Die Bücher

„Meine Woche schlägt euer Jahr“, protzen jene, die glauben, alles erlebt zu haben: sex & drugs & rock’n’roll & das ganze andere Zeug, oh unheilige Dreifaltigkeit oh heilige Einfalt. Hören wir lieber jenen zu, die tatsächlich etwas zu sagen haben. Vorhang auf also für drei Ikonen der populären Musik: Johnny Cash, „Man in black“ und „Voice of America“, Lou Reed, „Rock’n’Roll Animal“ und Rinnstein-Poet aus Brooklyn, und Sir Paul McCartney, das „Einmal Beatle, immer Beatle in Ewigkeit, amen!“-Songwriter-Genie. Alter vor Schönheit: Der große Johnny Cash erzählt in seiner Autobiographie (Palmyra, 49,80 Mark) die Geschichte seiner sieben Leben (mindestens!), der Journalist Patrick Carr hat sie aufgezeichnet und behutsam in Form gebracht. Herausgekommen ist ein Buch, das man nicht mehr aus der Hand legen mag, ein Buch zum Lachen und zum Weinen, ehrlich, kraftvoll, lakonisch. weise. „Wie ein klassischer Cash-Song“, verheißt der Klappentext und hat recht. Da blickt einer auf verlorene Lieben und verlorene Träume. Drogen und Krankheit, Geschäft („Ihr sucht den neuen Randy Travis? Was stimmt nicht mit dem, den ihr habt?“) und Freunde und auf das, was ihm am wichtigsten ist: seine Musik, seine Familie, seinen Glauben. Bar jeder Larmoyanz, mit trockenem Humor: Die Asche des verstorbenen Faron Young soll verstreut werden, doch ein Windstoß kommt und weht Farons sterbliche Überreste Richtung Trauergäste: „Da standen sie und hatten Faron in ihren Gesichtern, Faron auf ihren Mänteln, Faron auf ihren Schuhen. Faron in ihren Haaren. Als ich später nach Hause kam und in mein Auto stieg, entdeckte ich, daß ich Faron auch auf meiner Windschutzscheibe hatte. Ich schaltete die Scheibenwischer ein. Da ging er nun hin, vor und zurück, bis er verschwunden war.“ No kiddin‘: Johnny hat Faron Young geliebt. Und er liebt das Leben. Memones are made of thts. 4 Sterne

Vom „Man in black“ zu einem, der einen Song „I Wanna Be Black“ genannt hat und ein Album „Growing Up In Public“. Letzteres gab auch den Originaltitel her für die Lou-Reed-Biographie des englischen Journalisten Peter Doggett GROWING UP IN PUBLIC (vgs, 44 Mark), die jetzt auf deutsch vorliegt. Ein nicht gerade unproblematisches Werk: Der Autor gibt den treuen, auch kritischen Chronisten, der Reeds Karriere von den frühen Tagen bei Pickwick Records über die bahnbrechenden Arbeiten mit Velvet Underground bis hin zum wechselhaften Soloschaffen nachzeichnet. Doch nur 13 (!) von 300 Seiten sind explizit Kindheit und Jugend des Künstlers vorbehalten, für einen derart komplexen Charakter geradezu fahrlässig wenig. Lieber käut Doggett sattsam Bekanntes wieder statt es zu hinterfragen, kolportiert auch mal Falsches (Lou unpolitisch?), bemüht Klischees von sex & drugs und analysiert Platten (dies freilich diskutabel bis trefflich). Kurz: Das Buch lebt allzu oft von Secondhand-Infos und kratzt die Oberfläche nur so weit an, daß es nicht wehtut. Schade. 3 Sterne

Was nun für MANY YEARS FROM NOW (Rowohlt. 49,80 Mark) garantiert nicht gilt. Barry Miles‘ Paul-McCartney- oder Beatles-Bio ist bereits „a couple of months from now“ erschienen, doch der Qualität wegen sei die Aktualität mal außer Kraft gesetzt. Miles‘ Trick: Er bringt Paul zum Reden, und alsbald fügen sich all die kleinen Episoden zu der einen großen Geschichte zusammen, die am 6. Juli 1957 in Woolton begann und am 8. Dezember 1980 mit den tödlichen Schüssen auf John Lennon vor dem Dakota Building endete. Die Zeit „when friends were friends and company was right“ (courtesy by Van Morrison), Risse, Zerwürfnisse, Rechtsstreit, Split: Nichts wird verklärt, wenig beschönigt, die Magie wirkt. Immer noch. Immer wieder. Unsere Legenden wollen wir uns erhalten, weil sie wahr geworden sind..,And the walrus was Paul?“ Nein. 4 Sterne

Ein klares Ja dagegen muß der Frage folgen, ob man möglicherweise David Sedaris zum Kreis der Walrösser Lennon’scher Provenienz zählen darf. Der Amerikaner griechischer Abstammung schreibt so. wie der verblichene Beatle dereinst dichtete – selten mit normalem Humor (wenn es den denn überhaupt geben sollte), dafür um so öfter ironisch melancholisch und oft genug auch zynisch Als Ich-Erzähler berichtet Sedaris in NACKT (Haffmans, 39 Mark) vom Leben in und mit einer völlig verrückten Familie. Das Ergebnis ist trotz eines wahrhaft monströsen Szenarios an vielen Stellen zum Brüllen komisch. Bisweilen aber drängt David, zu dessen frühen Obsessionen unter anderem das Lutschen von Lichtschaltern gehört,den Leser auch an den Rand der Depression. Immer wieder nämlich bezieht Sedaris seine Komik aus dem Chaos der ihn umgebenden, weidwunden Wirklichkeit. 5 Sterne

Im Sortiment des Londoner Ladens von Popschneider Tommy Hilfiger an der Bond Street THE ROLLING STONES – A LIFE ON THE ROAD (Virgin. 30 £). Über 500 Fotografien aus den Privatarchiven von Keef und Kumpanen, viele Bilder vormals unveröffentlicht, lassen über drei Dekaden des Lebens „on the road“ Revue passieren, in all seinen Facetten. Zudem enthält das opulente Buch (288 Seiten) jede Menge O-Töne von allen Bandmitgliedern einschließlich Bill Wyman. Als Autoren zeichnen Dora Loewenstein, Tochter von Stones-Business-Manager Prince Rupert Loewenstein, sowie der Musiker und TV-Präsentator Jools Holland. In Deutschland wird ihr Druckwerk für 98 Mark vom Verlag Schirmer und Mosel angeboten. 5 Sterne