Die Bücher
Hagen Trinker ist Richard Ashcroft: Wie der Ex-Verve-Frontmann im Video zu „Bitter Sweet Symphony“ durch die Straßen stolpert, rennt auch Helmut Kraussers Figur wie ein Rasiermesser umher, jeden verletzend, der ihm zu nahe kommt.
SCHWEINE UND ELEFANTEN (Rowohlt, 22 Mark) ist die Neufassung des nie erschienenen ersten Teils der Hagen-Trinker-Trilogie, deren Folgewerke-„Könige über dem Ozean“ und „Fette Welt“ – zurecht wahre Kritikerelogen ernteten. Ob bei den verkrachten Existenzen am Parkrandkiosk oder beim gefühlsfreien Sex mit der kapriziösen Valerie: Trinker, der 8oer-Jahre-Post-Punk-Poet, ist „a rebel without a cause“, ein Unbehauster, der nur einmal mit sich im Einklang scheint: da nämlich, als er mit seiner Band „Genie & Handwerk“ das Konzert seines Lebens gibt. In Immenstadt. Das Ende: Die Gruppe zieht nach Berlin, Valerie liegt in der Klinik, ihre Villa brennt, Hagen verschwindet mit seiner angebeteten Silke in der Nacht. Rumtreiber müssen sich rumtreiben. Und Leser müssen lesen, alles von Helmut Krausser zum Beispiel, auch wenn „Schweine und Elefanten“ seltsam stilisiert wirkt. Vielleicht liegt das ja auch am Remix. 4 Sterne
Die Älteren werden sich vielleicht noch erinnern: Wolfgang Welt, Buddy-Holly-Fan und Heinz-Rudolf-Kunze-Hasser, war einst auch für das Musikmagazin Ihres Vertrauens tätig. 1997 brachte er so eine Art Ruhrgebietsroman heraus, der sich „etwa 800mal verkaufte“ und nun wiederveröffentlicht wurde. PEGGY SUE (Heyne, 12.90 Mark) ist die autobiographische Geschichte einer“Ruhrpott-Jugend in den achtziger Jahren“ (Klappentext), was merkwürdig ist, weil Herr Welt 1980 auch schon stolze 28 Jahre alt war. Sei’s drum. Was viel mehr stört, ist die Tatsache,daß hiereiner,der brillant zu schreiben in der Lage Ist. sein Talent allzu oft an prollig-pubertäre Protzereien vergeudet. Ansonsten geht der gerade mal 126 Seiten lange Roman (?) in Ordnung, auch wenn er von den Artikeln/Essays, die den zweiten Teil des Buches ausmachen, locker getoppt wird. Mit „Herbert Grönemeyer lebt nicht mehr hier“, einer Meditation über den Verlust von Heimat durch den Verfall gewachsener Strukturen, ist Welt ein sensationelles Stück Journalismus gelungen. Greg Kinn würde dazu sagen: „They don’t write like that anymore.“ 4 Sterne
Diesen Spruch könnte man mit Fug und Recht auch auf Jewel anwenden, die auf ihrem Debütalbum „Pieces Of You“ und dem unlängst veröffentlichten „Spirit“ die folkfeenhafte Wiedergängerin Joni Mitchells gab. Dazwischen brachte Miss Kilcher aus Alaska den Gedichtband „A Night Without Armor“ heraus, der unter dem einigermaßen sinnfreien Titel ZU VIELE NÄCHTE (Goldmann, 12 Mark) nun auch auf deutsch erschienen ist und einen zwiespältigen Eindruck hinterläßt: Manches liest sich, als wär’s dem Poesiealbum einer Zwölfjährigen entnommen, anderes wie aus den Zettelkästen Bob Dylans. Jim Morrisons oder Leonard Cohens hervorgekramt dann wieder entstehen aus einigen wie beiläufig hingeworfenen Sätzen Momente schierer Schönheit. „I wrote you those nice poems only because the honest ones would frighten you“, heißt es in „P.S.“ P.S.: Die „ehrlichen“ würden wir lieber lesen, Jewel. 3 Sterne
