Neues vom doppelten Original


Mike Skinner paßt weiterhin gut auf, daß die Marke The Streets fälschungssicher bleibt - und er denselben Witz nicht noch einmal erzählt.

Wo steht der britische HipHop? Schwierige Frage. Vorhin jedenfalls stand er in einem gläsernen Fahrstuhl im Inneren eines zylindrischen Aquariums, das sich mehrstöckig im Foyer eines Berliner Hotels erhebt. Obgleich umschwärmt von heimtückischen Muränen, blauen Riffbarschen und bunten Schmetterlingsfischen, konnte ihn keines der Tierchen so sehr beeindrucken wie der Taucher, der die Scheiben des Aquariums schrubbte. „Wenn ich einmal wirklich reich und berühmt bin“, sagt Mike Skinner nach seiner trockenen Tauchfahrt, „dann kaufe ich mir auch so ein Aquarium! Und sei’s auch nur, um darin einen Taucher herumschwimmen zu lassen, Tag und Nacht!“

Zur sinnlosen Verschwendung, einem Credo des US-Rap, steht der britische HipHop allenfalls in ironischer Distanz. Eine Distanz, die Skinner auf dem dritten Album von The Streets mit ungewöhnlichem Selbstvertrauen und der üblichen Eloquenz auch ganz gut begründet: „Cause we are the ones who invented the language“, singt er in „Two Nations“. Und ist damit tatsächlich mehr als 6.000 Meilen, sechs Jahre und zwei Top-Ten-Alben entfernt vom jungen Michael Skinner, der sich mit Run DMC, Snoop Dogg und dem Wu-Tang Clan in ein aufregenderes Leben hineinträumt. Er führt es inzwischen selbst.

„Okay“, sagt er und nippt an einem Glas Cola Light: „Ich habe mir einen alten Rolls-Royce gekauft, so ein Modell, wie bei Oasis‚ Be Here Now im Pool versinkt. Na und? Ich habe inzwischen mehr Geld in die Restauration gesteckt, als das Wrack gekostet hat. Der Witz ist nur, daß sich die britische Boulevard-Presse jetzt auf alles stürzt.“ Vor vier Jahren sah das noch anders aus. Da war es vor allem die Musikpresse, die sich auf Original Pirate Material stürzte. In den britischen Albumcharts belegte das Debüt von The Streets Platz 12, alle drei Singles („Don’t Mug Yourself“, „Has It Come To This“ und „Let’s Push Things Forward“) erreichten locker die Top 40.

Sogar US-Medien wie Rolling Stone, Spin, New York und Los Angeles Times feierten den Newcomer aus Übersee und erklärten sein Album zu einer der „Platten des Jahres“ 2002. „Das war eine ziemlich turbulente Zeit“, erinnert sich Skinner: „Normalerweise heißt es immer, die zweite oder dritte Platte wäre besonders schwer. Das stimmt nicht: Wenn du deine Richtung gefunden hast, dann schreiben die sich von ganz alleine. Nein, Druck verspürte ich nur einmal: bei Original Pirate Material. Ich war allein, niemand unterstützte mich, und ich wußte: Wenn die Platte floppt, muß ich weiter in meinem normalen Job schuften.“

Auch wenn er das Milieu, in dem er aufgewachsen ist, als „nicht arm, aber auch nicht reich – wirklich langweilig“ bezeichnet, weiß er doch, was das ist: Arbeit. Wo andere Rapper möglicherweise mit Crack dealten, um sich den Traum vom Heimstudio leisten zu können, verkaufte Skinner Hamburger in einem Fast-Food-Restaurant. Und machte seine präzisen Beobachtungen eines rundum unspektakulären Lebens zum Thema einer spektakulären Platte. Als das Londoner Locked-Up-Label sich überraschend bereit erklärte, seine Single „Has It Come To This“ zu veröffentlichen, zog Skinner in den Londoner Stadtteil Brixton-arbeitete aber weiterhin nebenbei, um sich die Miete leisten zu können. Eben noch „irgendein Typ, der in irgendeinem Postbüro irgendwelche Sachen in irgendwelche Umschläge packt“, fand er sich wenige Monate später bei den renommierten Brit Awards für das beste Album, als bester „Urban Act“, als bester Nachwuchskünstler und als bester männlicher Künstler nominiert. Es gibt nicht wenige Musiker mit weitaus weniger steilen Karrieren, denen ein solches Tohuwabohu viel mehr zu Kopf gestiegen ist. Skinner indes ließ sich nicht nur nicht irritieren – er legte es darauf an, sein Publikum gleich mit der zweiten Platte vor den Kopf zu stoßen: A Grand Don’t Come For Free war ein Konzeptalbum. Und kam 2004 zu einer Zeit, da selbst Progrocker sich keine kapriziösen „Konzepte“ leisten durften, wollten sie nicht kommerziellen Genickbruch erleiden. Aber Skinners HipHop-Oper über das mysteriöse Verschwinden und Wiederauftauchen von 1.000 englischen Pfund war… anders, diente die Geschichte doch nur als roter Faden in einer losen Songsammlung: „Es hat schon Spaß gemacht“, räumt Skinner ein, „die Szene ein bißchen zu provozieren“. Und, wie nebenbei, das Spektrum dessen zu erweitern, wovon HipHop erzählen kann und will. Skinners Provokation schoß nicht nur auf Platz 1 der UK-Albumcharts – der immense Erfolg der Singles „Fit But You Know It“ und „Dry Your Eyes“ weckte noch größeres Interesse an dem Wunderknaben und spülte sogar sein Debüt-Album wieder in die Charts.

