Open-Air Festivals


Der nächste Sommer kommt bestimmt! Und mit ihm die Festival-Welle. Nach Konzerten in stickigen Sälen und verräucherten Clubs ist nun wieder Rock unter freiem Himmel angesagt. Die Zeit der mehrtägigen Mega-Festivals ä la Woodstock allerdings ist passe. Glücklicherweise auch Desaster wie Scheeßel, Regen-Katastrophen wie Fehmarn, brennende Bühnen wie auf der Loreley, Morde wie in Altamont. Heute plagen die Veranstaltern andere Sorgen: Absprachen mit den Bauern, verkehrstechnische Regelungen, Finanzierungsprobleme. Hintergründe zum Thema "Freiluft-Rock", eine Auflistung der lohnenswertesten Open Airs erstellt ME/ Sounds zu Beginn der heißen Saison....

Das Ganze findet mit dem Dolch im Gewände statt, sagt Marek Lieberberg von Mama Concerts über das unterkühlte Verhältnis der deutschen Großveranstalter untereinander.

In den nächsten Wochen ist es wieder soweit: Ring frei – die Giganten lassen die Muskeln spielen. Während über das Jahr Hunderte von „normalen“ Konzerten den Hintergrund für extensive Trainingsrunden bilden, machen sie jetzt den Heavy-Weight-Champion untereinander aus: Wer ist der Größte der Großen bei den über 30 Open Airs in diesem Sommer?

Illustre Namen der internationalen Musik-Oberliga von Bowie über Supertramp, Rod Stewart, Chris de Burgh bis hm zur Hippie-Legende Crosby, Sülls and Nash sollen beim großen Fight die nötige Schlagkraft liefern.

Ein Gewinner scheint allerdings schon vorher festzustehen: Das Publikum. Die Zeiten, als der Begriff „Festival“ den Ruch des Unseriösen an sich hatte, als man darauf vorbereitet sein mußte, statt zündender Musik brennende Bühnen zu erleben, sind seit einigen Jahren Vergangenheit.

So sind die Veranstalter heute auch vorsichtig geworden, nennen lieber einen zugkräftigen Namen zuwenig als zuviel und gaben sich auch bei unserer telefonischen Terminumfrage (siehe Festival-Übersicht) teilweise noch recht zugeknöpft, was genaue Programmabfolgen und Daten anging.

Ein siegessicheres Lächeln zumindest wenn es um die vermutlich größte Zuschauermenge bei einer Einzelveranstaltung geht – kann auch ein Veranstalter aufsetzen, der eigentlich außer Konkurrenz mitmischt: Die SDAJ, Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend mit ihrem 4. Festival der Jugend, das beim letzten Mal 210 000 Leute auf das Gelände der Dortmunder Westfalenhallen lockte.

Über 4 000 freiwillige Helfer machen aus der ursprünglichen Polit-Show ein Unterhaltungs-Spektakel sondergleichen. Finanziert wird das Unternehmen aus Spendenaktionen, Eintrittsgeldern und nicht zuletzt durch die Eigeninitiative der Beteiligten, die hohe Personalkosten überflüssig macht. Für Vorwürfe, das Festival der Jugend werde durch großzügige Geldspritzen aus Ost-Berlin auf Hochglanz gebracht, hat Pressesprecher Axel Merseburger nur ein müdes Lächeln übrig: „Du kannst ja mal die Helfer fragen, woher sie das, viele ‚ Geld bekommen …“

Dafür gibt man sich auch weltoffener als in früheren Zeiten. Wo man früher kommerzielle Großveranstalter als Kapitalisten abtat, bekommt wenigstens einer aus dieser Riege lobende Worte ab: Fritz Rau, der mit der organisatorischen Durchführung der „Grünen Raupe“ und der Ton, Steine, Scherben/Schroeder Roadshow-Tournee von seiner politischen Grundüberzeugung Zeugnis ablegt. „Wir finden“, so die SDAJ, „das gut und wichtig, wenn Leute trotz und mit ihrem Erfolg zu den brennenden Fragen unserer Zeit eindeutig Stellung beziehen.

