Die Goldenen Zitronen – Economy Class
Das ist keine Unterhaltungmusik. Und Pogo funktioniert hier sowieso schon lange nicht mehr. Parolen fallen auch kaum noch ab. Ja, gibt es den Zitronengenuß jetzt nur noch mit Hochschulreife? Ist die Hamburger Anarcho-tnstitution – vorgestern noch in vorderster Reihe für Hafenstraßen-Aktivisten solidarisch musizierend, jetzt am Vorlesetisch eines hippen Slam-Poetry-Events platzgenommen – überhaupt noch Punk? Wer soll das entscheiden? Auf jeden Fall: Die Goldenen Zitronen sind gefährlicher denn je, schärfer, scharfsichtiger. Hier wird geschossen: ‚Hände hoch, Papa!‘ Die zweieinhalb Millionen multimedialen Soloaktivitäten des idealistischen Persönlichkeiten-Kollektivs haben eben doch nicht zur Auflösung der Kapelle geführt. Statt dessen prasseln die aus den Fleißaufgaben gewonnenen Eindrücke auf das ungeschützte Bandwerk ein. ECONOMY CLASS verdingt sich weniger als Nachfolgewerk zur radikalen 94er-Zustandsbeschreibung DAS BISSCHEN TOT-SCHLAG als vielmehr zu Schorsch Kameruns erstem Soloalbum WARUM ÄNDERN SCHLIEF. So wird experimentelle Elektronik in der Tradition von Der Plan zum festen Handwerkszeug der ehemaligen Funpunks. Der österreichische Neuzugang Hans Platzgumer (ehemals Kopf der jetzt aufgelösten H.P. Zinker) trägt prächtig zur allgemeinen Beunruhigung bei, das FSK-Bläserensemble wagt mit das große Abenteuer Avantgarde. Der Vorwurf, Die Goldenen Zitronen würden heute die Musik praktizieren, gegen die sie einst vehement ansangen, ist schlichtweg falsch: Diese Kapelle hat sie als Geisel genommen. Oder hat jemand den Eindruck, daß sich Easy Listening – nur ein Beispiel – in dieser Umarmung tatsächlich wohlfühlt? Die Goldenen Zitronen sind der Wackelkontakt im Mikrokabel des gemeinen Deutschrocks – egal, ob Hamburger Schule oder nicht. Und als solche absolut unverzichtbar.
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