondere Freundschaft.

Im Interview versichern Gernot Bronsert und Sebastian Szary, dass sie trotz des filmischen Denkmals nicht planen, sich in naher Zukunft zur Ruhe zu setzen und erklären, warum das Konzept von Modeselektor anarchistischer Techno-Humor lautet, weshalb sie sich perfekt ergänzen und wie es dazu kam, dass bei ihrer Backstage-Begegnung mit Björk auch ein Schweinekopf zugegen war.

Musikexpress.de: Wer hatte die Idee zu dem Film?

Gernot Bronsert: Also wir nicht. Die Idee war wirklich von Holger Wick und Romi Agel. Holger hat uns über die Jahre schon sehr oft gefilmt.

Sebastian Szary: Wenn man so will, hat uns Holger schon von Anfang an begleitet. Ich kann mich an ein Interview erinnern, da hatten wir gerade unsere erste Platte rausgebracht. Das war 2002 und wir saßen noch recht jungfräulich neben Ellen Allien auf dem Sofa. Deshalb hatte er ein ziemlich großes Archiv, was unsere letzten zehn Jahre betrifft.

Bronsert: Es hat sich aber zufällig so ergeben, dass die beiden mit der Idee kamen, als Szary gerade seine alten Tapes rausgekramt hat, die er noch zu Hause hatte bei Mutti. Die hat er digitalisiert und dabei tauchten 20 Jahre alte Filmaufnahmen auf, plötzlich war das ganze Material da. Es sollte erst eine Tour-Doku werden.

Szary: Die Idee war es, das Konstrukt Modeselektor zu durchleuchten: Wo kommen wir her? Wo haben wir uns getroffen? Warum ist es so wie es ist?

Inwiefern wart Ihr an den Inhalten und der Umsetzung beteiligt?

Bronsert: Wir hatten wirklich nicht mal ein kleinen Furz Eingriffsmöglichkeit. Wir durften das Ding bis zum Schluss nicht sehen. Wir wurden zwar immer wieder interviewt und konnten eine Idee dahinter erahnen, aber was dann am Ende dabei herausgekommen ist, lag nicht in unserer Hand. Das ist kein Produkt von uns selbst für uns selbst.

Und wie gefällt Euch das Ergebnis?

Bronsert: Ich finde den Film sehr authentisch. Ich hatte aber erst Angst, dass es ein bisschen zu persönlich wird.

Szary: Gernot war ganz unruhig. ‚Machen wir uns nackig?‘, fragte er sich stets.

Bronsert: Eigentlich brauchen wir nach der DVD keine Interviews mehr geben. Dann nur noch ab jetzt. Bei vielen Bands ist es so: Nach dem Film kommen die Classics, das Werkeverzeichnis, dann noch mal das Rock-meets-Classics-Album, wo alle Tracks mit den Philharmonikern zusammen gespielt werden und die Remixe. Und so ist es bei uns eben nicht gemeint. Bei uns kam immer alles aus dem Flow heraus. Wir haben das nicht geplant. Das Jahr war eigentlich ganz auf Moderat ausgerichtet. Der Film war erst nur als kleines Gadget für die Fans gedacht und dann wurde das immer größer.

Ihr würdet den Film also nicht als Zäsur in eurer Karriere bezeichnen?

Bronsert: Ich mag diesen verkopften Retrospektive-Begriff nicht. Oder Karrierekonzepte von Künstlern. Ich finde, es gehört immer ganz viel Freestyle dazu. Wir haben aber durch den Film realisiert, dass wir das echt schon eine Weile machen. Dass wir keinen Newcomer-Welpenschutz mehr haben. Jetzt hat die Sache eine andere Dimension.

Szary: Man guckt zehn Jahre zurück und stellt fest: Wir waren beide verdammt jung. Und man sieht, was sich seitdem alles entwickelt hat, was sich verändert hat und was alles passiert ist. Eigentlich ist der Film ein bisschen unser Familienalbum.

