Kritik

„Narcos: Mexico“ (Staffel 2) auf Netflix: Nach dem Aufstieg kommt der Fall des Miguel Ángel Félix Gallardo


Hochmut kommt vor dem Fall: In der zweiten Staffel von „Narcos: Mexico“ sehen wir Drogenboss Miguel Ángel Félix Gallardo zehn Stunden lang dabei zu, wie er sich selbst ins Abseits manövriert – natürlich nicht ohne noch ein paar große Coups zu landen und Leichen zu produzieren.

Mexiko in den Achtzigern. Während in Kolumbien Pablo Escobar noch immer wütet, wächst weiter nördlich eine Allianz aus bisher alleine agierenden Drogenkartellen des Landes zusammen. Der Ex-Cop Miguel Ángel Félix Gallardo (Diego Luna) bringt die Druglords an einen Tisch und vereint sie: Grasanbau, Aufspüren neuer Anbauflächen in scheinbar trockenen Gegenden, Vertrieb, Export in die USA, Schmieren von Polizisten und Gouverneuren – es gibt genug zu tun. Die Zahl der Vergehen bleibt dabei offiziell gering genug, dass die Politik nicht unter Handlungsdruck steht. Das ist sie natürlich aber nur, weil die Cops mitverdienen. Tatsächlich lag der Umsatz des Guadalajara-Kartells später zeitweise bei fünf Milliarden US-Dollar pro Jahr. An die Anzahl der Morde, Foltereien, Gewalttaten und weiteren Gesetzes- und Moralbrüche mag man kaum denken. Von all dem erzählte 2018 die erste Staffel „Narcos: Mexico“, ein Ableger der ursprünglichen „Narcos“-Reihe, die in drei Staffeln den Aufstieg und Fall Pablo Escobars für Netflix inszenierte. Nach Gallardos Aufstieg zeigt die seit 13. Februar 2020 im Stream verfügbare zweite Staffel „Narcos: Mexico“ nun dessen Straucheln und ultimativen Fall, erneut basierend auf wahren Begebenheiten, auf.

„Narcos: Mexico“ auf Netflix: Druglords dieses Landes, vereinigt Euch!

Drogenboss Miguel Ángel Félix Gallardo wird 40 Jahre alt. Der verheiratete Vater zweier Kinder feiert seinen Geburtstag, wie man ihn in seiner Position offenbar zu feiern hat: im Bett mit einer seiner Affären. Er gilt als mächtigster Mann Mexikos, Mauscheleien mit den offiziell mächtigsten Männern seines Landes, nämlich den Politikern, tun ihr Übriges. Im Weg steht ihm erstmal niemand, nicht mal Pacho Herrera vom kolumbianischen Cali-Kartell, der ja auf Gallardos Lieferdienste angewiesen ist, um sein Kokain in die USA zu schmuggeln  – wenn da nur nicht DEA-Agent Walt Breslin (Scoot McNairy) wäre. In der ersten Folge kidnappt er den Arzt, der in Staffel 1 die Folter seines Ex-Kollegen Kiki Camarena bis hin zu seinem Tod begleitet hatte. Breslin, der gleichzeitig der Off-Erzähler beider Staffeln ist, will die Verantwortlichen des Polizistenmordes ausfindig machen. Wobei: Dass Gallardo den Befehl erteilte, glaubt er zu wissen. Er braucht nur Beweise dafür.

DEA-Agent Walt Breslin (Scoot McNairy) in der zweiten Staffel „Narcos: Mexico“
DEA-Agent Walt Breslin (Scoot McNairy) in der zweiten Staffel „Narcos: Mexico“

Während die amerikanische Drogenvollzugsbehörde Gallardo den Garaus machen will, steht der sich erschwerend auch noch selbst im Weg. Das ist ja das Problem mit Mächtigen: Es ist ihnen nie genug. Nachdem Gallardo Marihuana nicht mehr reichte und er auf Kokain setzte, will er es seiner Branche so richtig beweisen und transportiert davon für die Kolumbianer über 70 Tonnen auf einen Schlag in die Staaten. „Leichtsinnig“ ist noch eine Untertreibung dafür. Deshalb, wegen diverser anderer fragwürdiger Entscheidungen und Alleingänge, und weil er die Drogenbosse seines Kartellzusammenschlusses nicht als Partner, sondern als Angestellte sieht, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie ihm den Rücken kehren. Der Wind dreht sich, die Schlinge zieht sich schleichend immer weiter zu.

