Prince


Die Verwirrung war komplett: Monatelang hatte es geheißen, er komme als "Batman" auf Europa-Tournee. Man hatte die Rechnung ohne den Prince gemacht: Statt "Batman" war plötzlich "Nude Tour" das Motto, und auch der Überraschungs-Gig in St. Paul machte seiner Unberechenbarkeit alle Ehre.

Der Anruf kam am späten Nachmittag. „Prince gibt morgen ein Überraschungskonzert in St. Paul“, haucht die Telefonsiimme; nur eine handverlesene Schar von Journalisten dürfe dem Ereignis beiwohnen. Ob ich interessiert sei? Wer außer Kim Basinger mag Prince schon einen Korb geben.

Die Generalprobe der (nur für Europa bestimmten) „Nude Tour“ wäre nicht nur den Trip nach St. Paul, sondern einen 14tägigen Marsch über glühende Kohlen wert gewesen: „His Purpleness“, wie die Amerikaner den gewichtigen Wicht nennen, gab das vielleicht beste Konzert seiner letzten zehn Jahre.

Die improvisierten Jams waren kurz und straff, die Gitarrensoli länger und trotzdem präziser – und auch seine Stimme, befreit von den übertriebenen Quieksern der vergangenen Jahre, klang kräftiger und wirkungsvoller denn je.

Er habe seinen Europa-Abstecher „The Nude Tour“ getauft, hatte Prince vorab aus dem Paisley Park verlauten lassen, weil sie einen vom angesammelten Ballast befreiten, „nackten“ Querschnitt durch ältere Songs liefern soll.

Und so präsentierte Prince an diesem Abend nur einen einzigen neuen Song, „A Question Of U“. eine perkussive Bluesballade aus seinem kommenden Film „Grafitti Bridge“, die gleichzeitig auch Vorwand bot zum altvertrauten Kaninchengerammel auf dem Bühnenboden. Vertrautes auch bei Prince-Klassikern wie „1999“, „Controversy“. „Baby I’m A Star“ oder „Partyman“ (die einzige Zugabe des Abends), die mit Pirouetten. Spagatsprüngen und Trippclschritten auf Stöckelschuhen wie immer in Szene gesetzt wurden.

Back-Up-Sängerin (und Keyboarderin) Rosie Gaines war es nicht. Sie vermochte die Umkleidepausen, in denen Prince in diverse Strampelanzüge schlüpfte, mehr als bravourös zu überbrücken: Mit stimmlicher Urgewalt schmetterte sie zwei Aretha Franklin-Songs ins Publikum: „Ain’t No Way“ und „Respect“. Mit ihr bewies Prince einmal mehr seine exzellente Talent-Nase, ebenso wie mit der neuen, fünfköpfigen Band — zwei Keyboards. Schlagzeug. Baß. Gitarre, verstärkt durch drei energiegeladene Back-up-Sänger und Tänzer.

Sie ließen den Mann im Rampenlicht vor 17000 Fans zu absoluter Höchstform auflaufen. Etwa mit dem seiner weißen Gitarre entlockten „Purple Rain“-Solo. das einfach zu schön war. um es durch verbale Klischees kaputtzuschreiben. Oder mit dem (von Prince komponierten) Sinead O’Connor-Hit „Nothing Compares To U“. von seiner lila Durchlaucht am Konzertflügel gespielt und mit vibrierender Stimme vorgetragen, bevor der Schmachtfetzen übergangslos in das Fledermausgejaule des „Batdance“ umschlägt.

Sollte man je einen Rock ’n‘ Roll-Memorabilien-Altar für künftige Generationen errichten, so muß er in jedem Fall auch eine Aufzeichnung von „Scandalous“ aus dem Civic Center enthalten: In feuerrotes Scheinwerferlicht getaucht, posiert Prince im weißen Anzug auf dem Flügel, gurrt in höchsten Falsettönen sein „Scandalous“. legt sich in Kreuzigungspose auf ein riesiges Stahlherz, das hydraulisch auf und nieder gehoben wird, um schließlich im verblassenden Scheinwerferlicht in den abgedunkelten Hintergrund zurückzuklappen.

Wären doch alle Konzerte so wie an diesem Abend: spontan angesetzt, dazu gesegnet mit dem rohen Talent dieser Band und einem charismatischen Frontman. der für seine Darbietung nicht mehr verlangte als zehn Dollar Eintritt und eine Konservendose Eingemachtes für die Obdachlosen der Stadt. Ob diese Form des Eintrittsgeldes auch bei anderen Konzerten sinnvoll ist, mag dahingestellt sein: Zu viele Konservendosen würden vermutlich auf der Bühne landen.