Aqualung – Memory Man

Er ist ein Sensibelchen mit Hang zum Melodramatischen. Genau die Sorte Weichei, die in der Schule allein deshalb Saures bekommen hat, weil das für denkwürdige Reaktionen sorgte. Weil da nicht einfach nur Wut folgte, sondern regelrechte Weltuntergangsstimmung. Und daran hat sich bei Matt Haies bis heute nichts geändert, selbst wenn er inzwischen verheiratet, mit Baby und zwei äußerst erfolgreichen Alben dasteht. Von denen distanziert er sich auf Memory Man. Wo früher Schüchternheit, Sperrigkeit und Verquertheit herrschte, dominiert nun gefühlsduseliger Pathos-Pop wie bei Coldplay, Keane und Travis. Was zwar gute Verkaufszahlen bescheren dürfte, gleichzeitig aber auch von einem Identitätsverlust zeugt. Haies inszeniert große Pop-Visionen mit Piano. Computer, Gitarre, Streichern und naivem Gesang. Wobei die elf Stücke meist ganz leise, schüchtern und verhalten anfangen, nur um sich dann immer weiter aufzubauen, in Herzschmerz und hemmungsloser Leidenschaft zu suhlen und zu monumentalen Rock-Epen („Cinderella“) und reißenden Tränenbächen („Glimmer“) zu werden. Dagegen wirkt die Chris Martin/Fran Healy-Fraktion fast unterkühlt. Denn Matt treibt es auf die Spitze-um im nächsten Moment mit „Rolls So Deep“ einen Midtempo-Rocker in bester Springsteen-Manier aufzutischen, der weder Glockenspiel noch „Glory Days“-Feeling ausspart. Das ist amerikanischer als Burger, Milchshakes und Freedom Fries und geht direkt über in die nächste Bedenklichkeit: Auf „The Lake“ und „Black Hole“ klingt er wie der kleine Bruder von Thom Yorke, der sich an Piano und Sequenzern austobt-und einen schrulligen Orchester-Ausflug à la Eels nachschiebt („Garden Of Love“). All das klingt einerseits nach vertrautem Earcandy, besitzt andererseits aber kaum eine eigene Note.

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