Ob der für seine bärbeißige Art bekannte Rau sich über derlei Schulterklopfen aus der SDAJ-Ecke freut, ist nicht überliefert, aber in den Open-Air-Arenen ist er natürlich diesmal auch wieder dabei. Seine Zugpferde sind: David Bowie, Rod Stewart, Elton John, Joan Baez, Konstantin Wekker, Bettina Wegener. Ein Jahrzehnt-Knüller wie die Rollmg-Stones-Tournee des Vorjahres ist diesmal nicht dabei, darum zieht es Rau auch nicht in die Fußballstadien, wo seine Mitbewerber vorwiegend ihre Festivals steigen lassen.

Rau’s Philosophie zum Thema Open Air: „Open Airs in Fußballstadien sollte man nur dann machen, wenn ein überragendes Ereignis draus wird. Es gibt nichts Traurigeres als halbleere Stadien.“ Die Magie eines Festivals entsteht für ihn erst durch den Headliner: „Natürliche Headliner sind z. B. die Stones oder die Who.“

Auf einen oder zwei attraktive Namen setzen auch die anderen Agenturen. Nicht wie früher die Masse lockt Leute auf die Festivals, sondern eine Top-Besetzung. Marek Lieberberg von Mama: „Man braucht einen oder zwei Stützpfeiler, die verschiedene, allerdings sich nicht ausschließende Pubhkumskreise ansprechen. Um diese Basis baue ich mir ein paar schöne Kulissen in Form von anderen Gruppen, die ms Programm passen.“

Wie weit ein solches Spektrum auseinanderklaffen darf, darüber gibt es verschiedene Auffassungen. Fritz Rau: „Gar nicht – alle müssen Spitze sein.“

Für Mama ist es kein Tabu, so unterschiedliche Acts wie Chris de Burgh und Nena auf einer Bühne spielen zu lassen, was Werner Kuhls von Sunrise, der Dritte im Bunde der Großen, schlichtweg für Blödsinn hält.

Marek Lieberberg hält sein Konzept für richtig: „Das ist ein sehr musikalisch ausgerichtetes Programm, kein New-Wave-Paket, kein Hardrock-Paket, sondern ein Paket, das ein breites Publikum anspricht, ohne bestimmte Leute zu brüskieren.“

Beim Thema Heavy Metal scheiden sich übrigens die Geister. Während Werner Kuhls immer wieder mit Erfolg auf dieses Genre setzt (siehe ME/Sounds 4/ 83), und mit der möglichen Kombination Rainbow, Scorpions, Journey diesmal zumindest Artverwandtes anpeilt, gehen die anderen das Thema mit spitzen Fingern an. Lieberberg: „Deep Purple war unsere letzte Heavy Metal-Tournee, dabei kann es auch bleiben. Das mag eine berechtigte Art von Geräuschproduktion sein, hat aber als Musik keinen künstlerischen Wert.“

Eng verknüpft mit dem Reizwort Heavy Metal ist auch die früher häufiger zu beobachtende Gewalt auf Festivals. Fritz Rau schlägt den Bogen zur Friedensbewegung: „Die Gewalt ist auf jeden Fall im Rahmen der generellen Friedensbewegung sehr, sehr stark zurückgegangen. Ausnahme: HM.“

Da befindet er sich sogar in seltener Übereinstimmung mit seinem Konkurrenten von Mama:

„Das Publikum war nie vernünftig und wird nie vernünftig auf dem Hardrocksektor.“

Die Open Airs in der BRD haben in der Tat eine wechselvolle Geschichte, die nicht selten begleitet war von Schlagzeilen über plündernde Festivalbesucher, die sich (oft zu Recht) um ihr Geld betrogen fühlten, über gestürmte Bühnen, über Auseinandersetzungen mit der Polizei.

Obwohl seit 1970, als das Festivalfieber in Deutschland ausbrach, eine Vielzahl von derartigen Veranstaltungen reibungslos und friedlich über die Bühne ging, scheinen solche Zwischenfälle sich im Gedächtnis von Bevölkerung und Behörden recht hartnäckig festgesetzt zu haben.

Dementsprechend schwierig sind oft die Verhandlungen der Veranstalter. Lieberberg: „Früher war es natürlich noch viel schlimmer, da haben die Leute doch gedacht, auf Festivals würden schwarze Messen gefeiert, .Rosemaries Baby‘ mit 100 000 Teilnehmern.

