Pink Floyd


Jede Entwicklung ist wichtig. Auch in der Rock-Musik. Hier haben Pink Floyd Pionierarbeit geleistet. Diese Musik ist ja der Allgemeinheit viel zugänglicher, als das Elitäre, das wir machen“, meinte vor Jahresfrist Professor Rolf Liebermann, Operintendant von Weltruf.

Richtig: wie kaum eine andere Band begleitete Pink Floyd uns Mitteleuropäer durch die halbwilden spätsechziger Jahre und die lahmen frühsiebziger Jahre. Uns Mitteleuropäer? Ja, denn damals galt Pink Floyd in Amerika noch recht wenig und außerdem besaß man drüben noch untergründigere Bands wie die Doors oder gar die Fugs. Wenn sich aber bei uns Leute jenes Kalibers trafen, die „Abbey Road“ als müden Aufguß empfanden und gerade auf die bunte CBS-Platte „That’s Underground“ hereingefallen waren, dann kreiste das Gespräch fast immer um Pink Floyd: Waren sie noch so progressiv wie früher oder nicht oder noch mehr? Ganz zu Anfang haben wir die Floyds echt unterschätzt, später dafür zu wichtig genommen. Wer mit ‚wir‘ gemeint ist? Frag‘ Dich selbst, ob Du dazugehörst und da zugehört hast!

Im Sommer ’71 saß ich mit Ulli mal in irgendeiner Bucht der Cala Portinatx auf Ibiza und wir sangen das Floyd-Album „More“ halbwegs durch, „Cirrus Minor“ und so. Den zugehörigen Spielfilm hatten wir gesehen, und der handelte von einem Jüngling, der sich derart befreite, daß er aus Deutschland wegzog nach Jbiza, dort per Drogen ausflippte und schließlich, wenn ich mich recht entsinne, an einer Überdosis umkam. Letzteres verdrängten wir; im Sinn hatten wir bloß farbenprächtige Bilder von Ibiza, untermalt vom Soundtrack der Floyds. Und wegzuziehen, sich aus dem Alltagstrott auszuklinken und auf einer seinerzeit noch einigermaßen hippiehaften Insel das gelobte Tunix-Land zu finden – das faszinierte uns damals.

Der Ulli, Computer-Mann bei einer Schiffsschraubenfabrik, hat dann das für ihn wohl genau Passende gemacht: Beruf gekündigt, Sparkonto aufgelöst und auf Ibiza eine Art ausgebauter Hundehütte gemietet. Die Walli und ich haben ihn dort auch besucht, als Pauschal-Touristen, und ich muß zugeben, daß ich damals ein bißchen neidisch war: Während auf mich zuhause Mensa-Mittagessen und Aktenordner selbst in den Semesterferien warteten, fragte der Ulli seinen Freund, ob man zuerst noch ein Pfeifchen rauchen und „Atom Heart Mother“ hören oder gleich an den Strand gehen wolle. Tunix im Quadrat. Zwar ist der Ulli später auch bürgerlicher und Discjockey in einer Discothek in Kitzbühel geworden – aber das liegt von der Schiffsschraubenfabrik doch immer noch reichlich weit weg.

Klar, Leute wie Ulli haben sich nicht wegen Pink Floyd ausgeklinkt, sondern aus persönlichen Gründen. Aber der Zeitgeist um 1970 wirkte dabei erheblich mit, und der wurde zu einem guten Teil vom Rock im allgemeinen und Pink Floyd im besonderen geprägt. Es gibt nämlich noch einige andere Geschichten, in denen Pink Floyd-Musik als Vehikel für gewisses Denken und Handeln wirkte, nicht ausschlaggebend, aber mitgestaltend.

Erinnert euch nur mal an die zahlreichen Rockfestivals Anfang dieses Jahrzehnts, auf denen wir den Bands mehr oder minder begeistert zugehört und zugejubelt haben bis dann als Höhepunkt Pink Floyd die Bühne betraten. Da verstummte der Jubel meistens und wir hörten auch nicht mehr zu, denn bei den Floyds wurde sich langgelegt, da veränderte sich binnen Minuten der Geruch in der Halle, und man versuchte die Band zu erleben, einzuatmen und aufzusaugen. Viele von uns benutzten hierzu Hilfsmittel, was eigentlich kein Kompliment für die Floyds war, denn Hasch oder Bier oder beides vernebelte gerade jene Sinne, die die vier Musiker auf der Bühne anzusprechen vorgaben.