Vermutlich hätte Miss Kilcher gerne in jener Zeit gelebt, die Michael G. Symolka wieder lebendig werden zu lassen versucht. Sein HIPPIE-LEXIKON (Imprint, 29,80 Mark) mag ein charmantes, streckenweise amüsant zu lesendes Kompendium von A wie Acid bis Z wie Zappa sein. Nur ist es leider auch allzu oft schlampig recherchiert: Onkel Frank war kein Hippie, Syd Barretts Instrument die Gitarre, Jefferson Starship kein „Ableger“ von Jefferson Airplane, Monterey das bessere Festival (und Woodstock bloß ein Mythos), von Mad River, der Inkarnation einer Psychedelic-Band, ist gar nicht die Rede – dafür werden Little Feat (?), Deep Purple (??) und Three Dog Night (???) gelistet – und die ewigen „Anm. d. Verf.“ (wessen denn sonst?) nerven. Alles in allem: ärgerlich, aber authentisch. Denn: Wer sich an die 60er erinnern kann, war nicht dabei. Darum 3 Sterne und Peace.
Ike Turner war lange Zeit der böse Bube der amerikanischen Nation, während seine Ex-Lebens-und-Bühnen-Partnerin Tina als starke Frau gefeiert wurde. Die Story von Tina ist allgemein bekannt: 18 Jahre gab sie brav die Frontfrau von Ike & Tina Turner, obwohl Ike sie permanent betrog und gewohnheitsmäßig verprügelte Jetzt will Ike Turner (68) seinen guten Ruf zurückerobern. Zu diesem Zweck hat er Nigel Cawthorne, einem Autor, der schon ein Buch über die Bettgeschichten der amerikanischen Präsidenten geschrieben hat, seine Autobiographie diktiert. TAKIN‘ BACK MY NAME – THE CONFESSIONS OF IKE TURNER (Virgin, £ 16.99) ist ein Buch, das einen üblen Nachgeschmack hinterläßt. Turner füllt Seite um Seite mit Stories über seinen Geschäftssinn und seine Taten als Frauenheld. Schon früh lernte er, sich zu erschwindeln und zu erpressen, was er legal nicht bekam. Sogar seiner Schwester luchste er täglich das Lunch-Geld ab und findet das noch heute lustig. Auch über Tina steht da und dort ein Sätzchen (die blöde Kuh will partout nicht mehr mit ihm auf lukrative Welttournee!). Widerlich. 1 Stern
Wer den Blick in die Abgründe menschlicher Existenz nicht scheut – bitte sehr: hier kommt der ultimative Kick für die Gourmets unter den Lesern des gepflegten Grauens. Mit HANNIBAL (bisher nur im amerikanischen Original übers Internet erhältlich, ab dem kommenden Frühjahr aber auch in deutscher Sprache auf dem Markt) setzt Autor Thomas Harris „Das Schweigen der Lämmer“ fort. Aber was heißt hier schon Fortsetzung? Was in vielen Fällen ein bloßer Abklatsch des Originals ist, gerät Thomas Harris zum Meisterwerk. Zartbesaitete Leser allerdings sollten das Buch lieber nicht aufschlagen. Immerhin bezeichnet selbst Horrorspezialist Stephen King „Hannibal“ „neben dem ‚Exorzisten‘ von William Peter Blatty“ als einen „der zwei schreckenerregendsten Populärromane unserer Zeit“. Kein Wunder, denn schließlich handelt es sich bei seiner Hauptfigur um Dr. Hannibal Lecter, jenen Psychiater und Serienmörder, dem perfekte Umgangsformen ebenso eigen sind wie perfide Eßgewohnheiten. Hannibal the Cannibal mag Menschen – und zwar am liebsten auf altem englischen Tafelsilber. 6 Sterne
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