Die Stumpfsinnigkeit und Borniertheit von Behörden verhindert es aber heute noch z. B., daß ich wieder ein 2-Tage-Festival veranstalten kann. Ich kriege für eine Betonburg wie den Hockenheimnng einfach keine Genehmigung, während die Motorsport-Wilden da zwei, drei Tage den Ring belagern dürfen, wild zelten und im Wald ihr Feuerchen anmachen können, nur weil da die Rennsportmdusthe ihre Finger drin hat“

Werner Kuhls erinnert sich:

„Seit 1975 habe ich auf x Sitzungen mit Engelszungen auf Funktionäre, Behörden und Kommunen eingeredet, und da drehte sich einem wirklich manchmal der Magen um, wie blöd die Leute sein können. Inzwischen befindet sich die Bundesliga auf dem absteigenden Ast, die Leute bleiben weg, die Stadien stehen leer. Und plötzlich geht’s…“

Daß bei derartigen Größenordnungen überhaupt ein Außenseiter in die Phalanx der Giganten eindringen kann, ist äußerst selten.

Werner Kuhls nennt die Zahlen, mit denen man kalkulieren muß:

Ich hinterlege für meine Festivals allem eine Kaution von einer halben Million. Ein Stadion kostet pro Tag 100000,- DM Miete, der Bühnenaufbau kostet noch einmal 60 000,- bis 70 000.- DM.“

Einer Münsteraner Veranstaltergruppe ist es allerdings mit solidem Handwerk und einer Menge Glück gelungen, seit 1979 ins „Who is Who“ für Festivalveranstalter von Rang aufzusteigen: Das Schüttorfer Open-Air erlebte eine Steigerung von 5 000 Zuschauern im ersten Jahr über 18 000 im zweiten bis auf über 30 000 im Jahre 1982.

Hubert Steinert, der zusammen mit Johannes Wessels die Firma Majokri leitet, mutmaßt über Gründe: „Wir hatten immer eine sehr realistische Einschätzung. Die von uns in der Kalkulation zugrundegelegten Zuschauerzahlen lagen immer unter den tatsächlichen Zahlen, so daß wir stets Überschüsse hatten. Im Vorfeld haben wir für solide finanzielle Absicherung gesorgt, und so hat es sich inzwischen auch international herumgesprochen, daß Schüttorf seriös ist, So war es dann letztlich auch kein Problem, Leute wieZappa (1982) oder Rod Stewart zu holen.“

Zugute kam den Veranstaltern

sicher auch das überdurchschnittlich kulante Verhalten der Gemeinde Schüttorf, die Parkplätze, wilde Zeltplätze etc. willig bereitstellt – und natürlich das gute Wetter, das Majokri vom Fleck weg hohe Zuschauerzahlen bescherte.

Für die ganz großen Festivals spielt allerdings das Wetter nur eine untergeordnete Rolle. Zwar holen die Veranstalter Langzeitprognosen ein – das erste September-Wochenende (Golden Summemight am 3./4.9J und die Juni-Mitte gelten als besonders trocken – aber bei wirklich überragenden Acts läßt sich das Publikum nicht abhalten, auch bei Regen in die Open-Air-Arenen zu strömen.

Zu diesen Acts zählen auch Crosby, Sülls and Nash, Mike Oldfield und Joe Cocker, die bei den Sunrise-Festivals antreten. Werner Kuhls erläutert an diesem Beispiel, wie die Planung für solche Veranstaltungen abläuft:

„Das ist wie ein Puzzlespiel: Alles muß zusammenpassen, aber die einzelnen Steinchen muß man sich erstmal suchen.

Man trifft zunächst eine grobe Auswahl unter den Künstlern, die für Gastspiele in der fraglichen Zeit angekündigt sind. Zuerst war für mich klar, daß ich C. S & N haben wollte. Als ich mit denen handelseinig war, bin ich nach London geflogen und habe mich drei Stunden mit Oldfield unterhalten. Der dritte war für mich Joe Cocker, der auch bei den anderen allgemeinen Anklang fand.

Dann geht’s darum, wer wann spielt und welche Namen wie groß aufs Plakat kommen, wobei die Egos der Manager zum Vorschein kommen. Das wird oft hart ausgepokert, wobei allerdings die Erfahrung des Veranstalters eine ganz gewichtige Rolle spielt.

Wieviel Einfluß die Manager der Supergruppen wirklich haben, ob es z. B. sogenannte Pakkage- Deals gibt, bei denen ein zugkräftiger Top Act nur dann kommt, wenn der Veranstalter bereit ist, weitere bei dem jeweiligen Management in Arbeit und Brot stehende Gruppe zu verpflichten, darüber gehen die Statements auseinander.

