Der Kneipenmann

Man soll es ja nicht übertreiben mit den ethnologischen I Stereotypen. Wissen wir doch, dass es überall auf der Welt solche und solche gibt. Bisweilen aberauchganzande-I re, und das vor allem in Finnland. Dort tanzt man nicht nurTango, erfreut sich an Schwarzgebranntem und verbringt einen Gutteil des Daseins damit, in der Sauna zu transpirieren; man frönt auch einer nationalen Eigenart namens“.Dreierbierbar“. Das sind Kneipen, in denen Bier der Kategorie 3 mit maximal 4,5 Prozent Alkohol ausgeschenkt wird; stärkerer Stoff ist nur in Restaurants und staatlichen Spirituosenläden erhältlich. Dreierbierbars sind ein eigener Kosmos, den Menschen gehobener Einkommensklassen traditionell meiden. Hier sitzen Rentner. Arbeitslose, finanzschwache Bauern. Waldarbeiter, Seemänner und Jugendliche, die eines eint: Durst auf Bier. M.A. Numminen, finnischer Musiker, Filmemacher und Entertainer, erforschte diese Orte sozialer Geborgenheit, er bereiste 350 Bierbars im ganzen Finnenland und verfuhr dabei 20.000 Kilometer. Was er dabei erlebte, mutet, gelesen, zunächst unspektakulär an, doch spätestens nach der 60. Besäufnisanstalt ist man drin in einer Szene, die schon mit bizarren Kneipennamen wie „Jungrentierbulle“, „GastEcke‘ oder „Schraubenmutter-Bar“ irritiert. Drinnen läuft die Jukebox, es wird politisiert, polemisiert, philosophiert; Numminen hält sich wunderbar zurück und lässt vieles von dem, was da geredet wird, unkommentiert stehen. Das ist an Lakonie kaum zu übertreffen. Die meisten Bierbars darf man auch auf Schwarzweißfotos bewundern, die aussehen, als wären sie kurz nach dem Krieg geschossen worden. Darauf sieht man dann reizarme Zweckbauten mit erschütternden Gardinen und Blumenkübeln, davor ein abgestellter Bagger oder rostiger Kleinwagen. Doch drinnen tobt das Leben. Meistens, nicht immer. Manchmal sitzt da nur ein Opa mit Wollmütze, der Selbstgespräche führt. Oder ein einsamer Gast im wortkargen Dialog mit der Wirtin. Er: „Bist also am Fensterputzen.“ Sie: „Mussja auch mal sein.“