Festival-Entdeckungen

Popfest in Wien: „Glitzer und Grind“ – Diese 5 Acts aus Österreich muss man sich merken


Am vergangenen Wochenende spielten auf dem Popfest in Wien die neuen Hoffnungen in Sachen Pop, Rap, Punk und was das Genre-Karussell noch so hergibt. Daniel Koch war vor Ort und stellt fünf Acts vor, die man sich merken sollte.

Wer die vergangenen Tage am Karlsplatz in Wien verbrachte, dachte nur selten an Ibiza und Red-Bull-Propaganda, an Baby-Hitler und Rechtsruck, an Reißwolf-Affären und hetzerischen Krone-Boulevard. Das Popfest zeigte eher, was für eine kreative, queere, bunte, diverse Insel Wien im sonst gerne mal kotzkonservativen Österreich ist. „Schuld“ daran hatte vor allem das von Songwriterin Mira Lu Kovacs (Schmieds Puls) und Rapperin, Slampoetin und Autorin Yasmin Hafedh kuratierte Programm für umme, das dem sehr bunt gemischten Publikum mehr als einmal auf sehr unterhaltsame Weise vor den Kopf stieß. Das hatten die beiden schon in ihrem ersten Statement angekündigt, in dem es unter anderem hieß: „Wir wollen Glitzer und Grind, Glattheit auf Schmirgelpapier.“ Und: „Pop fordert, nimmt ein, ist dreist. Pop will keine Norm, und wir wollen das auch nicht.“ Tja, da kann man nur sagen: „Mission accomplished!“ Wie diese fünf Acts beweisen:

Kerosin95

Kathrin Kolleritsch wird in diesem Feature noch an anderer Stelle auftauchen – und man könnte die Sängerin, Schlagzeugerin, Rapperin vielleicht schon kennen von vorherigen Projekten wie Kaiko oder James Choice and the bad decisions. Mit Kerosin95 traut sie sich nun auf Deutsch zu rappen und zu singen. Ihre Show mit Band im Wien Museum hat nur den zu leisen Sound als Makel, ansonsten hörte und sah man smarten, smoothen, mal witzigen, mal aggressiven, aber immer hintersinnig intelligenten HipHop. „Was kann dein Blingbling, wenn die Texte glitzern? Es geht auch auf die neue reale, weirde Art“, heißt es in „Außen Hart und Innen Flauschig“ ganz selbstverständlich und passend. Was diese Session beweisen dürfte:

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Mascha

Irgendwie passend, dass die Bühne, auf der Mascha am Freitagnachmittag spielt, unter dem etwas phallisch anmutenden linken Turm der Karlskirche steht. „Hach, toxische Männlichkeit und maskuline Unsicherheiten – tolles, unerschöpfliches Thema!“, sagt Mascha zum Beispiel einmal und spielt darauf eine zwar auf böse Weise lustige, aber eben auch gnadenlos sezierende Nummer namens „Wir haben Angst vor Sigi Maurer“ – die einen nach Altrock-Fan aussehenden Typen neben mir das Weite suchen lässt. Die Wienerin mit ukrainischen Wurzeln kennt man vielleicht schon von ihrem unbarmherzigen Häusliche-Gewalt-Schlager „Liebe siegt“, hier zeigt sie, dass sie sich wirklich an alle denkbaren Genres herantraut und sogar ukrainische Volksmusik mit Reggae zusammendenken kann. Musikalisch mag das oft bewusst trashig sein – ihre Texte sitzen allerdings immer. Eine ihrer besten Nummern, die wieder einer übersteigerten Männlichkeit in die schrumpeligen Eier tritt, ist diese hier:

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Lou Asril

Die große Seebühne direkt vor der Karlskirche bietet eine wunderschöne, aber auch Respekt einflößende Kulisse, die man als Künstlerin oder Künstler erstmal aushalten muss. Als der gerade mal 19-jährige Lou Asril spielt, ist es davor pickepackevoll, weil jeder den Wunderjungen mit der Samtstimme mal live sehen und hören will. Seit dem Release seiner Single „Divine Goldmine“ und einem in der Branche gefeierten Auftritt bei den österreichischen Amadeus Awards sind die Erwartungen recht hoch und manch einer hofft auf eine Karriere, die auch außerhalb der Landesgrenzen funktioniert. Asril merkt man den Druck kaum an: Sein glatter, aber immer wieder mit Brüchen und weirden Klangausbrüchen arbeitender R’n’B-Pop-Bastard wirkt mit der ebenfalls recht jungen Band und den drei Backgroundsängerinnen erstaunlich professionell und seelenvoll zugleich. Ein Spagat, den nicht viele schaffen. Auch von ihm gibt es eine schöne, während des Festivals aufgenommene FM4-Session:

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My Ugly Clementine

Diese Show im TU Prechtlsaal wirkt wie das Happy End einer guten Coming-Of-Age-Serie, wie die Geburt des Lovechilds vierer Ausnahmemusikerinnen, wie das musizierende Wunschdenken einer jungen Gitarrenszene. Im Grunde ist sie all das – und macht trotzt einer Raumtemperatur von schätzungsweise 46 Grad zudem von Anfang bis Ende Spaß. Bei My Ugly Clementine haben sich zusammengefunden: Die bereits (als Co-Kuratorin) erwähnte Mira Lu Kovas von Schmieds Puls an der Gitarre, die ebenfalls bereits genannte Kathrin Kolleritsch aka Kerosin95 am Schlagzeug plus Gitarristin Sophie Lindinger, die ansonsten eine Hälfte von Leyya ist sowie am Bass Barbara Jungreithmeyer, die zuvor bei den Daffodils die „Babs“ war. Spielen tun sie einen Mix zwischen Twee-Pop, College-Rock und Garage-Roughness, Singen kann jede von ihnen und tut es auch. Gerade hier liegt (neben dem guten Songwriting) der Spaß an dieser Show: Jede von ihnen könnte die Bühne alleine füllen, doch sie tun es eben zusammen, um eine Musikrichtung zu spielen, die ein wenig zu oft in den Händen weinerlicher White Dudes lag. Merkt Euch My Ugly Clementine also ruhig schon mal fürs Reeperbahn Festival vor und singt bis dahin:

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Petrol Girls

Samstag, früher Abend, der letzte Punkakkord des letzten Songs zittert noch durch die Luft. Aber Sängerin Ren Aldridge ist noch nicht fertig: Gespannt bis in die letzte Sehne steht sie auf der Bühne und schreit immer wieder: „Touch! Me! Again! And! I! Fucking! Kill! You!“ Es ist der Refrain von „Touch Me Again“, einer zwischen Hardcore und Punk voranpreschenden Hymne auf das, was längst selbstverständlich sein sollte, aber in unserer Gesellschaft oft schrecklich fern erscheint: sexueller Konsens. Die in Wien und Graz lebenden britischen Petrol Girls, die sich aus zwei Girls und zwei Boys zusammensetzen, bewegen sich musikalisch auf vertrauten Wegen, die man mit drei Akkorden und ordentlich Wumms recht sicher bewandern kann, aber ihre direkten, aggressiven Lyrics, ihr politisches Engagement auch abseits der Bühne und eben die charismatische Ren Aldridge machen sie so besonders.

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