Schon die Song- und LP-Titel versetzten und scheinbar in andere Dimensionen: „Eine Untertasse voller Geheimnisse“, „Steh“ den. Kurs ein zum Herzen der Sonne“, „Der Pfeifer am Tor der Morgenröte“ oder ganz einfach „Interstellar Overdrive“. Dazu waberte dann im 360-Grad-Stereosound eine unwirkliche Musik, wurden durch einen sogenannten Azimuth-Koordinator Klangcollagen eingemixt, und wenn die Floyds mit der simplen Dramaturgie der stetigen Steigerung „Careful With That Axe, Eugene“ hochtrieben, wirkte das wie eine befreiende Explosion. Genau wie in der Schlußsequenz von Michelangelo Antonionis Film „Zabriskie Point“, in der eine riesige, auf einem Hügel gelegene Villa explodierte und in Cinemascope-Flammen aufging. Antonioni hatte dazu „Careful With That Axe, Eugene“ als Begleitmusik gewählt.

Vielleicht mit Ausnahme des ersten Floyd-Albums sind die Klänge der Band immer Filmmusik gewesen. Nicht unbedingt für einen bestimmten Zelluloidstreifen, aber als Soundtrack zu einem gewissen Feeling, zu einer gewissen Lebenshaltung und -erwartung, die in weiten Kreisen der Rockfans vorherrschte. Pink Floyd-Musik ließ absichtlich immer eine Dimension offen: die der Phantasie. Und da sich viele Jugendliche nach den unruhigen Spätsechzigern nach Verinnerlichung, nach geistigen Trips sehnten, boten sich die Sphärenklänge der Floyds zum zwei-, dreistündigen Wegtreten und Wegdenken geradezu an. Diese Musik ließ stärker als alles andere unzählige Assoziationen zu, besonders im Umfeld von Räucherstäbchen, Haschwölkchen und nach Indien aussehendem Inventar.

Dabei besaßen Pink Floyd allerdings auch wenig Konkurrenz. Yes etwa, die später zur Verinnerlichungs-Band gerieten, spielten damals noch ziemlich rockig Lennon/McCartney’s „Every Little Thing“. Clark-Hutchinson mit ihrer angeblichen Drogenmusik wurden ebensowenig bekannt wie die Band Brainticket (sie!), die auf ihrer LP „Cottonwoodhill“ etwas von „LSD/Hashish/ Fixy/Jointy-Sound“ faselte und zum „trip to your inner light“ aufforderte. Aber dies alles wirkte wie Musik zum angeordneten Ausflippen, ohne Selbstbeteiligung des Hörers. Pink Floyd ließen einem erheblich mehr Freiraum, sich die Sache phanatsievoll auszumalen. Gewiß klangen „Saucerful Of Secrets“ oder „Astronomy Domine“ nach Weltraum, aber nur der Raum war dabei vorgegeben, die Ecke konnte man sich selber aussuchen. Und so zogen denn die Floyd-Hörer völlig unterschiedliche Konsequenzen: Da gab’s Ausklinker wie den Ulli oder Kopfhörer-Fetischisten wie mich („More“ hat mich dieser Tage sofort wieder an Ibiza erinnert); auf der anderen Seite liefen auch eine Menge selbsternannter Progressiver herum, die tatsächlich glaubten, Musik könne bewußtseinserweiternd wirken, und die einen schief ansahen, wenn man mangelnde Hasch-Erfahrung offen zugab (und da half einem dann auch intensive Pink Floyd-Kenntnis nichts mehr); schließlich gab’s noch einige junge Geschäftsleute, die den Boom schnell erkannten, Kneipen zum ausdrücklichen Rumhängen eröffneten, diese etwa „Hasch“ nannten (was natürlich zweideutig gemeint war) und es ihrer Stammkundschaft nicht übelnahmen, wenn sie den Wirt wegen des zwangsläufigen Bier-Preises einen Kapitalisten schimpften und dann doch bezahlten. Sowas war durchweg üblich. Jedenfalls, Pink Floyd waren für viele da, gleich welcher speziellen Tendenz auch immer, weil es hier bloß um Musik ging und die Texte völlig unwichtig waren.Denn Floyd war stets eine völlig unpolitische Band, obwohl sie gerade bei denen gut ankam, die sich an Politik interessiert zeigten. Aber letzteres gaukelten ja viele Leute vor: Wären all jene, die heute noch von den Demos und Sit-ins Ende der Sechziger schwärmten, tatsächlich dabei gewesen… aber es waren keine Hunderttausend, die damals auf die Straße gingen.

