Motzki aus Manchester


Eine Person als Unikat zu bezeichnen, ist meistens ganz schön hoch gegriffen. Im Falle von Mark E. Smith möchte man aber eine Ausnahme machen. Seit Veröffentlichung von Live At The Witch Trials, dem Debütalbum seiner Band The Fall aus dem Jahr 1979, hat der Frontmann ständig neue Platten gemacht und Tourneen buchen lassen. The Fall sind somit eine der wenigen Bands aus der ursprünglichen Generation des Post Punk, die immer aktiv geblieben sind und nie den schnöden Mammon im Visier hatten (auch nicht in der kurzen Zeit beim Major Phonogram zu Beginn der neunziger Jahre). Im Gespräch mit Smith geht die erste Frage dahin, warum er so ein ausgeprägtes Durchhaltevermögen besitzt. „Ich habe einfach immer neue Texte geschrieben. Und ich habe mich vonfalschen Leuten ferngehalten.“ Oder sie sich von ihm.

Der „NME“ hat Smith einmal den am schlechtesten gelaunten Mann im Pop genannt. Womit die Kollegen den Nagel ziemlich genau auf den Kopf trafen. Wegen seiner Art des „Gesangsvortrags“ möchte man Smith „Motzki aus Manchester“ nennen. Er meint, mault, meckert und gibt allerlei zynisches Zeug von sich, das obendrein in merkwürdigem Englisch mit eigenem Slang und Hang zu dadaistischer Lyrik abgefaßt ist. Auch die Musik von The Fall hat sich in der langen Zeit nie von Grund auf geändert. Es ist stets ein monotoner, seltsam faszinierender Antirock ohne den geringsten Anflug von Posen geblieben. Eine weitere Eigenart ist die, daß Smith bei The Fall seit 28 Jahren die einzige personelle Konstante darstellt. Woran man ihn besser nicht erinnert. „Du willst mir doch jetzt nicht alle Ex-Mitglieder aufzählen, oder? Da wärst du nicht der erste Schlaumeier. Unsere großartigen britischen Journalisten waren schneller. Letztens haben sie im ‚Guardian‘ Paßfotos von allen 42 ehemaligen Mitgliedern abgebildet. Soll das nun seriöse Berichterstattung oder Kinderkram sein?“ Immerhin hat der Miesepeter ein paar lobende Worte für seine aktuelle Band übrig. „Diese Leute waren alle so um die sechs Jahre alt, als ich meine erste Platte gemacht habe. Sie sind keine eingefleischten Fans von The Fall, gehen dir nicht mit irgendwelchem Bewunderungskram auf die Nerven und machen ihr Ding. Daraus ergibt sich eine Energie, die der Qualität der Musik dient.“

Fans von The Fall gibt es auf der Welt trotz alledem viele.

Der bekannteste von ihnen war der im letzten Jahr verstorbene britische Radio-DJ John Peel. Sobald eine neue Fall-Platte im Anmarsch war, spielte er zwei oder drei Stücke davon pro Sendung. Die Zuneigung beruhte aber – man mag es sich fast denken – nicht unbedingt auf Gegenseitigkeit. „Peel war ok. Durch ihn hatten wir Fans in Brasilien. Oder anderswo im Ausland. In Britannien waren wir aber nie auf ihn angewiesen. Er und ich hingen auch nicht ständig zusammen oder so. Es wird demnächst ja den ,Peel Day‘ aus Anlaß seines ersten Todestages geben. Wir werden da auf einer Veranstaltung spielen. 20 Minuten vielleicht, dann verschwinden wir wieder. Mir graut es jetzt schon bei dem Gedanken, all diese Idioten erleben zu müssen, die aus ihren Rattenlöchern hervorgekrochen kommen und meinen, sie seien Freunde von Peel gewesen.‘

Schließlich gab und gibt es auch unter Musikern Anhänger von The Fall, gerade in den USA. Die Noise-Szene um Sonic Youth hat sich bei den Nordengländern einiges abgehört, womit Smith überraschenderweise keine Probleme hat. Auch James Murphy von LCD Soundsystem findet er akzeptabel. Mit anderen Herrschaften geht er dagegen hart ins Gericht. „Eine Zeit lang war es scheinbar chic, sich auf uns zu berufen. Sogar dieser verdammte Clown Boy George hat einmal gesagt, er möchte einmal etwas in der Art von The Fall machen. Was denkt der sich? Sind wir so eine Art Ausstiegsklauselßir gescheiterte Künstlerexistenzen, oder was?“ Ganz und gar nicht ist er mit Franz Ferdinand einverstanden. „Ich habe letztens im Flugzeug gesessen und gelesen, daß die uns als Vorbilder ansehen. Da dachte ich, wir fliegen durch ein Luftloch. Was für eine Schande! Wenn ich das Geld hätte, um mir einen Anwalt zu leisten, würde ich solche Pimpfe wegen Rufschädigung verklagen.“ Jemand, der sich Freunde machen will, hört sich anders an. Aber Smith ging es nie um Verbrüderung und Gruppendynamik. Er hat seinen Dickkopf, vertritt Gegenmeinungen und ist, was die Vehemenz und Qualität seiner Botschaften angeht, individualistischer als alle anderen Individualisten auf der Welt. Dazu darf man dann wohl wirklich Unikat sagen.

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