Billy Bragg & Wilco :: Mermaid Avenue

Linientreu

Der Geschichte wird noch zu schreiben sein, wie die westlichen Demokratien mit Verfolgung und überzogenen Repressalien einerseits und der geballten Macht systemtreuer Medien andererseits auf jede noch so zarte Regung sozialistischer oder kommunistischer Gedanken reagiert haben und reagieren. Die bis zur Mitte unseres Jahrhunderts noch mächtige US-amerikanische Arbeiterbewegung ist daran zugrundegegangen. Überlebt hat ihr größter Poet in seiner Musik: Woody Guthrie hinterließ bei seinem Tod 1967 nicht nur eine Reihe von Songs, die das musikalische Erbe der Erde bereicherten, sondern auch eine Reihe von Texten, deren Vertonung er leider mit ins Grab nehmen mußte – Woody Guthrie konnte keine Noten schreiben und infolge seiner Krankheit die letzten 20 Lebensjahre kaum noch Songs aufnehmen. Für die Neuvertonung und Aufnahme dieser Stücke hat sich nun eine Koalition zusammengefunden, von der Guthrie wohl am Sterbebett geträumt hätte, hätte er die kommende musikalische Entwicklung vorhergesehen: Der aufrechte Punk-Folkie Billy Bragg und die amerikanischen Roots-Rocker Wilco (deren Vorgängerband Uncle Tupelo schon mit dem epochalen Werk MARCH 16-20, 1992 Guthries Terrain betreten haben) setzten die Texte musikalisch um, unterstützt wurden sie überdies teilweise von der göttlichen Folk-Chanteuse Natalie Merchant. Wie zu erwarten: Die Rasselbande erweist sich dem verstorbenen Übervater als würdig: Wenn sie bei „Way Over Yonder In The Minor Key“ zu verliebten Tränen rühren, bei „Christ For President“ einen rasanten Hillbilly-Stampfer auf Parkett schmettern, bei „One By One“ in Melancholie versinken, bei „Eisler On The Go“ in Verzweiflung schwimmen, bei „Hoodoo Voodoo“ unbeschwert losrocken und bei „The Unwelcome Guest“ die Zuhörer zitternd aus der Platte entlassen.