Alles auf Anfang :: von David Benioff (übersetzt von Ursula-Maria Mössner)
David Benioff entwirft in seinen Kurzgeschichten anregende bis makabre „Was wäre wenn“-Szenarien.
Und dann streifen plötzlich Löwen durch New York. Nach zwei Geschichten, die sich zumindest mit viel Goodwill als klassische, die Realität abbildende Short Stories mit einem geradlinigen Plot begreifen lassen, kommen die Löwen. Offenbar passierte etwas Schlimmes, vielleicht eine Naturkatastrophe, die die Lebensräume der Wildtiere so stark beschnitt, dass sie sich neue suchen mussten. Ein geschickter Schachzug von David Benioff. Denn spätestens nach „Das Zwinkern des Löwen“ gestattet der Leser dem Amerikaner, seine Geschichten dort zu positionieren, wo Literatur stattzufinden hat: in einem „Was wäre wenn“-Kosmos, der ein Stück ausgeleuchteter wirkt als bei vielen Kollegen.
Benioff wählt einen Charakter aus, zoomt ihn heran, lässt ihn erzählen. Das kann ein 18-jähriger Soldat im Tschetschenien-Krieg sein (erstaunlich lapidar: „Der Teufel kommt nach Orechowo“). Das kann ein Mann sein, der im ländlichen Amerika versucht, die Liebe eines Teenage-Sommernachmittags wiederzufinden („Barfuß im Klee“). Oder einer, der im Bombenschutzbunker lebt und nicht vom Krieg gebrochen wird, sondern von einem hausgemachten Problem („Zerfall“).
Manchmal meint man zu merken, dass Benioff sein Geld vor allem als Drehbuchautor verdient. Er legt seine Kurzgeschichten gerne über einen längeren Zeitraum an, damit seine Charaktere sich entwickeln können, lässt sie Trennungen durchleben, wunderliche Wesenszüge entwickeln. Gerne spielt dabei das Schicksal eine wichtige Rolle. Etwa in „Merde bringt Glück“, der letzten Geschichte des Buches: Nicht ohne Gefühl, aber ohne jede Gefühligkeit erzählt Benioff hier von zwei Männern in New York, von ihrer HIV-Infektion und von der medizinischen Versuchsgruppe, die die beiden auseinanderreißt, weil sie – was sie als Probanden nicht wissen – die Wirkungen herkömmlicher Präparate mit der von Placebos vergleichen soll.
Das Schmunzeln, das sich bei Benioff einstellt, weil er Gemeinheiten mit einer Schadenfreude schildert, die an Roald Dahl erinnert: Es legt sich hier schnell. „Merde bringt Glück“ ist ein unvermitteltes und verstörendes Ende eines Buches, das sonst davon lebt, dass man es als reiche Bilderwelt ohne allzu offensichtliche Berührungspunkte zu Problemen der Zeit begreifen kann. (Blessing, 272 Seiten, 17,95 Euro)
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