Konzertkritik

Prince Rama werfen ihr Neon-Netz über die Welt


Spaß. Besser noch: „Überspaß!“ In der Katine des Berghain pumpt das hopsfidele Trio aus Brooklyn in kaum mehr als einer Stunde sein Publikum bis zum Rand mit Glückshormonen voll.

Erste Frage: Wer oder was ist (ein) Prince Rama?

  1. Der aktuelle Thronfolger aus dem fernen Königreich Margarinien
  2. Die siebente Inkarnation des hinduistischen Gottes Vishnu
  3. Ein in Deutschland nie gesendetes Spin-off zur Sitcom „Dharma & Greg“ („Prince Rama“ heißt ihr Sohn)

Breitband-Erleuchtete wissen: Antwort 2 ist richtig. Das bunte, aufmerksame, dankbare Völkchen, das am Donnerstagabend die Kantine des Berliner „Berghain“ besucht hat – und eben nicht die mystische Clubburg selbst, wo das böse Grollen dunkler Männer wie Tim Hecker oder der Gruppe Wolf Eyes vom endlosen Beton widerhallte –, besteht allerdings auf eine vierte Antwortmöglichkeit. Es möchte „ein lebensbejahendes, nichts als Glückshormone freisetzendes Spektakel aus Psychedelic-Indie-Dance-Poprock mit Mona-Lisa-Leggins an, Glitzerschminke um die Augen und Neon-Netz-Überwürfen“ antworten dürfen. Und wer sich unter dieses Völkchen mischen durfte, wird ihm das bestimmt nicht untersagen.

Sekundärliteratur an der Bühnenkante.
Sekundärliteratur an der Bühnenkante.

Man könnte das Konzert der in einer Hare-Krishna-Kommune in Florida großgezogenen Larson-Schwestern Taraka und Nimai samt ihres brooklynbärtigen Helfers an Synthesizer und Gitarre sogar „denkwürdig“ nennen, hätte es einem nicht auch beigebracht, dass man nicht immer so viel denken sollte. Sondern fühlen. Tanzen. Hopsen. Singen. Leuchten. Von innen und von außen!

Auf Platte wirkt der aus Noise und Glam, Wavepop und Italodisco, Goth und Enyas Niagara-Singsang gemixte Ohrensmoothie ja schon auch mal ein wenig hipsterig-zwinkerzwinker-ausgedacht. In der Livedarbietung gar nicht. Weil Stromgitarren und echtes Tom-Tom! doch immer noch den Weg direkt in die Knochen finden. Vor allem aber, weil einem diese strahlenden Schwester barfuß und in Sportsocken dermaßen offen und herzig vor die Brust springen, dass ohnehin nur die Flucht aus der Kantine bliebe für Menschen, die an diesem Abend unbedingt Blaumiese bleiben wollen. (Der Kollege von unserem Schwesternmagazin zum Beispiel, der das Dargebotene als „pädagogische Tanzaufführung“ abkanzelt. Pah.)

Hopsen und Gitarre spielen: geht. Hopsen und scharfe Fotos machen: nicht so gut.
Hopsen und Gitarre spielen: geht. Hopsen und scharfe Fotos machen: nicht so gut.

Was da für Dinge geschehen: Taraka Larson zieht schon beim zweiten Stück einen um tänzerischen Ausdruck nicht verlegenen Jungmann auf die Bühne, der sie gerade noch auf Fotochip bannen wollte. Jetzt ist er selber im Bann: Kate-Bush-Style vs. Impro-Theater. Erst ermuntert Taraka das Publikum zum Wolfsgeheul, das Rudel stimmt ein, dann ruft die Sängerin mit „Shhh-Shhh“-Zeigefinger auf den roten Lippen zur gemeinschaftlichen Meditation (Nimai: „Wir können nicht sehen, ob ihr eure Augen tatsächlich geschlossen habt, weil wir ja unsere geschlossen haben“), möchte aus gemeinsamer Fantasie noch even bigger Fantasie machen. Stellt in Aussicht, dass sich später vielleicht noch alle nackt machen könnten in der Kantine. (Die Zugabe gibt es immerhin im Bademantel.)

All ihre Bühnenansagen erklingen dabei durch ein Effektgerät auf Männerbariton heruntergepitcht. Der wunderbar verwirrende Eindruck dieser Bild/Ton-Schere bleibt bis zum Ende des leider kaum länger als eine Stunde dauernden Konzerts erhalten. Dazu giggelt sich ihre Schwester eins in hellster Original-Stimmlage. Spaß haben sie, ja „Überspaß“ sogar, versichern die Schwestern.

Ja, da ist schon auch Hexenkraft mit im Spiel.
Ja, da ist schon auch Hexenkraft mit im Spiel.

Das Finale – „Shitopia“, die einzige echte Hippienummer – gibt´s dann im Sitzen. Band und Publikum. „Ja, kommt doch hoch auf die Bühne, hier ist jede Menge Platz!“ Es entsteht ein zweistöckiger Happening-Sitzkreis. In dem Prince Rama dann allerdings erst mal den Teenpopkracher „MMMBop“ von Hansen anträllern. Und welchen der Hansons wolltet ihr damals unbedingt heiraten, will Taraka Larson wissen. Ein Mädchen zu ihren nackten Füßen meint, in Deutschland sei man zu der Zeit eher auf die Kelly Family abgegangen. What? Wer? Ja, auch gut, dann bleibt je ein Hanson für uns, befindet die Glitzermähnenfrau.

Mal im Ernst: Würden diese beiden Schwestern eines Tages noch ihre eigene Sekte eröffnen, der Autor könnte nicht garantieren, dass er nicht alles stehen und liegen lässt. Dann würde er Postkarten aus Erleuchtistan schreiben an den Kollegen vom Schwesternmagazin – mit nichts als bunten Kringeln drauf. „Kunsttherapeuten-Scheiß“, könnte der dann sagen. Aber sind solche Worte gemacht, um durchs ganze Universum zu hallen? (Nein sind sie nicht!!)

Oliver Götz