Der kalifornische Alptraum: Dennis Wilson – Pacific Ocean Blue

Die Geschichte von Dennis Wilson ist nicht ohne die Geschichte der Beach Boys zu erzählen. Brian, der älteste Wilson-Bruder, war das Vorzeige-Genie der Band: der introvertierte Depressive, der pet Sounds und „Smile“ schrieb und zuvor den kalifornischen Surf-Sound erfunden hatte. Dennis war vorerst nur der Typ am Schlagzeug, der lieber am Strand lag, als mit seinen Brüdern im Studio rumzufrickeln. Trotzdem – oder gerade deshalb – war Dennis Wilson enorm wichtig für das Image der Band: Er war der einzige der Beach Boys, der surfen konnte.

Ober sich selbst schrieb der charismatische Sunnyboy in den Sleeve Notes zum Beach-Boys-Album „All Summer Long“: „They say I live a fast life, maybe I just like a fast life. I wouldn ‚t give it up for anything in the world. It won’t last forever, either. But the memories will.“ Und was für Erinnerungen das gewesen sein mussten: Dennis Wilson war für seine Koksaffären bekannt, fuhr Autorennen, wurde bei Sex-Eskapaden in Meditationszimmern erwischt, nahm Drogen mit Charles Manson und hatte nichts dagegen, von einem Studiodrummer ersetzt zu werden; Dennis Wilson lebte einen kalifornischen Traum, und sein Bruder Brian baute mit seinen Kompositionen das Fenster, durch das Dennis‘ Leben sichtbar wurde.

Als Brian Wilson sich mehr und mehr in seinen kindlichen Kokon zurückzog, trat Dennis zunehmend in den Vordergrund: Auf den späten Band-Platten, die außer sunflower eher schwach ausfielen, war häufig ein Song von Dennis der einzige Höhepunkt. Mit „Forever“, das als sein „God Only Knows“ angesehen werden kann, hat er einen der schönsten Beach-Boys-Songs überhaupt geschrieben. Wie auch Brian benutzte Dennis das Studio als Instrument, legte komplexe Sounds und Gesangsharmonien übereinander, ging aber viel extrovertierter vor und lud allerhand Helfer ein.

Mitte der 70er-Jahre war auch Dennis Wilson körperlich am Ende und vom Sexsymbol zum aufgequollenen Alkoholiker mutiert; die Beach Boys warfen ihn wiederholt aus der Band. Während der Arbeiten am Album Holland wurde Dennis‘ Stimme immer schlechter, auf Konzerten brach er zusammen. Zugleich waren dies allerdings seine kreativsten Jahre. Er schrieb die Songs „Love Surrounds Me“ und „Baby Blue Eyes“, die er für ein Soloalbum verwenden wollte, aber mangels Inspiration seinen Kollegen für die Band stiftete. 1977 erschien schließlich sein Solodebüt pacific ocean blue: eine tief emotionale und episch orchestrierte Songsammlung, ein Meisterwerk. Anders als seine Stammband in jener Zeit, schürft Dennis Wilson auf pacific ocean blue in den tiefsten Gründen seiner Gefühle und durchwandert tiefschwarze Stimmungen. Die warmen Arrangements der Beach Boys sind zwar da, Chöre, Orgeln, Oboen und Mandolinen, aber alles gerät viel ausschweifender – mal mit Ausflügen in Steely-Danhaften Soul oder wie in „River Song“ mit einem ganzen Gospelchor. Typisch auch die Stimmungswechsel innerhalb eines Songs: „Time“ beginnt als Pianoballade, driftet in Jazz ab und schraubt sich schließlich zu einem Rock-Drama hoch. Darin flüstert er sein fatales Credo „I’m the kind of guy who loves fo mess around“. Häufig meint man, Dennis Wilson würde jeden Moment kollabieren, etwa wenn er sich wie in „Farewell My Friend“ mit einer Stimme so rau wie Sand von seinem besten Freund verabschiedet, der in seinen Armen gestorben war.

Die Aufnahmen zum bisher unveröffentlichten Nachfolge-Album „Bambu“ waren von Anfang an von Dennis Wilsons schlechtem körperlichem Zustand und manisch-depressiven Stimmungsschwankungen geprägt. Zwischen Klinikeinweisungen und anderen Unpässlichkeiten entstanden in Zusammenarbeit mit Beach-Boys-Keyboarder Carli Munoz jedoch immer wieder geniale Stücke. Auf „Bambu“ wollte Dennis keine stilistischen Grenzen, es gibt Funk-Percussions wie in „Constant Companion“, Steelgitarren und Flügelhörner. Aber den Kern der Bambu-Sessions bilden wie auch auf pacific ocean blue die für Dennis Wilson charakteristischen traurigen Klavierballaden wie „It’s Not Too Late“ mit einer Gesangseinlage von Bruder Carl Wilson im Refrain.

Immer wieder klingen die Lieder fröhlich an und breiten im weiteren Verlauf ihre melancholischen Untertöne aus, was vor allem an Dennis‘ kaputtem Gesang und am schweren Klavierspiel – meist im unteren Register – liegt. Im Selbsterkenntnis-Song „I’m A Bum“, einer beschwingten Party am Schifferklavier, thematisiert er seinen Verfall selbst, bevor ihn schließlich ein Todesengel-Chor mit „It’s allright „-Gesängen besänftigt. Wenig später führten Dennis Wilsons Kokainbedingte Aussetzer und seine Heirat mit der minderjährigen Tochter seines Bandkollegen Mike Love zu seinem endgültigen Rausschmiss bei den Beach Boys; das Projekt „Bambu“ wurde auf Eis gelegt. 1983 tauchte Dennis Wilson auf ein paar Beach-Boys-Konzerten auf: Er war kaum wiederzuerkennen, körperlich weiter verfallen und mit heiserer Stimme. Eine Filmaufnahme aus dieser Zeit zeigt ihn, wie er mit völlig kaputter Stimme „You Are So Beautiful“ singt – Wilson laufen die Tränen über das Gesicht. Einige Monate später ist er tot. Ironischerweise starb der einzige Beach Boy, der surfen kann, bei einem Tauchunfall unter Drogeneinfluss im Hafenbecken von Marina Del Rey.

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