Wenn man ihn nach seinem Handwerk fragt, nach seinen Tricks, dann muß Skinner nicht lange überlegen: „Ein guter Song braucht auch heute noch, was ein guter Song vor30 Jahren gebraucht hat: Konflikte, Action und eine gute Geschichte. Das Problem damit ist nur, daß dieser Witz schnell erzählt ist“, grübelt Skinner und nennt als Beispiel den Rapper 50 Cent: „Du denkst, du hörst einem Typen zu, der ein wahnsinnig gefährliches Leben führt. Aber das ist nicht wahr. 50 Cent lebt ungefähr so wie ich, er wird interviewt, sammelt Preise ein, geht auf Partys. Wäre er ein Produkt, müßte man ihn für eine Fälschung halten. Das gilt auch für Eminem, der daraus ja schon die Konsequenz gezogen und aufgehört hat.“

Für sich selbst hat Skinner einen anderen Weg gefunden, dieser Authentizitätsfalle zu entgehen: „Ich erzähle einfach nicht so viele Märchen wie die meisten anderen Rapper. „Statt dessen rappt Skinner über stolpernden Two-Step Alltägliches, über leere Akkus, verlorene Wetten („Eines meiner Laster“, wie er zugibt), bunte Pillen und Nächte an der PlayStation. Auch vor der Verarbeitung peinlicher Erlebnisses schreckt er nicht zurück. In dem neuen Stück „Fake Streets Hats“ geht es darum, daß er bei einem Konzert in Amsterdam sein Publikum beschimpfte: „Die trugen The-Streets-Hüte, und ich dachte: Hey, verdammt, es gibt keine The-Streets-Hüte!“ Gib es dann aber doch: Seine holländische Plattenfirma hatte die Hüte ohne sein Wissen als Merchandising unter die Leute gebracht. Es ist also inzwischen doch alles eine Nummer größer bei Mike Skinner. Ging es früher um so wichtige philosophische Fragen wie die, ob Saufen oder Kiffen ehrenvoller ist, vergleicht er heute „two great european narcotics: alcohol and christianity“ und liefert sein augenzwinkerndes Urteil in „Never Went To Church“ gleich mit: „I know which one I prefer.“ Daß er seinem forensischen Blick und der genauen Beobachtung auch mit wachsender Prominenz treu bleiben will, ist auf „When You Wasn’t Famous“ zu hören. Die erste Singleauskopplung von The Hardest Way To Make An Easy Living klingt wie ein Nachruf auf die Promi-Liebe zwischen Pete Doherty und Kate Moss, die bekanntlich beim Koksen im Babyshambles-Studio abgelichtet worden war: „The thing that’s got it all fucked up now is camera phones“, schimpft Skinner gleich zu Beginn: „How the hell am I supposed to be able to do a line in front of complete strangers when they’ve all got cameras?“

