Rain Tree Crow – Made in Japan


Es war als Versöhnung geplant. Doch als sich die einstigen Mitglieder von Japan im Studio gegenüberstanden, flogen prompt wieder die Fetzen. Resultat: Das neue Album erscheint unter anderem Namen. ME/Sounds-Mitarbeiter Steve Lake sprach mit den Kontrahenten. Getrennt.

Ganz hinten im Virgin Megastore, dem großen Plattenladen in der Londoner Oxford Street, befinden sich die Ständer mit den Büchern und Zeitschriften. Wer will, kann dort auch „Bamboo“ erstehen, ein Fanzine, das sich mit den Geschicken der Band Japan beschäftigt. An sich nichts Außergewöhnliches … nur hat sich die Gruppe schon vor neun Jahren, auf dem Höhepunkt des Erfolgs, wegen der üblichen „persönlichen und musikalischen Differenzen“ aufgelöst. Jahrelang hat „Bamboo“ die Fahne hochgehalten und den Glauben an eine Versöhnung nicht aufgegeben. 1989 sah es so aus, als sollte diese Treue belohnt werden, denn David Sylvian, Mick Kam, Richard Barbieri und Steve Jansen waren wieder im Studio. Und nun, 1991, kommt endlich eine Platte heraus — aber auf dem Cover steht nicht Japan, sondern der kryptische Name Rain Tree Crow. Wer die „Band“, schon jetzt wieder eine Ex-Band, interviewen will, braucht zwei Termine: Kam, Jansen und Barbieri reden nicht mehr mit Svlvian. Zum Zeitpunkt meines Besuchs wird gerade ein Video gedreht… und die verfeindeten Parteien gehen an unterschiedlichen Tagen ins Studio. Eine, wie auch Keyboarder Richard Barbieri zugibt, „unmögliche“ Situation.

Bevor wir uns dieser Mär von Bitterkeit und Verrat näher zuwenden, muß erwähnt werden, daß RAIN TREE CROW, ungeachtet der Umstände seiner Entstehung, ein außerordentlich gelungenes Album ist, auf dem kraftvolle Songs und impressionistische Klangmalereien in harmonischem Gleichgewicht stehen. Wenn man R.T.C. überhaupt als „wiedervereinigte“ Japan betrachten kann, dann ist die Neuauflage besser als das Original (und von welcher der vielen anderen Reumons der letzten Jahre kann man das schon behaupten?).

Japan waren nie so gut wie ihr Ruf. David Sylvian, der die Band im zarten Alter von 16 Jahren gründete und acht Jahre lang angeführt hat, würde mir da zustimmen. Als Japan endlich ins Rampenlicht des öffentlichen Interesses stolperten, hatte er die Nase schon gestrichen voll vom Glam-Rock-Glitzer. Heute besteht er darauf, daß „im Herzen von Japan immer ein emotionales Vakuum herrschte“. Trotzdem wurde die Idee eines gemeinsamen Projekts mit den früheren Kollegen immer wieder diskutiert und die Beziehung in regelmäßigen Abständen durch gegenseitige Gastauftritte auf diversen Solo-Alben gepflegt. Besonders Drummer Steve Jansen, Sylvians Bruder, hat wertvolle Beiträge zur Diskographie des Sängers geliefert, wie die CD-Kollektion Weatherbox beweist. Nun sind sich selbst die Brüder spinnefeind. Was ist da nur schief gegangen? Sylvian redet nicht gerne darüber.

„Ich mache Platten, um ein bißchen positive Energie in die Welt zu tragen, und über diese Dinge öffentlich zu sprechen, läßt alles so negativ erscheinen — und mit ihnen zu spielen, war keine negative Erfahrung.“ Aber für ihn ist es natürlich auch einfacher, eine solch stoische Haltung einzunehmen, weil er die Auseinandersetzung letztlich gewonnen hat.

