Review: Lady Gaga live in Berlin – „Was habt ihr denn gedacht? Ich liebe euch doch“


Glam, Trash und große Songs im Doppelpack: The Darkness und Lady Gaga liefern die wohl beste Popshow, die die Berliner o2 World in diesem Jahr ausrichten darf.

Es sind keine 200 Menschen in der für 17 000 Besucher ausgelegten Halle, als die Vorgruppe The Darkness beginnt. Um 19.15 Uhr, „Beginn: 19:30 Uhr“ steht auf der Karte. Der angekündigte erste von zwei Supportacts, Lady Starlight, mit der die Gaga Mitte der Nullerjahre ihre Karriere auf den Bühnen New Yorks begann, trat sogar noch früher auf, und damit leider auch vor der Anwesenheit des Reporters. Lady Starlight dürften an diesem Spätnachmittag daher noch weniger Leute gesehen haben.

Jetzt steht da also The Darkness, diese bis in die Haarspitzen aufgebretzelte Band – und knallt ihren Stadionrock in gähnende Leere. Man hat etwas Mitleid. Dann kreischt Sänger Justin Hawkins im ersten Song, „Every Inch Of You“ die unfassbare Zeile „And every man, woman and child wants to… suck my cock!“. Weder die bereits anwesenden Grundschülerinnen noch ihre Begleitpersonen werden das verstanden haben, aber allein der Gedanke daran, dass sie es gehört haben müssen, amüsiert königlich. Genau wie der Rest des Sets der wiedervereinigten Glamrocker: „Growin’ On Me“, „One Way Ticket“, „I Believe In A Thing Called Love“ – absurd eingängige Hooklines und Riffs. Die Halle füllt sich, doch das ändert nichts am Gebaren von Hawkins. Der würde vor einer Gruppe Maulwürfe genau so performen wie er es schon vor zigtausenden Fans auf den größten Bühnen seiner englischen Heimat getan hat. Wie sein Vorbild Freddie Mercury kommuniziert er bald mit der gesamten Menge, lässt diese in bizarrsten Variationen „Motherfucker“, das Schlüsselwort des Brechers „Get Your Hands Off My Woman“, mitsingen. Kurz davor animiert er zum Mitklatschen, indem er vor der Bassdrum einen Kopfstand macht und die Beine rhythmisch aneinanderschlägt. Die Entzückungsschreie, die das Ablegen seines Hemds bewirkt, kommentiert er mit: „Yeah, … Brustwarzen, …aber es sind nur zwei, kein Grund, durchzudrehen.“

Hätte es diese Band Anfang der 70er-Jahre gegeben, sie würde zu den größten ihrer Zunft zählen. Passend also ihr Platz vor dem amtierenden größten und großartigsten Popstar der Welt.

Auf einem mechanischen Pferd reitet Lady Gaga zum Opener „ Highway Unicorn (Road To Love)“ ein. Hinter ihr steht eine mehrgeschossige Ritterburg. Aus einem Burgtor ragt ein riesiger, aufblasbarer Unterleib einer Schwangeren, deren Vagina Lady Gaga als Intro zum hämmernden „Born This Way“ entsteigt.  Exakt drei Monate zuvor, auf derselben Bühne, sang Madonna diesen Song, um auf dessen Ähnlichkeiten mit ihrem „Express Yourself“ hinzuweisen. Eine armselige Geste in einer Show, die im Vergleich zu dieser hier mit „armselig“ noch milde kritisiert wird. Doch ermüdend ist die ewige Gegenüberstellung mit La Ciccone. Lady Gaga ist längst Anführerin einer ganz eigenen Liga, Identifikationsfigur für ihre „ Little Monsters“ genannte Fanschar, um die sie sich an diesem Abend ganz besonders kümmert. Zum neuen Song „Princess Die“ lädt sie einen weiblichen Fan, der ihr seit Wochen hinterher reist, zum Duett auf die Bühne. Gaga riecht der jungen Dame sogar die Achselhöhle und lobt deren Geruch. Hätte man sich das von Michael Jackson vorstellen können?

Aber wir wollten ja nicht vergleichen. Minutenlang kommentiert sie Geschenke, die zu ihr hinauffliegen. Eine Rolle Toilettenpapier erinnert sie an ihre letzte Berliner Aftershowparty, die sie im berüchtigt freizügigen Schwulenclub Lab.Oratory im Berghain verbrachte. Sie liest Fanpost vor, lässt deren – meist fantastisch kostümierte – Urheber groß auf den Leinwänden zeigen. Grassroots-Arbeit, klar, aber nicht in Ansätzen so anbiedernd und routiniert wie man es bei Kollegen ähnlichen Kalibers eklig findet. Aber Gaga bietet ja vieles, was man so noch nicht kannte: Während „Poker Face“ werfen sich ihre wenig bekleideten Tänzerinnen in überdimensionierte Fleischwölfe. Frauen würden heutzutage doch ohnehin wie Fleisch behandelt werden, sagt Gaga. Als Ersatz für die Tänzerinnen werden künstliche Schweinehälften auf die Bühne gefahren.

Dennoch: Das Drumherum bleibt Drumherum. Zentral ist die Musik. Und „Poker Face“ ist nur einer von so vielen herausragenden Popsongs, die diese Frau bislang an die Spitze der Charts der Welt setzte. Da ist das euphorische „Bad Romance“, das ungeniert im Geiste von Bon Jovi stehende „The Edge Of Glory“ und natürlich „ Scheiße“, die krachende Revuenummer, die in dieser Stadt entstand. „ Tanzt! Feiert! Es ist mir scheißegal, ob ihr morgen verkatert in die Arbeit müsst“, sagt Gaga an einer Stelle. Sie selbst habe schließlich jeden Tag ihres Lebens zu arbeiten. Später nimmt sie das zurück: „Natürlich ist es mir nicht egal, wie es euch morgen geht. Was habt ihr denn gedacht? Ich liebe euch doch.“ Berlin liebt zurück.

Setlist:

Highway Unicorn (Road To Love)
Government Hooker
Born This Way
Black Jesus † Amen Fashion
Bloody Mary
Bad Romance
Judas
Fashion Of His Love
Just Dance
LoveGame
Telephone
Heavy Metal Lover
Bad Kids
Hair
Princess Die
Yoü and I
Electric Chapel
Americano
Poker Face
Alejandro
Paparazzi
Scheiße
The Edge Of Glory
Marry The Night

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