Wenn er sich selbst allzu sehr von der britischen Boulevardpresse belauert sieht, haut Skinner ab nach Italien. „Nein, nein, ich habe dort kein Haus“, wehrt er ab: „Ich reise einfach nur gerne durch das Land, weil es warm ist und mich dort kein Schwein kennt.“ Aber auch in seinem neuen Londoner Studio, betont Skinner, sind Handy-Kameras unerwünscht. Nicht, weil er lieber unbeobachtet seine Nasenscheidewände ruinieren würde. Sondern weil er es seit seinen Anfängen im heimischen Schlafzimmer gewohnt ist, in einer „geschützten Sphäre“ Musik zu machen. Wobei es zu geschützt auch nicht sein darf, weil sonst die Kreativität abhanden komme: „Angenehm ist es dann, wenn man es sich nicht zu angenehm macht. Die meiste Kraft kostet es, sich von sich selbst abzusetzen … und nicht denselben Witz wieder und wieder zu erzählen. Vielleicht ist es das: Du mußt jedesmal einen neuen Witzfinden, den du erzählen kannst.“

Als Musiker, der sich selbst schon mit den Lorbeeren (und Gewinnausschüttungen) für sein Debüt hätte zur Ruhe setzen können, hat Skinner ein natürliches und besonderes Interesse für all die anderen gefeierten Debüt-Alben, mit denen die englische Rockszene derzeit gesegnet ist. Seine Kollaboration mit Bloc Party beim Remix ihres Hits „Banquet“ will er trotzdem als einmalige Angelegenheitverstanden wissen: „Ich stecke bis über beide Ohren im HipHop, im Grime, und verfolge die Rockszene eigentlich nicht. Aber um ehrlich zu sein: Ich liebe die Arctic Monkeys! Kaiser Chiefs und Hard-Fi sind weniger mein Ding. Aber egal: Es scheint, als wäre es plötzlich wieder irgendwie cool, ein britischer Musiker zu sein. „Obwohl Skinner selbst manchmal klingt, als hätte er diese Phase der Karriere bereits hinter sich, „Das größte Ding in meinem Leben“, sagt er, „ist meine eigene Plattenfirma. Ich bin umgeben von Leuten, die genau wissen, worauf es mir ankommt. Früher war ich mutterseelenallein. Tatsächlich entspricht fast alles, was bisher auf seinem Label The Beats erschienen ist, Mike Skinners spezifisch britischer Haltung der Welt gegenüber: Neben den musi kaiischen Wurzeln in der UK-Garage-Szene geht es ihm vor allem um „the real thing“, um „facts“ vor der eigenen Haustür, nicht um „fiction “ und musikalische Wolkenkuckucksheime US-amerikanischer Bauart in Technicolor. Ob es ihm deshalb auch eine diebische Freude ist, dem HipHop vollkommen wesensfremde Klänge unterzujubeln? So besteht zum Beispiel der Refrain von „Can’t Con An Honest John“ aus einer lupenreinen Folkmelodie. „Glückwunsch Du bist der erste, der das bemerkt hat. Ohne Scheiß!“, sagt er grinsend, seine schlechten Zähne entblößend: „Mir ging es bei diesem Stück um so ’ne Art Robin-Hood-Feeling, und da kommt man am Folk nicht vorbei“.

Gleichwohl scheint Mike Skinner nicht alle Auswüchse des US-Kapitalismus abzulehnen: Seit August 2005 ist er Teil der Werbekampagne des Sportbekleidungsherstellers Reebok (Slogan: „I Am What I Am „) – zusammen mit Größen wie 50 Cent, Jay-Z oder Nellv. Wieviel Skinner für den Deal kassiert hat, mag er uns nicht verraten. Aber es heißt, die Summe sei sechsstellig gewesen. Skinner imitiert die Stimme von Marion Brando in „Der Pate“ und zitiert dessen berühmten Satz „Sie haben mir ein Angebot gemacht, das ich nicht ablehnen konnte“, bevor er zur eigenen Stimmlage zurückkehrt und fortfährt: „Ich hatte gehofft, mir davon einen eigenen Fernsehsender kaufen zu können“, seufzt Mike Skinner, „aber dafür hat’s dann doch nicht ganz gereicht. Nur für das neue Studio.“

Zum Vertrag gehören nicht nur Foto-Termine für Reebok-Plakatwände weltweit, sondern auch, daß Skinner sich in der Öffentlichkeit ausschließlich in Turnschuhen dieser Marke zeigt. Um quasi wenigstens ein kleines Zeichen der Rebellion zu setzen, trägt Skinner ausgesprochen häßliche und überdies verschiedenfarbige Schnürsenkel, pink und gelb in leuchtendem Neon.

Wo also steht der britische HipHop heute? In gesponserten Turnschuhen von Reebok. Aber nicht mehr lange. Der Vertrag ist befristet, wie Skinner sichtlich erleichtert erzählt: „Wenn ich mich anständig benehme, bin ich im August wieder raus aus der Nummer wegen guter Führung.“

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