Und das kam so: Als man das Projekt RAIN TREE CROW in Angriff nahm, bestand Sylvian darauf, daß der Name Japan auf der Platte nicht auftauchen dürfte, selbst ein Sticker mit der Aufschrift „ex-Japan“ stand außer Diskussion. Es versteht sich von selbst, daß man bei Virgin Records von dieser Entscheidung nicht sonderlich angetan war.

„Ich ziehe eine ganz klare Grenze zwischen Japan und den Dingen, die ich seitdem getan habe — mein Leben und meine Arbeitsweise haben sich seitdem dramatisch verändert. Außerdem taten sich ’89 so viele Bands wieder zusammen, oft aus nicht sehr noblen Beweggründen. Die Who tourten in Amerika für Millionen Dollar und Townshend sagte, ihm wäre die Musik schon längst egal. Ich wollte, daß wir uns von so etwas ganz eindeutig distanzieren.“

Ursprünglich hatte man ein rein instrumentales Album geplant, das sich an der Atmosphärik und dem improvisatorischen Ansatz von Sylvians Aufnahmen mit Czukay orientieren sollte (von manchen auch ungnädig als „New Age“ abgetan). Im Studio wurde dann jedoch so inspiriert gejammt, daß sich daraus zwangsläufig Song-Strukturen entwickelten, und so begann aus RAIN TREE CROW allmählich eine Platte mit echtem kommerziellen Potential zu werden. Das Country-gefärbte „Blackwater“ zum Beispiel, in diversen englischen Musikzeitschriften bereits zur „Single der Woche“ gekürt, könnte angesichts des Erfolgs von Chris Isaak, dessen Balladen es an Schwermut und Klasse noch übertrifft, gute Chancen in den Singles-Charts haben.

Als es dann allerdings ans Abmischen ging, stellte sich heraus, daß man ein wenig zu großzügig experimentiert hatte: das Studio-Budget war erschöpft. Rain Tree Crow klopften also bei Virgin an und baten um eine weitere Finanzspritze. Kein Problem, hieß es — wenn wir ein Japan-Album ¿

veröffentlichen können. Von Sylvian kam weiterhin ein kategorisches Nein. Kam, Barbieri und Jansen willigten dagegen ein. Sylvian. der das als offene Meuterei ansah, akzeptierte schließlich einen Kredit, um die Platte fertigzustellen. Die anderen, sagt er, waren nicht bereit, ihre zukünftigen Einnahmen zu riskieren, um sich an den Kosten zu beteiligen. Nach deren Aussage gab es jedoch nichts, was hätte riskiert werden können. Barbieri führt an: „Zustimmung schien die einzige Möglichkeil zu sein, das Projekt zu beenden. Wir haben um die weitere Beteiligung daran gekämpft, und wir haben verloren. Wir durften beim MLxing nicht mehr dabei sein — ich finde, das ist eine beschämende An, Freunde zu behandeln. Wir haben 75 Prozent zu der Platte beigetragen, und dann hat man sie uns weggenommen.“

Sylvian stellte das Album in einem billigen Studio in Irland fertig und sagt, er hätte die musikalischen Standpunkte und Wünsche seiner Kollegen so weit wie möglich berücksichtigt. „Wenn mit der Platte irgend etwas nicht in Ordnung ist, übernehme ich die volle Verantwortung. “ Er schuldet der Plattenfirma jetzt eine Menge Geld, und wenn sich RAIN TREE CROW verkauft, wird er, im Gegensatz zu Kam. Barbieri und Jansen, lange auf Tantiemen warten müssen.

Diese wiederum sind mittlerweile von ihrem langjährigen Manager Richard Chadwick gefeuert worden, der auch Sylvian betreut. „Er hat uns gesagt, wir wären Unruhestifter“, sagt Kam. „In Wirklichkeit“, so Jansen, „waren wir immer sehr vernünftig und kooperativ. Zu kooperativ, wenn du mich fragst.“

Keine sehr ermutigende Geschichte für die Leser von „Bamboo“. Wenigstens können sie sich mit der Musik trösten.