Titelgeschichte

Prince und die 90er: Pop-Genie auf Sinnsuche


Die 90er-Jahre waren keine leichte Zeit für Prince. Das Jahrzehnt war geprägt vom Streit mit seiner ehemaligen Plattenfirma über die Rechte an seiner Musik. Aus dem Meister war ein Sklave geworden, aus dem Popwunderkind der 80er-jahre ein Sinnsuchender. „EMANCIPATION“ sollte 1996 den Neuanfang markieren. Es ist das Album, bei dem er zum ersten Mal in der Lage war, seine künstlerische Vision kompromisslos umzusetzen. Es ist aber auch ein Dokument der geplatzten Träume. Nun wird es erstmals angemessen gewürdigt.

Die letzte Zündstufe der EMANCIPATION-Promo war die Tournee. 1997 ging Prince auf „Jam Of The Year“-Konzertreise. Doch je mehr Auftritte er gab, desto mehr aktuelle Stücke verschwanden von der Setliste. Mayte Garcia glaubt, dass es zunehmend schmerzhaft für ihn gewesen sein muss, Lieder übers Elternglück zu singen.

Auf EMANCIPATION folgte die längste Veröffentlichungspause, die Prince sich bis dahin leistete. Erst 1998 erschien das Album NEWPOWER SOUL seiner Band The New Power Generation. De facto ein Prince-Album, aber ohne die explizite Nennung seines Namens. Er wollte in Deckung bleiben. Im selben Jahr kam Crystal Ball heraus, eine Sammlung unveröffentlichten Materials aus seiner sagenumwobenen Schatzkammer „The Vault“. Neu in dieser Kollektion war CD vier, das Akustik-Album THE TRUTH. Darauf singt er „Walking up the stairs / Just the afternoon / Sweet wind blew / Not a moment 2 soon / I cry when I realized / That sweet wind was U“. Der Wind war Amiir, und der Song hieß „Comeback“. „Never say the words they’re gone / They’ll come back“. Er glaubte an das Jenseits und an ein  Wiedersehen.

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Sein eigenes Comeback sollte er schon bald darauf feiern. Anfang des Jahrtausends legte er den „Love Symbol“-Namen ab und wurde wieder Prince. Das MUSICOLOGY-Album erklomm im Jahr 2004 die Top 5 in etlichen Ländern und erhielt zwei Grammys. Aus Prince, dem Wunderkind der 1980er, und Prince, dem Sinnsucher der 1990er, wurde Prince, die lebende Legende der 2000er. Noch im selben Jahr wurde er in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen – der frühestmögliche Zeitpunkt, denn für einen Platz in der Ruhmeshalle des Rock müssen mindestens 25 Jahre seit der ersten Veröffentlichung vergangen sein, und seine erste Platte erschien 1978.Ein Vierteljahrhundert nach seinem Debütalbum war jedem bewusst, dass Prince niemals einen Nachfolger haben würde, seine Fußstapfen waren einfach zu groß. Auch deshalb wurde er fortan als Ausnahmekünstler behandelt, egal welche kuriosen Platten auch immer er vorlegen würde. Songs des monumentalen EMANCIPATION wollte Prince da schon lange nicht mehr singen.

Geboren wurde Prince vielleicht wirklich, um genau dieses Werk zu erschaffen. Aber er schloss damit ab. Und daran hielt er sich, bis zu seinem Tod im April 2016.

Chaos and Disorder: Prince in den 90er-Jahren

Im Überblick: das Jahrzehnt, in dem Prince mit sich, seinem Namen und der Welt haderte

1990
Schlechter Start ins Jahrzehnt. Prince veröffentlicht Film und Soundtrack zu „Graffiti Bridge“: der PURPLE RAIN-Nachfolger floppt, im Kino wie in den Album-Charts.

1991
Spät, aber nicht zu spät, erkennt Prince HipHop als Stilrichtung an. Er traut sich noch nicht selbst zu rappen, Anthony Mosley alias Tony M. greift in Songs wie „Gett Off“ zum Mikro. Das Album DIAMONDS AND PEARLS wird zu seinem letztem Mega-Hit, „Cream“ seine fünfte und letzte Nummer eins in den US-Charts.

1992
Prince schlägt Michael Jackson und Madonna: Der 100-Millionen-Dollar-Deal mit Warner Bros. Records ist der höchstdotierte seiner Zeit. Das erste Album, LOVE SYMBOL bleibt prompt hinter den Verkaufserwartungen zurück.

Prince 1995


1993
Prince beginnt seinen Streit mit Warner und legt sich als Künstlernamen das unaussprechliche Symbol zu – sein Label reagiert verzweifelt und verschickt Disketten mit der Symbol-Typografie, damit das Sonderzeichen in Artikeln gedruckt werden kann. Beim Festival „Rock Over Germany“ gibt Prince seine für einige Jahre letzten offiziellen Konzerte in Deutschland. In Lüneburg soll er von den Veranstaltern gefordert haben, zum Schutz vor Fans einen Wassergraben vor der Bühne zu errichten. GOLDNIGGA heißt das erste Album, das nicht unter seinem, sondern dem seiner Band erscheint: The New Power Generation. Die HipHop-Platte ist heute schwer erhältlich.

