Neu auf Vinyl


Der Suizid von Sänger Ian Curtis im Alter von 23 Jahren am 18. Mai 1980 trug sehr viel zur Legendenbildung um Joy Division bei. Dass diese Legende von den verbliebenen Bandmitgliedern Peter Hook, Stephen Morris und Bernard Sumner nach Curtis‘ Freitod nicht zerstört wurde, ist vor allem dem Umstand zu verdanken, dass die drei nicht unter dem alten Bandnamen weitergemacht haben, sondern als New Order ein anderes, aber ähnlich wichtiges Kapitel Musikgeschichte mitgeschrieben haben. Das Recht der Jugend auf Zweifel, Fragen und Verweigerung, die immer wieder gerne als politisch motivierte Rebellion missverstanden wird – Ian Curtis hat es bis in die letzte Konsequenz in Anspruch genommen und wurde auf diese Art zu einem Antihelden, wie so viele andere verlorene Seelen im Rock vor und nach ihm. Dass dieses Zweifeln, das in Verzweiflung mündete, von Joy Division in dunkelgraue Post-Punk-Moritaten übersetzt wurde, ist das auf ewig abrufbare Vermächtnis dieser Band. Wir heften ihren Liedern heute das Etikett „zeitlos“ an, weil wir deren Nachhall seit ein paar Jahren in jeder zweiten neuen Band zu hören glauben. Vielleicht ist es zu viel des Guten, zu behaupten, Joy Division wären eine Singles-Band gewesen. Tatsache aber ist, dass solche Schlüsselsongs wie „Love Will Tear Us Apart“ und „Transmission“ auf keinem der beiden Alben Unknown Pleasures (1979) und Closer (1980) zu finden sind. Wobei wir bei + – Singles 1978-80 (Factory/Rhino/Warner) wären, einer handlichen Box mit zehn 7-Inches aus den Jahren 1978 bis 1980 von der Post-Punk-Band, die das Adjektiv „legendär“ wirklich verdient hat.

Natürlich ist es musiknerdige Mäkelei, die muss aber erlaubt sein, weil sich eine derartige Edition von Joy-Division-Singles an niemand anderen als an die Musiknerds richtet: Wenn die Re-Issue-Spezialisten von Rhino Records schon diese Box herausgeben, weshalb sind die Covers der einzelnen Vinylsingles dann keine Eins-zu-eins-Faksimiles? Das Original-Artwork wird hier von einem weißen Rand umsäumt, zu allem Überfluss ist den Covers auch noch ein Schatten unterlegt, was ihrem Besitzer jederzeit in Erinnerung ruft: „Ich bin kein Original.“ Warum wird die Flexi-Disc „Komakino / Incubation / As You Said“ nicht auch als Flexi-Disc beigelegt, sondern als „normale“ Single? Das sind aber die einzigen Kritikpunkte einer ansonsten vorbildlichen Edition. Das Artwork der Box wurde von Peter Saville, Mitgründer von Factory Records, designt. Sie ist weltweit limitiert auf 5.000 Exemplare. Alle Songs wurden von den Originalmasterbändern remastert. Mit dem beigelegten Downloadcode sind sie als 320-kpbs-Mp3 herunterzuladen. Über die Musik von Joy Division muss nichts gesagt werden, nur so viel, diese Box erinnert wieder einmal daran, welche visionäre Kraft in dieser Band gesteckt hat. Die B-Seite „As You Said“ zum Beispiel hat – losgelöst von allen Post-Punk-Traditionen – als Proto-Electro-Track das Tor zu New Order weit aufgestoßen.

Was könnte nach Joy Division schon folgen? Nur eine Band, die auch im Jahr 1976 in Greater Manchester gegründet wurde, deren Sänger aber entgegen vielen Prognosen immer noch am Leben ist: The Fall. Schön, dass das Beggars-Banquet-Label nach der opulenten 4-CD „Omnibus Edition“ von The Wonderful And Frightening World Of The Fall (Beggars/Indigo) dieses achte Album der sehr beständigen Post-Punk-Band aus dem Jahr 1984 auf Vinyl wiederveröffentlicht. Auf dem Second-Hand-Markt ist die Vinylausgabe schwer zu finden. Das wird sich wahrscheinlich nach dem vermutlich sehr schnellen Ausverkauf dieser auf weltweit 5.000 Exemplare limitierten Neuauflage nicht ändern. Hübsches Klappcover, Innenhülle mit neuem Design, 180-Gramm-Vinyl, hervorragende Soundqualität. Die Musik? Steht alles in Musikexpress 12/2010.

Bleiben wir bei der Existenzialisten-Musik. Es hat ein bisschen gedauert, bis das Album des Jahres 2010 (für manche Menschen zumindest) auf Vinyl erschienen ist: Anika (Invada/Cargo), das Debüt der Britin Anika, das mithilfe von Beak

Gleiches (das mit dem länger gedauert haben) gilt für die Doppel-Vinylausgabe von Magnetic Man (Columbia/Sony Music), dem Debüt von Magnetic Man. Wir erinnern uns, das ist die dem Dubstep-Genre zugerechnete Supergroup der Produzenten Benga, Skream und Artwork mit den Gästen Katy B, Ms Dynamite und John Legend. Wir loben jetzt einmal nicht die wunderbare Edition der beiden LPs, 1.000-Gramm-Vinyl gefühlt, sondern empfehlen dringend, diesem Album (in welchem Format auch immer) eine zweite Chance zu geben. Es ist ein Wunderwerk aus Dub’n’Ragga’n’Dancehall’n’Hip-Hop’n’Electronica, dessen Erfolg (Platz 5 in den UK-Albumcharts) viel über den Geschmack der britischen Plattenkäufer aussagt.