Anton Waldt :: Auf die Zwölf

Die geniale Berghain-Kolumne als Buch – Airen hat sie gelesen

Morgens um früh im Berghain: Typ schnappt sich nichtsahnend den aktuellen Berghainflyer, blättert, lacht, kreischt hysterisch. Und allen drumrum ist klar: Der Typ hat gerade Auf die Zwölf entdeckt, die schräge Kolumne zwischen Wochenend-Programm und DJ-Interview. „Tom übergibt sich turboschnell, Tom pisst sich ein bisschen in die Hose, Tom beschließt zu rennen.“ So geht das. Seit dem Opening des Berghains 2004 schickte TokTok-Member und de:bug-Chef Anton Waldt seinen Anti-Helden Tom jeden Monat auf eine dreckige Reise an die Antipoden des Geschmacks.

Tom ist ein dauergeiler, schmerzfreier Prolet, ein politoxikomaner, bisexueller Grenzgänger, ein aufgeputschter Raver außer Kontrolle, der alle gesellschaftlich geächteten Eigenschaften auf sich vereint. Aber mit intellektuellem Vokabular, Alter! Schließlich hat Tom schon ein paar Jahre auf dem Buckel. Bereits 1998 wurde er in der Toilette des WMF geboren, für eine einjährige Kolumne im Berliner Partysan. Jetzt ist eine Auswahl dieser Kurzgeschichten erschienen: Auf die Zwölf. Story für Story zieht einen das Buch in den rasenden Strudel seiner überdrehten Tourette-Lyrik: Pissen, Poppers, Penis. Sack, Sperma, Ständer. Kotzen, Kitzler, Ketamin: Anton Waldt schafft es, fünf Reizwörter in einen Vierwortesatz zu packen.

Warum das immer wieder reinhaut? Weil Tom redet wie wir, wenn wir schon ein paar Jägermeister und Teile intus haben: „Das Loblied des Beats, der den Arsch weghaut und dich geil macht, wenn er in den Magen fährt … Scheiße! Ich liege auf Knien und bete den Subwoofer an! Ich verharre in demütigem Hüftschwung und bete den Spiegel und die Scheckkarte an!“ Überdrehter Proll-Sound ist das, Berliner Techno-Duktus, super-flüssiger Slang-Style. Eben: Dem Feiervolk aufs Maul geschaut. Ein Techno-Buch für die pervertierte Minderheit.

Strikt drogenverherrlichend, hart überzeichnet und super-pointiert. Und durchaus der Reflexion fähig: „Ich bin nun mal ein schweinischer Charakter, was soll ich sagen?“ stellt Tom in einem Kapitel fest und grabscht einer Krankenschwester an den Arsch. Nun bleibt die Frage: Funktioniert das auch als Buch? Als Partysan-Leser und Berghain-Stammgast wurde man mit dem Zeug immer schön an der kurzen Leine gehalten: Immer nur einen Text pro Monat. Aber es geht. Denn das Tom-Universum ist groß, es reicht weit über den Dancefloor hinaus.

Der Leser lernt: Drogen kann man auch an der Uni, in der U2, am Grenzübergang oder im Büroklo missbrauchen. Und Tom ist nicht allein: Captain Subtext macht Party mit Koks und Schlampen in Toms Hypothalamus, Käferkumpel sabbert fies am Schnapsmüsli und Kotzefresser-Lars von der Sonderschule nebenan hat Acid dabei. Ich muss zugeben: Beim zweiten Lesen stellt sich ein Sättigungseffekt ein. Aber wer liest ein Buch schon zwei Mal? Tom bestimmt nicht.

(Verbrecher Verlag, 128 Seiten, 13 Euro)