Coldplay

Ghost Stories

Parlophone/Warner

Kuschelrock mit Experimenten: Coldplays sechstes Album oszilliert zwischen Perlen und Sondermüll. Konstant ist nur Chris Martins Wehmut.

Es gibt eine Stelle auf GHOST STORIES, die besonders gut verdeutlicht, was dieses Album ist und was es hätte sein können: Wenn sich am Ende von „Oceans“ gefühlte Ewigkeiten lang Meeresgeräusche und Ambientflächen vermengen. Wenn im Hintergrund die Kirchenglocken läuten, als hätte Jon Hopkins soeben jegliche vorhersehbare Belanglosigkeit aus Coldplays Käseballaden zu Grabe getragen.

Doch dann: ein Knall, Hopkins ist weg, das Meer und die Glocken sind weg, vor uns steht Avicii, reißt seine hands up in the air und lässt eine beliebige Pianofigur um einen Kirmes-Beat bolzen. „A Sky Full Of Stars“ ist der traurige Höhepunkt eines traurigen Albums, das sich nicht entscheidet zwischen Experiment und Bierzelt, zwischen Raumschiff und Autoscooter.

Dabei deutet zumindest das Thema von GHOST STORIES in eine klare Richtung: Wie jeder, der in letzter Zeit beim Arzt oder Friseur war, weiß, ist Chris Martin wieder solo und sehnt sich seine Gwyneth zurück. Die Texte könnten eindeutiger nicht sein: Martin singt von „shining stars“ und „magic moments“ und fleht verzweifelt „Tell me you love me. If you don’t, then lie“. Kitsch und Pathos sind bei Coldplay seit jeher der Klebstoff zwischen den Zeilen und ein Dylan war Chris Martin noch nie. Bei all der Gefühlsduselei kommt man aber leicht zur Annahme, GHOST STORIES sei mehr ein Solo-Album Martins, doch: Coldplay trauern zu viert und sind, was den Sound angeht, mehr Band als auf mindestens zwei Alben davor.

Die großen Momente verstecken sich dabei in Details: In „True Love“ singt Chris Martin Sätze wie „I’ve lost you now“ über Streicherwände und das Lick von „Every Breath You Take“. Was auf dem Papier cheesy klingt, ist es auch – bis eine arg verstimmte Gitarre zum Solo ansetzt und auf liebenswerte Weise völlig fehl am Platz wirkt. Ganz wie Martin selbst, wenn er in „Another’s Arms“ allein vorm Fernseher sitzt und vor sich hin liebeskummert. Das ist schön, und kein Ah, Oh oder Düpdüpdüp kann das kaputt machen.

Zentrum des Geschehens ist aber nach wie vor das Vernon-meets-Eno-Kleinod „Midnight“. Martins Stimme klingt zurückgenommen und manipuliert zwischen Lichtorgeltupfern und Weltall-Romantik so viel besser als im Auge jedes Synthiestreichersturms. „Midnight“ bleibt eine Ausnahme, Songs, die nicht so magic sind („Magic“), gibt es zur Genüge. Der antriebslose Opener „Always In My Head“ kommt genau wie der Gitarrenpop von „Ink“ in die überquellende Schublade langweiliger Coldplay-Songs.

Dennoch: Die Band traut sich hier was, und wer hätte das nach MYLO XYLOTO gedacht. Und dass man nach Trennungsplatten musikalisch wie privat zu Höchstform auflaufen kann, hat Kanye West zur Genüge bewiesen. Wünschen wir Chris Martin also alles Gute. Und eine Kardashian-Schwester obendrauf.