NDW-nicht die einzige Welle


Punk galt als verdaut. Auch wenn in der Provinz noch ein paar versprengte Spätgeborene ihrer überfälligen Ramones– oder Buzzcocks-Bestellung harrten und in Fahrradkellern in beachtlichem Tempo drei, vier Akkorde auf dem Fender-Nachbau aus der Musikalienhandlung Schimmerle (bitte den Namen Ihrer damaligen örtlichen Musikhandlung einsetzen!) schrubbten. Heranwachsen unter Zuckerwasser-gehärteter Aufstellfrisur, in nonkonformistisch bemalter Lederjacke und betäubt von Dosenbier – junge Menschen taten dies, bald unverzichtbare Pinselstriche in groß- wie mittelgroßstädtischen Straßenbildern, inzwischen recht gerne.

Punk mag heute, aus der Satellitenfernen Sicht von bald 30 Jarrren danach, einen Einfluss auf die Rockmusik gehabt haben, den man gar nicht groß genug einschätzen kann. Ein Thema für den Schallplattenkonsumenten, jenen, der durch seine Einkäufe die Album-Hitparaden füttern half, waren Punk und die daraus resultierenden musikalischen Entwicklungen jedoch auch 1981 noch nicht. Der kaufte, war er überhaupt dem Rock und nicht etwa Disco, Metal oder Schlager zugetan, am liebsten Musik, die dem Sahneschock der nicht enden wollenden 70er noch die Cocktailkirsche aufsetzte, von Rockzirkuskapellen wie Rush, Supertramp, Saga, Toto, REO Speedwagon und den mittelspäten Pink Floyd. Als hätte Johnny Rotten nie alles und jeden ausgeheilt, wären Gitarrensoli niemals öffentlich geächtet worden, hätte keiner dem in Keyboardtrotzburgen hausenden Establishment ordentlich vor die Amptürme gekotzt.

Bis diesseits des Ärmelkanals die ersten Freunde der dergestalt unmittelbaren, ungehobelten musikalischen Unterhaltung/Protesthaltung ihre eigenen Lehren aus Punk und seinen Folgen zogen und schließlich selbst zum InstrumentgTiffen, vergingen freilich ein paar Monate. Doch als es geschah, geschah es um so gewaltiger. Bands wie Fehlfarben, Grauzone, Malaria, Einstürzende Neubauten, Andreas Dorau, Die Krupps, Rheingold, Foyer des Arts, Pack, KFC, Der Plan, Palais Schaumburg, Deutsch-Amerikanische Freundschaft (DAF), Ideal, FSK, Trio und beachtlicherweise noch einige mehr übersetzten ab Ende der 70er die musikalische Sprache des Punk über Postpunk und New Wave bis zu Avantgarde und Konzeptkunst in ein sehr eigenes Idiom und fanden so zwischen verschiedenen Eckpunkten des noch frischen Kosmos und federführenden Bands wie Pere Ubu, The Pop Group und The Jam neue, nicht oder lange nicht betretene Pfade in die Pop-Zukunft.

Obwohl sich diese Künstler, anfangs ungläubig bis missmutig beäugt von den etablierten Rockisten und weitgehend unbemerkt von einem Publikum über die einzelnen Szenen in Berlin, Hamburg, Düsseldorf, München, etc. hinaus, fast alle dafür entschieden hatten, Sozialkritik, Dada, bloße Provokation und/oder kompletten Unsinn in deutsche Sprache zu packen, sollte es genau aus diesem Giund in der Geschichte der Rock- und Popmusik in Deutschland schließlich keine zweite Phase geben, die so viel Aufsehen erregte. Die anfangs noch wirklich überaus innovative, des Schlagers oder bloßen Klamauks ganz und gar unverdächtige „Neue Deutsche Welle“, wie der damalige Journalist und als Kleinlabelchef bis heute ansehnliche Wellenmacher Alfred H i lsberg das musikalische Aufbegehren nannte, kam sogar im vom Festland seit jeher neidvoll beäugten England als ein ordentliches Tosen an – zumindest bei Musikerkollegen, Kritikern, John Peel.

Ihren tatsächlichen, weil künstlerischen Höhepunkt erreichte die NDW 1981 – in einer anderen Zeit, einer komplett an deren Welt, auf einem anderen Niveau als Markus und Frl. Menke nur ein paar Monate später. Das Gros der Popmutterländler hatte jedoch für die schrägen Teutonen kein Ohr; Hoffnungsträger wie die Sequencer-Punks von DAF und die nervös rappelnden Wave-Postpunker Palais Schaumburg strampelten sich auf der Insel umsonst ab. Großbritannien war zu sehr mit sich selbst beschäftigt und hatte dafür gute Gründe. Aus Punk war New Wave und daraus inzwischen ein kunterbunter, am liebsten masken- und rollenreicher, romantischer bis schriller Pop geworden, der gerne als Eintagsfliege, aber zuweilen auch auf hörenswerten 33 Umdrehungen/Minute in der Lage war, oberste Chartsplätze zu erreichen – und das in einer bis dahin beispiellosen Konzentration.

Wichtig war für diese Entwicklung die neue Selbstverständlichkeit, mit der Musiker den Sound der jetzt bezahlbaren und ohne Elektroingenieur-Studium unkompliziert bedienbaren Synthesizer in den Pop einfließen ließen. Bei OMD, Human League, Gary Numan, Ultravoxund Depeche Mode, deren 1981 erscheinendes Debüt speak & spell sicherlich (noch) nicht das Zeug hatte, dem entstehenden Genre Synthiepop Leben für mehr als ein paar nette Abende auf dem Tanzboden einzuhauchen, standen die bierernsten Vorbilder von Kraftwerk noch sehr eindeutig Pate. Die smart und soulig groovenden Anzugträger von Heaven 17, die mit purem Sex aufgeladenen Soft Cell und die enigmatischen Visage jedoch entführten die Synthesizer und Sequencer hinüber in eine Musik, zu der Roboter beim besten Willen nicht tanzen konnten.

Pop schlug in Großbritannien, von aller Welt bestaunt und bald auch krampfbis lachhaft kopiert, noch darüber hinaus immer verrücktere Kapriolen. Und tatsächlich konnten diese phantasievoll bis an die Musicalgrenze verkleideten Musikanten mit so bescheuerten Namen wie Dexy’s Midnight Runners und Adam Ant & The Ants sogar Songs schreiben. Mit Talk Talk, Aztec Camera, Orange Juice, Echo & Bunnymen, Feit, Eurythmics, Chameleons, ABC und selbst angehenden Backfisch-Rasendmachern wie Duran Duran und Spandau Ballet standen 1981 auch schon die nächsten Bands in den Startlöchern, die in den weiteren 8oern (obwohl diese in der Nachbetrachtung mittlerweile mehrheitlich geschmäht werden) Pop einen guten Namen gaben. Man gehe ruhig noch mal nachfragen – bei Franz Ferdinand und Kollegen zum Beispiel…«