Nachruf

Prince – Der Mann mit der perfekten Serie


Der nimmersatte Künstler Prince war talentiert und eigensinnig genug, eine ganze Dekade zu prägen, die Grenzen „schwarzer Musik“ einzureißen und Generationen von Popmusikern ein Vorbild darin zu sein, ihren eigenen Weg zu suchen. Ein Nachruf von Oliver Götz.

Kennen Sie „Christopher Tracys Parade“? Schauen Sie doch mal, ob Sie den Song fix irgendwo auftreiben können. Er soll uns als Anschauungsmaterial dienen. Plattenschrank oder Festplatte wäre gut – auf den üblichen Streamingplattformen wollte Prince seit dem vergangenen Sommer ja nicht mehr vertreten sein. Es handelt sich um das Einstiegsstück von Prince‘ 86er-Album PARADE. Besungener Christopher Tracy ist der Hotelpianist, den Prince in seinem Film „Under The Cherry Moon“ spielte. Eine selbstverliebte Schwarz-Weiß-Schmonzette war das, die in der Folge des auch nicht klischeefreien, aber erfolgreichen Musikfilms „Purple Rain“ bald schon in Vergessenheit geriet.

Aber wir wollen über die Musik reden, wie es sich bei Prince ohnehin empfiehlt, immer wieder möglichst schnell zu diesem Thema zurückzukehren. Es ist ja nun wahrlich genug davon da. Der sagenhafte Strudel von „Christopher Tracys Parade“ ist dabei kaum mehr als zwei Minuten lang und auch nur eine Art Ouvertüre für eines dieser Album-Meisterwerke, wie sie dieses Genie aus Minneapolis in den 80ern in Serie aus seinen Rüschenärmeln schüttelte.

Und doch genügte allein dieser komprimierte Wahnsinn von einer musikalischen Peter-Pan-Reise, um die meisten anderen Popmusiker, die ernstzunehmende künstlerische Ambitionen hatten und haben, in ihre Schranken zu weisen. Und seine Kritiker, die immer nur den wirbelnden Sexzwerg und das exaltierte, größenwahnsinnige Gehabe sahen, sowieso. Gemeinsam komponiert mit seinem Vater, dem 2001 verstorbenen Jazzmusiker John L. Nelson – Künstlername: Prince Rogers –, wirbelt es Orchester-Score, karibische Klänge, Beatles-Psychedelia und gewagte Jazz-Harmonien durcheinander wie in einer Windhose. Und trotzdem bleibt da diese Melodie hängen. Wie gesagt: all das in zwei Minuten. Wer noch einen Grund sucht, warum dieser kleine Mann immer wieder „Mozart des Pop“ genannt wurde, findet ihn hier.

Prince wollte durch seine Musik sprechen

John L. Nelson hatte sich 1948 aus Louisiana im Süden der USA bis nach Minneapolis durchgeschlagen, um dort als Musiker Karriere zu machen. Nebenberuflich zumindest sollte ihm das auch gelingen. Man darf annehmen, dass der Pianist sowie seine Frau Mattie Della Shaw, die er als Jazzsängerin kennenlernte, ihrem am 7. Juni 1958 geborenen Jungen, der nach dem Bühnennamen des Vaters Prince Rogers Nelson genannt wurde, viel von ihrem eigenen musikalischen Talent mit auf dem Weg gegeben haben. Das Durchhaltevermögen und der enorme Eigenwille hingegen, den Prince zum ersten Mal mit seiner Soloarbeit an seinem noch etwas unscheinbaren Debütalbum FOR YOU (1978) künstlerisch zum Ausdruck bringen sollte, sind wohl aber eher auf seine Kindheit und Jugend zurückzuführen. Zwischen den geschiedenen Eltern, Stiefvater und Tante fand er kein richtiges Zuhause. Er musste alleine klarkommen. Prince, ein scheuer, durchaus schwieriger Mensch, sprach nicht viel über diese Zeit. Er gab überhaupt sehr selten Interviews. (Von seiner für 2017 angekündigten Autobiografie hieß es im März noch, es seien nicht mehr als 50 Seiten fertiggestellt.)

Prince wollte durch seine Musik sprechen. Er arbeitete dafür wie ein Besessener, was sich bis zuletzt nicht ändern sollte, und emanzipierte sich schnell von den meisten Erwartungen und den für afroamerikanische Musiker vorgesehenen Rollen, ohne seine Ehrerbietung für Leute wie Little Richard, James Brown und Jimi Hendrix zu verbergen. Dieser Mann war ganz Funk, hatte Soul und den R&B verinnerlicht, erkannte aber zum Beispiel auch, was am neuen New-Wave-Sound so attraktiv war. Dass es freilich eine amtliche (und was für eine amtliche!) Rockgitarre und on top eine so konventionelle wie gleichzeitig überirdische Rockgitarrenballade wie „Purple Rain“ benötigen würde, um auch das weiße und sogar das schneeweiße Publikum in der BRD zu erobern, darf aus heutiger Sicht als Binsenweisheit gelten.