Hubert Steinen von Majokri; „Das sind mehr Empfehlungen als Verpflichtungen. Darauf einlassen muß man sich also nicht. “ Werner Kuhls: „Natürlich gibt es so was, das ist doch naheliegend. David Crosby steht z. B. auf irischen Folk. Da kann man den ehemaligen Sänger von Planxty mit seiner Gruppe Movmg Hearts hervorragend als Vorprogramm einsetzen. So was akzeptiere ich. weil es gut paßt. Aber daß die mir jetzt ihre ganzen Gruppen reindrücken – kommt gar nicht in Frage.“

Schlechte Zeiten sind für deutsche Gruppen auf den diesjährigen Festivals angebrochen. Wo im vergangenen Jahr noch einheimische Namen auf den Plakaten standen, greifen die Veranstalter heute lieber wieder auf traditionell erfolgreiche Ausländer zurück.

Werner Kuhls bestreitet eine generelle Aversion gegen deutsche Bands: „Die sind auf jeden Fall gern gesehen, wenn sie ins Programm passen. Aber nenn mir doch mal die deutschen Gruppen, die du heute noch für so ein Festival verpflichten könntest.

In mein Programm würden zwei passen: Karat und BAP, aber da gibt es zu viele Probleme. Karat hat ein miserables Management, das sie völlig konfus über die Dörfer tingeln läßt. Ich kann sie nicht auf einem 30 000-Leute-Festival spielen lassen, wenn sie am nächsten Tag im Nachbarort in irgendeinem unbedeutenden Club spielen.

BAP würde ich allerdings mit Kußhand sofort nehmen, und die würden auch viel Geld dabei verdienen. Aber das Problem ist auch hier der Manager, der zugleich Tournee- und Konzertveranstalter ist und mich infolgedessen als Konkurrenz sieht.“

Ein Festival wird – wie im vergangenen Jahr – aus dem Rahmen aller anderen Open-Airs fallen: Die WDR-Rockpalast-Nacht auf dem traditionsreichen Loreley-Felsen. In der Nacht vom 21. auf den 22. August werden wieder viele Millionen Fernsehzuschauer live dabei sein, wenn vermutlich drei bis vier Gruppen zwischen 16 und 24 Uhr auftreten werden.

Die Loreley wird seit drei Jahren von den Brüdern Hudalla aus Düsseldorf betreut; Marcellus Hudalla ist Geschäftsführer der Loreley-Amphitheater-Gesellschaft, während sein Bruder Conny mit der Blitz-Musik-Konzertagentur die Durchführung der Festivals leitet.

Auch sie können ein Lied davon singen, wie man gegen Vorurteile der Bevölkerung ankämpfen muß, um schließlich eine reibungslose Arbeit zu gewährleisten:

„Die ersten zwei Jahre haben wir damit zu tun gehabt, die Vorurteile abzubauen. Da mußt du zu jedem einzelnen Bauern fahren, jede Gemeinderatssitzung besuchen, jeden Bürgermeister aller Teilgememden von St. Goarshausen zu deinem Verbündeten machen. In so einem kleinen Ort weiß ja jeder alles, und alle sind sich einig in ihrer Skepsis gegen die Loreley-Open-Airs.

Dann mußt du mit den Bauern den Erntezyklus abstimmen, damit rechtzeitig die Felder als Parkplätze zur Verfügung stehen, da mußt du mit der Autofähre verhandeln, daß sie an Festivaltagen den Betrieb nicht um 23 Uhr einstellt, da mußt du Zeltflächen besorgen, das Turnerjugendheim zur Polizeiunterkunft umfunktionieren etc.“

Wieviel Open Airs heute noch mit Woodstock-Romantik und Idealen von Freiheit zu tun haben, dessen ist sich auch Fritz Rau nicht sicher: „Keine Ahnung. Für uns ist das hinter der Bühne und hinter den Kulissen so viel Arbeit, daß wir von Freiheit nichts mitkriegen“

Und ob es noch einmal so frei zugehen wird wie vor Jahren auf dem dänischen Roskilde-Festival, das ist sehr die Frage. Damals waren Dr. Hook so frei (weil’s so warm war und die Mädels im Publikum auch nix mehr an hatten), sich für ihr Konzert freizumachen und zwar restlos – bis auf die Augenklappe, versteht sich.