Calexico – Feast Of Wire

Die Geschichte vom Zimmermann Mike. Eines Tages warf er sein Werkzeug hin, ließ seine Schlüssel liegen und ging los, so weit hinaus wie er konnte, vorbei an den Vororten und Siedlungen. Er schlief unter den Sternen, und den Traum, den er hatte, schrieb er auf. Er baute eine Maschine, die niemand je sehen sollte. Und flog davon, im ersten Licht des neuen Morgens.

Wenn es ein Motiv gibt, das sich durch die Songs von Joey Burns auf dem dritten Calexico-Album zieht, dann ein ganz klassisches, zeitloses: Die Sehnsucht nach Ausbruch, nach Überwindung, nach Neubeginn. „I prayed it would rain and rain, submerge the whole western slates“, singt er in „Sunken Waltz“, dem Opener von Feas Of Wire. Eine ganz eigene Melancholie scheint in der Hitze von Arizona zu blühen, wo der Regen ein so herbeigebeteter Segen ist, dass die Metapher von der kathartischen Flut eine neue Dimension erhält. Burns interessieren die Geschichten des Südwestens, der Typen, die ihre gestrandeten Hoffnungen aus dem Sand schaufeln oder es aufgegeben haben, und die Mythen des alten Landes, und er gießt diesen brütenden Vibe zwischen Resignation, trotziger Hoffnung und einem Touch des Andersweltlichen in Songs, die weit über ein folkloristisches Storytelling hinaus Kraft und Gültigkeit haben. Natürlich geht es auch darum, Geschichten zu erzählen. Szenen zu malen. Aber ob die beiden illegalen Grenzgänger, die „Across The Wire“ ihren „New Day“ suchen, oder Carpenter Mike in „Sunken Waltz“ – Burns‘ Protagonisten treibt ein Verlangen nach Erlösung, das universell ist. Und sie kommen ihrem Ort des Übertritts näher, mithin im Scheitern. Auch das ausgebrannte „Black Heart“ darf auf eine „Last Chance“ hoffen „to make it through the divide“, und sogar noch die Fahrt über die Klippen in „Not Even Stevie Nicks…“ taucht „into the blue , ins Ungewisse. “ Numbers come out of the woodwork, curious to see the rebirth“, haucht es spukigverweht in „Woven Birds“.

Wunderbar geht das Hand in Hand mit dem impressionistischen, breitbandigen und zur rechten Zeit – breitwandigen Sound von Calexico. „Border music“ nennen Burns und John Convertino das, sich an den grünen Grenzen der Musik herumtreiben, hier einen Abstecher machen, da einen Einfluss reinlassen. Crossover möchte man nicht sagen, dafür ist die detailverliebte Reichhaltigkeit, die sich da zwischen schier post-rockigen Klanggebäuden und Eimer-Bernstein-Westernsoundtrack, schneidigem Ranchero-Song und dunklem Rumpeln, Jazz noir und strahlender Mariachi-Grandezza entfaltet, viel zu organisch.

Feast Of Wire ist Calexicos facettenreichstes Album bislang und – um diesem schönen Wort mal wieder Recht zu verschaffen – definitiv eine Kopfhörerplatte. Der um Multiinstrumentalist Burns und den traumwandlerisch genialen Drummer und Percussionisten John Convertino verdichtete engere Calexico-Kern Jacob Valenzuela (Trompete), Paul Niehaus (Pedal Steel), Nick Luca (Synth, Piano, Vibraphon), Martin Wenk (Trompete, Akkordeon) und Volker Zander (Bass, Violine) und seine Legion von Gästen flirtet mit Westcoast-Pop („Not Even Stevie Nicks…“), steigt mit den Schicksals-Streichern von „Black Heart“ in fiebrige Tiefen hinab, um sich in „Across The Wire“ zwischen Tränendrüsentrompeten und sonnengeküsstem Texmex zu aalen. Durch „The Book And The Canal“ (über die Hälfte der Tracks sind Instrumentals) stakst ein verlorenes Piano, „Attack El Robot! Attack!“ schlängelt sich orientalisch um eine schlagseitige Gitarre, die aus einer Tom-Waits-Platte gepurzelt zu sein scheint; „Dub Latina“ bringt Latin und – tja – Dub zusammen, „Crumble“ ist eine stilsichere Mingus-Adaption. Am Ende, träge verschleppt, „No Doze“, the sound of Halbschlaf, atmosphärisches Funkeln draußen in der Wüstennacht. Ein letzter Zeitlupenwirbel von Convertino, ein vergessenes Verstärkersummen. Träumt was Schönes. www.casadecalexico.com