Pink Floyd waren stets die Begleitband für die erste Mondlandung, also für Wissenschaft und Technik; nicht aber für Ostermarsch, Rassendiskriminierung und den Muff von tausend Jahren unter den Talaren. Auch in den sogenannten wilden Sechzigern. Denn als die Texte in den Floyd-Songs noch wichtig waren, da stammten sie von Syd Barrett und besaßen nichts Reales, aber viel Märchenhaftes, Naives und ein bißchen Science Fiction. Roger Keith ‚Syd‘ Barrett war am 6. Januar 1946 in Cambridge geboren worden und hatte drei Jahre lang an der Camberwell Art School studiert. Der Einzelgänger pflegte einen recht unüblichen Gitarrenstil und trat Ende 1965 einem Trio bei, das sich nacheinander Sigma 6, The T-Set und The Abdabs nannte und ein wenig Rhythm’n‘ Blues spielte. Alle vier Musiker hatten die gleiche Grundschule besucht und Barretts neue Mitstreiter studierten seinerzeit am Londoner Polytechnikum in der Regent Street.

Barrett gab der Band einen neuen Namen, der sich aus den Vornamen zweier Bluesmusiker zusammensetzte: Pink Floyd (von Pink Anderson und Floyd Council). Dann drillte Barrett die anderen drei in Richtung Psychedelia um, setzte durch, daß das Repertoire vorzugsweise auf bizarre Barrett-Kompositionen umgestellt und diese dann zu allerlei Lichteffekten live dargeboten wurden. In der Tottenham Court Road lag ein Club namens „UFO“, und nach einem Jahr waren Pink Floyd die dortige Hausband. Sie benutzten nun Licht-Effekte, die an der Hornsey Light & Sound School (nebenan, in der Hornsey Art School übrigens, hat Ray Davies studiert) entwickelt worden waren und ließen das Gros des Publikums meist verwirrt nach Hause gehen. Trotzdem: Die Band hielt an ihrem befremdlichen Stil fest – Pink Floyd bestanden damals nun mal hauptsächlich aus Syd Barrett.

Die ersten drei Singles „Arnold Layne“, „See Emily Play“ und „Apples And Oranges“ stammten aus seiner Feder; ebenso die entsprechenden B-Seiten und fast alle Songs der Floyd-LP „The Piper At The Gates Of Dawn“. Und da war dann oft die Rede von Gnomen und Vogelscheuchen – versponnen und versonnen wirkten diese Kabinettstückchen voller Geistessprünge, thematisch wie harmonisch.

Als wir im März ’67 „Arnold Layne“ erstmals hörten und – weil stets sprungbereit vor dem Grundig-Tonbandgerät mit dem Drehknopf – auch mitschnitten, spulten wir das Band erst mehrmals zurück, um festzustellen, ob das ernstgemeint war, was diese Pink Floyd als ihr Debüt servierten. Denn unsere Ohren waren mehr an Beat und seine Ausläufer, an die Troggs und die Beatles gewöhnt – Pink Floyd dagegen klangen so neu wie allenfalls noch die Electric Prunes („I Had Too Much To Dream Last Night“, „Get Me To The World On Time“).

Nun handelte „Arnold Layne“ von einem Kleiderfetischisten, der von NachbarsLeine Hemdchen und Höschen klaute, was der Single auf Platz 22 der englischen Hitlisten insofern den Hals brach, als sie von den Radiostationen gebannt wurde. Dafür aber stieg dann „See Emily Play“ bis auf Platz 5 und ebnete den Weg, sodaß sich geduldige Leute auch mit der ersten Pink Floyd-LP befaßten, die nun wahrlich bizarr und schräg klang – zu Anfang jedenfalls.