Bronsert: Ich glaube, ich habe eine gesunde Melancholie beim Zurückblicken. Es gibt ja Leute, die können schwer von Vergangenem loslassen. Das ist bei mir nicht so. Es ist eher ein Bewusstwerden. Wir hatten das Glück, dass es immer Leute gab, die hinter uns standen und die uns sehr viele Freiheiten gegeben haben. Ob das jetzt Ellen Allien war oder das Hard Wax, wo ich gearbeitet habe. Deshalb können wir wirklich sagen, dass es keine einzige Aktion, keinen einzigen Song gibt, der uns peinlich wäre. Und das ist jetzt mit dem Film genau so.

Wie würdet Ihr Euer Verhältnis heute beschreiben?

Bronsert: Irgendwie wie Brüder. Das geht schon über Freundschaft hinaus. Wir haben auch zeitgleich Familien gegründet und jetzt wachsen die Kinder zusammen auf. Wir fahren zwar nicht zusammen in den Urlaub, aber am zweiten Weihnachtsfeiertag kann es schon vorkommen, dass wir uns treffen.

Szary: Wir müssen unser Leben auch immer parallel planen. Es hängt immer alles zusammen. Wir haben fast zeitgleich geheiratet und sind 2007 fast zeitlich Väter geworden.

Bronsert: Wir teilen aber nicht unsere gesamte Freizeit. Wenn Szary bei sich zu Hause ein Party macht, dann erfahre ich das durch meine Frau, weil die Frauen sich natürlich unterhalten.

Was ist das Geheimnis Eurer guten Zusammenarbeit?

Szary: Gernot ist auf jeden Fall größenwahnsinniger als ich. Oft denke ich dann auch: Nee, das kannst nicht machen. Aber am Ende geht es dann doch auf. Ich habe dafür Sitzfleisch, wenn wir im Studio sind und es gibt musiktechnische Aufgaben zu knacken. Da setzte ich mich dann zwei Stunden ran und Gernot macht in der Zeit ein Nickerchen.

Bronsert: Szary ist eher die Bremse und ich bin das Gas. Kupplung brauchen wir nicht, wir haben Automatik.

Der Film erzählt auch ein Stück die Geschichte der elektronischen Musik in Berlin. Wo verortet ihr Euch in diesem größeren Zusammenhang?

Szary: 2005/2006, als wir so viel gespielt haben und unsere erste Welttournee gemacht haben, gab es plötzlich diese neue, junge Generation, wo es dann manchmal hieß: Sounds like Modeselektor. Da war unser Name auf einmal ein richtiger Begriff. Das war schon interessant.

Bronsert: Die Amerikaner würden sagen, wir sind Weirdos. Schräge Typen, die Sachen machen, die für andere einfach nicht nachzuvollziehen sind. Wir fanden auch immer ganz viel schlecht von dem, was so veröffentlich wurde. Und dadurch hat sich so ein anarchistischer Techno-Humor entwickelt. Wir haben einen Track gemacht, mit dem wir etwas auf die Schippe nehmen wollten und haben uns dann aber doch nicht getraut, eine reine Parodie zu machen. Also haben wir wieder eine Art Ernsthaftigkeit reingebracht. Und das ist so ein roter Faden, der sich durch das Schaffen von Modeselektor zieht.

Wenn Ihr auf Eure bisherige Karriere zurückblickt, gibt es eine Lieblingserinnerung?

Bronsert: Mit Freunden von uns, den Fantastic Nobodys, haben wir schon häufiger Sachen zusammen gemacht. Das sind Performancekünstler und wenn wir in den USA gespielt haben, waren sie ab und zu dabei. An einem Abend hatten sie für ihren Auftritt einen Schweinekopf dabei, den wollte sich einer von ihnen aufsetzen, aber das hat nicht geklappt. Als wir danach im Backstage waren, gab es dort einen Sektkühler und darin landete irgendwann der Schweinekopf. Und plötzlich kam Björk zur Tür herein, weil sie uns kennenlernen wollte und ich kam mir vor wie die coolste Sau im Universum. Wir haben dann zusammen “Jump” von Kris Kross gehört und sind auf dem Sofa rumgesprungen, das war ganz geil.

“We Are Modeselektor” erscheint am 3. Mai 2013 als DVD bei Monkeytown Records