1994
Prince malt sich „Slave“ auf die rechte Wange. Das Cover seiner bis dato schlechtesten Platte, COME, ziert die Inschrift „Prince 1958-1993“. Grabesstimmung. Das legendäre BLACK ALBUM, 1987 eingespielt und damals in letzter Sekunde vom Markt genommen, wird veröffent­licht. Sieben Jahre später erscheint es wie ein Relikt aus magischen Zeiten.

1995
Die Kassette THE VERSACE EXPERIENCE mit Song-Remixen wird bei der Pariser Fashion Week verteilt, später erscheint das Album THE GOLD EXPERIENCE – mit „The Most Beautiful Girl In The World“, von dem mehrere Gespielinnen behaupten, Prince hätte den Song ex­klusiv für sie geschrieben. Es ist seine erste – und letzte – Nummer eins in den britischen Single-Charts. EXODUS heißt die zweite Platte der New Power Generation, eine Hommage an George Clinton.

1996
Um seinen Vertrag mit Warner zu erfüllen, nimmt er das Funkrock-Album CHAOS AND DISORDER auf. Es wird dank seiner Kürze, Spontaneität und Egal-Haltung
ironischerweise die über­zeugendste Platte der „Love Symbol“-Phase. Im Herbst erscheint schließlich das Dreifach-Album EMANCIPATION beim eigenen Label NPG Records.

1997
Einzige Veröffentlichung des Jahres: das Instrumental-Album KAMASUTRA als limitierte Kassette. Hochtrabend unter dem Namen „NPG Orchestra“ gelistet und uraufgeführt bei der Hochzeit mit Mayte Garcia.

1998
Unter dem irreführenden Namen CRYSTAL BALL erscheint nicht das gleich­­namige sagenumwobene verlorene Album aus dem Jahr 1987, sondern eine Fünffach-CD mit Stücken aus verschiedenen Schaffens­perioden von Prince, darunter das Akustik-Gitarren-Album THE TRUTH. Der schlechte Ruf der Vertriebsabteilung des Paisley Park wurde damit begründet: Einige Fans, die das Werk ein Jahr vor Veröffentlichung schon bestellen konnten, erhielten es erst Monate nachdem es bereits im regulären Handel war. Das dritte und letzte Album der New Power Generation erscheint: NEWPOWER SOUL, diesmal ehrlicherweise mit ihrem Boss Prince auf dem Cover.

1999
„Love Symbol“ unterschreibt für ein Album beim Major-Label Arista und veröffent­licht das mittelmäßige RAVE UN2 THE JOY FANTASTIC“. Um ihm das Wasser abzu­graben, bringt Warner drei Monate vorher das Archiv-Album THE VAULT: OLD FRIENDS 4 SALE auf den Markt – der Titel ist eine Anspielung auf den legendären Song-Schatzraum „The Vault“ im Paisley Park. Ebendort lässt Prince das Jahrzehnt mit einem Konzert ausklingen. Es wirkte so, als hätte der Künstler nie Probleme gehabt, seine Vergangenheit als Prince mit seiner Gegenwart als „Love Symbol“ zu versöhnen. Er holte Lenny Kravitz, George Clinton und The Time auf die Bühne und stellte alten Hits wie „U Got The Look“ neues Material wie „The Greatest Romance Ever Sold“ gegenüber.

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Prince und seine rechte Hand: ein junger Deutscher mit Mütze

Von 1996 bis zum Jahr 2000 war er als „Personal Engineer“ die rechte Hand von Prince im Studio: Hans-Martin Buff. Der damals 27-jährige gebürtige Garmisch-Partenkirchener studierte Publizistik in Berlin, arbeitete dann als Journalist in Deutschland und machte schließlich eine Ausbildung als Toningenieur in Minneapolis. Als wichtigste Hilfskraft hinter den Reglern trat er die Nachfolge von heute kultisch verehrten Koryphäen wie Susan Rogers und Don Batts an.

Hans-Martin Buff war seit den frühen Neunzigern bereits Assistent eines Prince-Toningenieurs im Paisley Park. Er werkelte gerade am Mischpult herum, als der Meister das Studio betrat, Instrumente einrichtete und ihn beiläufig fragte: „Hast du diese Woche etwas Zeit?“ Aus dem bisschen Zeit entstand eine Kooperation, die vier Jahre Bestand haben würde – eine rekordverdächtige Zeit, da nur die härtesten Toningenieure es länger als ein Jahr an der Seite des Tag- und Nachtarbeiters aushielten, der zu seinen Leuten genauso streng war wie zu sich selbst. Buff sagt, er war nonstop auf Stand-by. Freizeit hätte es nur dann geben können, wenn Prince ihn nicht zu sich beorderte – und das ließ sich nicht voraussehen. Der Pager, über den Prince sich meldete, hätte jederzeit sein Signal senden können.

Graham Wiltshire Getty Images