„The Piper At The Gates Of Dawn“ ist bis heute sicher das ideenreichste Floyd-Album, mit Geistesblitzen an allen Ecken – und eben deshalb auch schwerer verdaulich als spätere LPs der Band, auf denen weniger Ideen breiter angelegt wurden (was auch Vorteile besaß). Manche Kritiker haben ,,Piper“ mit dem zeitgleich im Studio nebenan produzierten „Sgt. Pepper“ verglichen, was meines Erachtens ein grober Fehler ist. „Sgt. Pepper“ war kein Geistesblitz, sondern die mit für damalige Zeiten riesigen Mitteln produzierte Quintessenz einer weltbekannten Band, der alle Türen offen standen, und die damit zeigen wollte, daß sie im Gegensatz zu anderen alle möglichen Stile beherrschte – wenngleich im Einzelfall immer ein wenig schlechter als die anderen. Und „She’s Leaving Home“ nimmt ja wohl heute niemand mehr ernst. „The Piper“ aber war das Debüt einer unbekannten, auf Kollisionskurs mit dem Üblichen fahrenden Band, der weniger Geld, weniger Studiozeit und weniger Mitarbeiter zur Verfügung standen. Weshalb „Piper“ sehr viel höher einzuschätzen ist.

Die Debüt-LP war allerdings auch gleich Syd Barrett’s Abgang. Denn hatte noch Roger Waters im ersten großen Interview der Band betont: „Wir sind keine (musikalischen) Anarchisten“, so zeigte Syd Barre tt in der Folge einen deutlichen Trend dorthin. Der Gitarrist schluckte offenbar alles, was ihm in die Finger kam und Halluzinationen versprach. Binnen eines Jahres schien er psychologisch so daneben, daß die Zusammenarbeit mit ihm untragbar wurde, woraufhin man zum ersten Mal richtig bemerkte, daß Pink Floyd anscheinend auch ohne Barrett zu Großem imstande waren. Barrett wurde gegen Dave Gilmour ausgetauscht und wurde später zur Legende.

Enge Fans gründeten eine „Syd Barrett Appreciation Society“, die das monatliche Info „Terrapin“ (benannt nach einem Barrett-Song) herausgab. Bedeutsame Gerüchte sprachen davon, Barrett lebe vorzugsweise in einem Keller in Cambridge, und Dave Gilmour ließ vernehmen: „Er ist einer der drei oder vier Großen, neben Bob Dylan“. Solches haben Barretts Soloalben „The Madcap Laughs“ („Der Hofnarr lacht“) und „Barrett“ trotz ihrer Verspielt- und Versponnenheit nicht bewiesen, obgleich beide Platten Freunden von „The Piper“ Freude bereitet haben. Letztmals im Studio sah man Barrett anläßlich der Aufnahmen zu „Wish You Were Here“, wo im Titelsong die Rede von ihm ist: „Shine on, you crazy diamond“. Angeblich tauchte Barrett dabei unvorbereitet auf und versicherte, er sei bereit, seinen Teil beizutragen. . .

Nach Syd Barrett’s Abgang am 6. April 1968 gab man der übrigen Pink Floyd wenig Chancen. Doch mit dem Album „A Saucerful Of Secrets“ fanden die Floyds nicht bloß weite Anerkennung, sondern spielten damit zugleich ihr archetypisches Album ein, dessen einzelne Songs überhaupt erst die spätere Berühmtheit begründeten. Und erst jetzt nahmen wir Barrett’s Kollegen richtig wahr: Roger Waters, geboren am 6. 9. 44 in Great Bookham, Bassist, war schon vorher gelegentlich als Sprecher der Floyds aufgefallen und entwickelte sich nun zum neben Gilmour wichtigen Sänger und überhaupt zum Chef in allen Belangen. Richard ,Rick‘ Wright (28. 7. 45 in London), der Organist, und Drummer Nick Mason (27. 1. 45 in Birmingham) dagegen hatten bislang wenig Aufhebens von sich gemacht, obwohl – bei näherem Hinhören – schon das erste Floyd-Album erheblich auf Wright’s Zutaten aufgebaut war. Schließlich David Gilmour (6. 3. 44 in Cambridge), der neue Gitarrist, der mit Rick Wüls (später Small Faces II) und Willie Wilson (später Sutherland Brothers & Quiver) herumgedudelt hatte und die Bürde, Barrett’s Nachfolger zu sein, ganz gut ertrug.