Hochmut kommt vor dem Fall

Die Stärken der alten „Narcos“-Staffeln bleiben indes die Schwächen der neuen: Gallardo war in Staffel 1 von „Narcos: Mexico“ ein smarter Typ, der seine Zeit gekommen sah und sich schon dadurch von den barbarischen, dickbäuchigen und stumpfen anderen Bossen unterschied, dass er sein Ego an den richtigen Stellen zurückstellen konnte, Selbstkritik bewies und gleichzeitig nicht allein an einem florierenden Unternehmen, sondern am Aufbau eines „Empire“ interessiert war. Ein so brutaler, rücksichtsloser, gewiefter und dabei urkomischer Bösewicht wie der von Wagner Moura gespielte Pablo Escobar war er nicht, ähnelt ihm in der neuen Staffel aber zunehmend: Vor lauter Größenwahn erkennt er nicht nur seine eigenen wunden Punkte nicht mehr, er agiert neuerdings auch so blind und skrupellos, dass sich selbst engste Vertraute und Familie von ihm abwenden. Der Auftragsmord an Frau und Kindern des Sinaloa-Kartellbosses Héctor Palma ist nur ein Beispiel dafür.

Weil die zweite Staffel „Narcos: Mexico“ zehn Folgen á rund eine Stunde Spielzeit umfasst und weil sie wie auch ihre Vorgänger im spanischen Original mit englischen Untertiteln daherkommt, hat sie trotz ausreichend Mord und Totschlag ihre Längen. Erst im Staffelfinale, als alle erzählerischen Strohfeuer zu einem Großbrand vereint werden, weiß auch die Handlung nochmal richtig zu packen: Gallardo – an dieser Stelle keine Spoiler-Warnung, weil aus der realen Geschichte Mexikos bekannt – landet im Gefängnis und gibt DEA-Agent Breslin bei einem Besuch zu denken: Die Polizei, so Gallardo, würde seine Festnahme noch bereuen und ihm nachträglich dankbar sein, die Drogengeschäfte derart organisiert und deren Player in Schach gehalten zu haben. Ohne ihn würden die „gewalttätigen Idioten“, die ihre Kartelle nun wieder selbst führen, mittelfristig für noch mehr Mord und Totschlag sorgen, als es bisher der Fall war.

Wird in Zukunft selbst ein weltberühmter Druglord werden: El Chapo in der zweiten Staffel „Narcos: Mexico“
Wird in Zukunft selbst ein weltberühmter Druglord werden: El Chapo in der zweiten Staffel „Narcos: Mexico“

Dass sich der Drogenhandel wie die Schlange Hydra aus der griechischen Mythologie verhält – schlägt man ihr den Kopf ab, wachsen mehrere nach – ahnte ferner nicht nur Walt Breslin selbst, als er schon zu Beginn der ersten Staffel aus dem Off kommentierte: „Drogenhändler sind wie Kakerlaken: Du kannst so viele töten wie du willst. Sie kommen immer wieder aus ihren Löchern.“ Auch die Geschichte hat dies oft genug bewiesen: Mit dem Ende der Ära Gallardo wurde in Wahrheit und in deren Netflix-Version der Anfang der Ära El Chapo eingeläutet. Der Typ, zu dessen größten Erfolgen es in „Narcos: Mexico“ noch gehörte, einen Tunnel gegraben zu haben – eine Fähigkeit, die ihm viele Jahre später in US-Gefängnissen noch hilfreich sein würde. Nicht unwahrscheinlich, dass eine mögliche dritte Staffel von „Narcos: Mexico“ seine Geschichte erzählen würde.

Und während man all diesen unglaublichen, am Rande der Parodie kratzenden Figuren, die noch unglaublichererweise allesamt auf realen Vorlagen basieren, so dabei zusieht, wie sie menschlich und moralisch Höchstverwerfliches tun, stellt man sich zentrale Fragen wie diese: Wie kann man es sich nur herausnehmen, skrupellos Menschen zu erschießen, die gerade mal im Weg stehen? Warum will man noch reicher und mächtiger werden, wenn man doch der reichste und mächtigste Mann des Landes ist? Die Antwort liegt nah: Die größten Junkies, die Abhängigen, die Süchtigen, das sind nicht die Kunden, die Endverbraucher des distribuierten Produkts der Druglords. Das sind sie selbst.

„Narcos: Mexico“, Staffel 2 seit 13. Februar 2020 auf Netflix im Stream verfügbar

https://www.youtube.com/watch?v=AGv_F9hpQ-w

Courtesy of Netflix Courtesy of Netflix
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