Can – 25 Re-Releases
Anläßlich eines siebenstündigen Can-Happenings 1969 in Zürich spöttelte die lokale Presse:“Can sitzen auf hölzernen Stühlen und spielen elektrische Instrumente. Es wäre allerdings besser, sie würden auf dem elektrischen Stuhl sitzen und hölzerne Instrumente spielen.“ Ob dieser geschmacklosen Einschätzung eines Rezensenten, der offenbar überhaupt nichts verstanden hat, wäre wohl jeder anderen Band das Lachen vergangenen. Nicht so Can. Jenes Zitat findet sich seither in den Presseunterlagen der Band. Ein Zeichen für die Ironiefähigkeit und das Selbstbewußtsein des Kollektivs. Selbstbewußt wie Can waren, gab es auch musikalisch nur eine Richtung für das Quartett: nach vorne. Allenfalls in den Anfangstagen, etwa auf MONSTER MOVIE, den fünf Auftragsarbeiten für SOUNDTRACKS und den erst wesentlich später editierten Frühwerken und Kompilationen UNLIMITED EDITION, DELAY 1968 und CANNIBAUSM I verspürt man noch einen sanften Hauch Velvet Underground. Mit dem kompromißlosen Klassiker TAGO MACO, der 1970 zwischen abstrakten Tagträumen („Aumgn“) und klaustrophobischen Alpträumen („Mushroom“) zum musikalischen Abenteuerspielplatz mutierte, tönten Can treffend und hypnotisch als Speerspitze der Neuen Deutschen Avantgarde. Die Transformation nach Shangri-La, ins Land der ewigen Jugend, vollzog sich mit ECE BAMYASI. Seit seinem Release 1972 hat der siebenteilige Songzyklus nichts an Spontanität, Originalität und Farbe verloren. Doch erst für den symphonisch geratenen Nachfolger FUTUREDAYS vergaben selbst die verwöhnten britischen Kritiker Höchstnoten. Dieser fünfte Longplayer mit seinen langen Improvisationen („Spray“, „Bei Air“) war das letzte Can-Album im alten Stil und auch der Schwanengesang für Damo Suzuki. Mit dem ’74 er Album SOON OVER BABALUMA veränderte sich allmählich die Ausrichtung: Wesentlich song- und rhythmusorientierte präsentierte sich das Quartett abwechselnd mit Irmin Schmidt oder Michael Karoli am Mikro. Zwei lange Stücke („Chain Reaction“, „Quantum Physics“) und das jazzige „Splash“ wagen noch einmal den Blick zurück. Doch speziell der Reggae „Dizzy Dizzy“ bricht mit purem, stakkatohaften Disco-Beat auf zu neuen Ufern. Das noch wesentlich tanzbarere LANDED bleibt trotz einigermaßen ansprechender Songs etwas hinter den Erwartungen zurück. Konsequent am Mainstream operiert FLOW MOTION, das nicht nur durch das superkurze Gastspiel von Vokalist Michael Cousins zum Kuriosum gerät, sondern auch wegen des Euro-Disco-Dröhners „I Want More“-dem einzigen Charthit Cans in Großbritannien. Die mit Rosko Gee und Reebop Kwaku Baah eingespielten, sehr am World Music-Idiom klebenden Alben SAW DELIGHT und CAN sind weitere Beweise für die ungebrochenen visonäre Kraft der Band. Konsequenterweise bleibt das mit Abstand schlechteste Gruppenepos OUT OF REACH 1978 erschienen, aus dem hier vorgestellten Veröffentlichungsskatalog ausgeschlossen. Nicht so RITE TIME, das ‚8ger Reunionalbum. Es liegt qualitativ etwa auf gleicher Wellenlänge wie das allererste, jedoch erst 1981 veröffentlichte Can-Meisterwek DELAY 1968. Die Sampler CANNI-BALISM II und III fassen mit allerlei raren Obskuritäten die späten Gruppen- und Solo-Jahre zusammen. Als Einstieg in die wundersame Welt von Can empfehlen sich zwei Doppel-CDs: ANTHOLOGY kompiliert 25 Jahre Bandhistorie. Und das ’97er Remixalbum SACRILEGE mit Can-Apologeten wie Sonic Youth,The Orb, Air Liquide oder Brian Eno klingt witzigerweise keine Spur frischer als die Originale.
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