Zur Veröffentlichung von „Saucerful Of Secrets“ veranstaltete Pink Floyd das allererste Freikonzert im Londoner Hyde Park und versuchte sich dann mit zwei weiteren Singles: ,,It Would Be So Nice“ und „Point Me To Sky“, beide hübsch, aber bei weitem schwächer als die Barrett-Nummern. Offenbar sehr früh erkannte das Quartett denn auch, daß ohne Barrett der Band die Fähigkeit verlorengegangen war, Rock und Elektrisches und Science Fiction und Pop zu einem Song von nur drei Minuten zu bündeln – was nicht nur die durchweg sehr langen Stücke von „Saucerful“ erklärte, sondern auch den Grund abgab für die offizielle Erklärung, Pink Floyd wollten zukünftig keine Singles mehr veröffentlichen. Für damalige Verhältnisse übrigens eine aufsehenerregende Mitteilung. Wenn die Band diesem Grundsatz dann nach drei Jahren auch wieder untreu wurde, so erfolgten fast alle später ausgekoppelten Songs doch ohne besondere Begeisterung. „Money wurde 1973 ein Hit, „One Of These Days“ und „For Free“, zwei weitere Singles aus den siebziger Jahren, wurden kaum wahrgenommen.

Stattdessen setzte mit den Songs aus „Saucerful Of Secrets“, die sich für immerhin fünf Jahre als Grundausstattung eines jeden Floyd-Konzerts und als eingangs beschriebener Soundtrack für den Zeitgeist um die Jahrzehntwende entpuppten, der unaufhaltsame Aufstieg der Floyds ein. Wir Rockfans lernten durch Pink Floyd, daß auch komplexere Musik reizvoll sein konnte und erweiterten unsere musikalische Aufnahmebereitschaft. Selbst Kritiker der anderen Seite, also aus neuerer und älterer Klassik, goutierten den Floyd-Sound, was der Band selbst womöglich zu Kopf stieg.

Anders wäre nämlich „Atom Heart Mother“ kaum zu erklären. Die Floyds hatten vorher noch „Ummagumma“ produziert; hier bewiesen sie auf Platte eins die Fähigkeit, ihre Musik auch live reproduzieren zu können; Platte zwei war durch vier dividiert worden, und jeder Floyd durfte darauf seine eigenen Einfälle ausleben. Mich beschlich da erstmals der Verdacht, die Floyds seien wohl mehr Techniker als Musiker, denn den (wiederum für damalige Zeiten) exzellenten technischen Ideen standen nur wenige musikalische gegenüber – und allenfalls eine Portion Humor in Roger Waters Beitrag „Several Species Of Small Furry Animals Gathered Together In A Cave And Grooving With A Pict“. Wobei „Pict“ eine Abkürzung für einen Ur-Mensch (z.B. Australo-Pithecus) darstellte.

Eben die Überschätzung der musikalischen Ideen verleitete die Floyds wohl zu „Atom Heart Mother“, das beim Bath Festival 1970 live vorgestellt wurde und eine Feuerwehrkapelle, einen Chor mit vielen „Aahhs“ und „Uuhhs“ sowie Motorradgeknatter und etliches mehr benötigte, um überhaupt aufführbar zu sein. Anfangs mochte das recht nett klingen, aber nach mehrmaligem Hören konnte man schon zweifeln vor allem ließen die Floyds nun dem Hörer nichts mehr offen, sondern stopften ihn übermäßig voll. Auf Dauer haben sich eher die Songs der Rückseite dieses Albums bewährt, etwa „If“, dessen Thema dann auf „Dark Side Of The Moon“ wiederkehrte.

Ziemlich erleichtert haben 1971 das Album „Meddle“ aufgenommen. Anscheinend selbst mit dem gigantischen „Atom Heart Mother“ unzufrieden, servierten Pink Floyd erneut einige hübsche kürzere Songs wie „San Tropez“, insbesondere aber das 22minütige „Echoes“, das ohne Firlefanz nur von der Band gespielt wurde und genauso gut in „Saucerful Of Secrets“ hineingepaßt hätte. Dieses „Echoes“ diente später als Soundtrack zu einem faszinierenden Surf-Film namens „Crystal Voyager“, was zeigte, wie vielfältige Assoziationen Pink – *Floyd-Musik zuließ. Weitere Beispiele hierfür sind Antönioni’s schon erwähnter Film „Zabriskie Point“, „More“ und „Obscured By Clouds“, das ,,More“-Regisseur Barbet Schroeder für seinen Film „La Vallee“ bei den Floyds in Auftrag gegeben hatte. Nicht auf Platte existiert allerdings der Floyd-Soundtrack zu „The Committee“ von Paul Jones, dem Ex-Manfred Mann-Sänger; auf Platte wiederum, doch wenig empfehlenswert ist Roger Waters‘ und Ron Geesin’s „Music From The Body“, die ich wegen des Gehustes und Gerülpses zeitweise meinen Freunden zur Belustigung vorgespielt habe.