Was es seinem Label Warner zuerst einmal erschwerte, seine Musik der Öffentlichkeit nahe zu bringen, war die Tatsache, dass in seinen Texten nach fast jedem Liebesschwur eine ausgemachte Sauerei lauerte. Oh ja, Sex sollte sein bestimmendes Thema werden, und damit das auch jeder merkt, kugelte er bald schon im Tanga, mit Strapsen und hohen Hacken über die Bühne und rieb sich an Instrumentarium und Personal. Als er so im Herbst 1981 in Los Angeles im Vorprogramm der Rolling Stones vor den Rock’n’Roll-Mob stolzierte, hagelte es Gegenstände und homophobe Beschimpfungen. Was ein Mob eben so macht, wenn man ihn verunsichert.

Prince war eine postmoderne Konfettikanone

Anderen hätte so ein Fiasko vielleicht das Genick gebrochen. Doch dieser rollige Junge baute sein musikalisches Unternehmen schnell zu einem Spektakel um, dem bald keiner mehr auskam. Kleidete seine Band in Fantasieuniformen, gab ihnen prächtig anmaßende Namen wie The Revolution und New Power Generation, errichtete mit seinem Studio-, Bühnen- und Bürokomplex Paisley Park in Minneapolis ein eigenes Imperium. Die Kreativität des Prinzen, also seine Vorstellungskraft und seine Fähigkeit, diese Ideen auf ein ungeheuer vielfältiges Instrumentarium zu übertragen, schienen dabei fast grenzenlos zu sein.

Prince war eine postmoderne Konfettikanone, er konnte alles. Falsett. Spagat. Jams. World Music. Gniedeln. Knistern. Rap. „Horns!“ Beten! Und ficken! Rhythmusmaschinen so programmieren, das sie einfach geiler klangen als die der anderen. Ein explizites Funkalbum aufnehmen und kurz vor Auslieferung einkassieren – weil zu explizit. Mit „Sign O’ The Times“ sogar politisch sein. Und trotzdem bei „USA For Africa“ nicht mitmachen. Verwirren, wunderbarerweise uns immer wieder verwirren. Und nebenbei noch Hits für Sheila E., The Bangles, Sinead O´Connor schreiben. Man kommt sogar beim Aufschreiben ins Schwitzen.

Mit Michael Jackson gab es zwar einen Popstar, der noch größer war als Prince, mehr und noch größere Hits hatte, dessen Inszenierung die des Selbsternannten aus Minneapolis noch übertraf. Der eine war eben King, der andere Prinz. Aber diejenigen im Publikum, die Musik, die Alben, die Popmusiker gewagterweise als selbstbestimmte Künstler ernst nahmen, standen auf der Seite des Prinzen.

Er war der Mann mit der Serie: Der nur eingeschränkt empfehlenswerte BATMAN-Soundtrack von 1989 war kaum mehr als Schönheitsfehler in seiner perfekten Folge von Großtaten, die bei DIRTY MIND (1980) beginnt und für manche bis zum vom neuen HipHop-Boom nicht unbeeindruckt gelassenen LOVE SYMBOL (1992), für andere sogar bis zu THE GOLD EXPERIENCE (1995) reicht.

Doch irgendwo dazwischen ging Prince allmählich Maß und Ziel verloren. Dass Warner ihn gängelte, seinen Output herunterzufahren, und er daraufhin für rund zehn Jahre seinen Namen in ein esoterisch anmutendes „Liebessymbol“ änderte und sich als Protest auch noch „Sklave“ auf die Wange schrieb, das hatte in der Logik des unbedingt selbstbestimmten Künstlers seine Richtigkeit. Aber was Prince in den folgenden Jahren an Veröffentlichungen auf sein Publikum niederregnen ließ, später auch als Fanclub-Only-Releases, vertrieben übers Internet, machte es immer schwerer, die Diamanten und Perlen darin zu entdecken. Ja, Prince´ Musik war insgesamt konventioneller geworden, selbstreflexiver. Und sexuell lange nicht mehr so aufgeladen. Er war ja auch keine 25 mehr. Vor allem aber war er zwischenzeitlich zu einem Zeugen Jehovas geworden.

Später gelang ihm dann das Comeback in den Mainstream. Es begann die Phase, in die jeder Unterhaltungskünstler tritt, der früher Großes geleistet hatte und immer noch lebt: Er wird als allgemeines Kulturgut anerkannt. So durfte Prince 2004 mit Beyoncé bei den Grammys auftreten und 2007 in der Halbzeitpause des Super Bowl. Er veröffentlichte nun auch wieder Alben, die für die Charts relevant waren. Vor allem seine Tourneen wurden ausgedehnter und waren bestens besucht. Im Sommer 2007 spielte Prince sagenhafte 21 ausverkaufte Konzerte in der O2-Arena in London.

Obwohl so versöhnt mit der Öffentlichkeit schlug er sich doch bis zuletzt mit den Plattenfirmen und jetzt auch noch mit Download-Plattformen herum. Er veröffentlichte Alben lieber als Beilagen von Tageszeitungen und Magazinen anstatt das Geld mit Labels zu teilen. Er wollte Respekt und eine ordentliche Bezahlung für seine Werke und kassierte dafür auch einiges Kopfschütteln und manchen Hohn. Es könnte sein, dass vor allem die am lautesten lachten, die keinen Schimmer davon haben, dass es Popmusiker gibt, denen Selbstbestimmung alles ist. Einer der wichtigsten Vertreter dieser Gattung hat am Donnerstagmorgen diesen Planeten verlassen. Zu früh, aber das wissen sie ja schon.