Optimal war indes eine französisch-bayerische (!) Ko-Produktion von Adrien Maben: „Pink Floyd in Pompeji“, wo man anderthalb Stunden Pink Floyd von 1972 hörte und die Band vor dem Hintergrund der 2000 Jahre alten Ruinen agierte. Und wie sehr sich ansonsten Pink Floyd noch als Hintergrund eignet, weiß jeder, der nur oft genug Fernsehen sieht/ hört.

Hier schließt sich natürlich auch ein Kreis. Pink Floyd als Soundtrack für eine gewisse Zeit hatten wir schon; Pink Floyd im Nachhinein als Untermalung dienend, setzt dort ebenso an wie Pink Floyd als auftragsgemäße Vertoner. Und wie sehr die Klänge der Floyds mit Bildern einhergingen, sieht man auch daran, daß die Soundtracks „More“ und „Obscured By Clouds“ unterderhand als reguläre Alben in die Statistiken eingegangen sind.

Vieles über „Dark Side Of The Moon“ von 1973 und „Wish You Were Here“ von 1976 zu sagen, wäre überflüssig. Daß Pink Floyd hier von früheren Platten her Bekanntes verwendeten und auf beiden LPs textliche Zwielichtigkeiten verbrieten, ist bekannt: Das Thema von „If“ etwa, nämlich letztlich Angst vorm Verrücktwerden, tauchte auch auf „Dark Side“ auf und steht natürlich in enger Beziehung zu Syd Barrett, der, wie gesagt wiederum auf „Wish You Were Here“ angesprochen wird. Beide LPs wurden von der Kritik zwiespältig, vom Publikum begeistert aufgenommen und verkauften sich prächtig. „Wish You Were Here“ zählt in Deutschland seit Jahren (!) schon zu den meistverkauften LPs. Die beiden Alben zeigten zugleich, daß Pink Floyd längst keine Schrittmacher mehr sind. Und daß sie als Techniker-Musiker mittlerweile überholt worden sind.

Vor allem von Alan Parsons, dem Soundmixer auf „Atom Heart Mother“ und „Dark Side Of The Moon“. Heute, da man bereits drei eigene Parsons-Alben kennt, weiß man, wer „Dark Side“ maßgeblich beeinflußte, und es ist kaum blasphemischzu sagen, „Dark Side“ sei das erste Alan Parsons-Album gewesen – mit Pink Floyd anstelle von Stuart Tosh, Duncan Mackay und lan Bairnson, den jetzigen Parsons-Musikern. Ob weiterhin Alan Parsons die besseren „Pink Floyd-LPs“ zusammenmischen wird oder doch wieder die Floyds selbst, dies wird sich spätestens im Herbst 1979 zeigen, wenn zeitgleich eine LP und ein Film mit Namen „The Wall“ erscheinen – Pink Floyds kommende Werke.

Nach dem ziemlich schwachen und daher auch erst jetzt erwähnten jüngsten Floyd-Album „Animals“ habe ich jedoch so meine Zweifel. Die neuen Soloalben von David Gilmour und Rick Wright sind schön, aber unerheblich – insgesamt wirken die vier Musiker satt und müde. Und sicher wurden Pink Floyd bislang in starkem Maße von ihrer Zeit und dem entsprechenden Umfeld beeinflußt. 1979 aber besitzt nichts mehr von Psychedelia und Räucherstäbchen-Atmosphäre. Im Gegenteil: eine Kuh in saftigem Gras auf einer Plattenhülle abzubilden und das Ganze dann „Atom Heart Mother“ zu nennen, wäre in den Tagen von Gorleben und Harrisburg schon reiner Zynismus. They are a-changing, die Zeiten …