DIE SINGLES
Huhu, liebe Leserschaft, hier ist wieder der Singleskasten! Aber anders. Weil er dieses Mal ganz im Zeichen des 19. Juli 1999 steht. Und bevor jetzt irgendwer rumnölt „wieso’n das?“ – erinnern wir doch noch mal kurz und gepflegt an den 19. Juli. Weil es kein Tag war, wie jeder andere. Weil es der Tag von Oliver Bennitt war Und bis in alle Ewigkeit bleiben wird. So wie Oliver Bennitt hoffentlich bis in alle Ewigkeit Radiomoderator bleiben wird. In eben jener Funktion war der sympathische junge Mann nämlich am Morgen des 19. Juli beim Hamburger Privatradio „Mix 95.0“ tätig. Und wie. Denn Oliver Bennitt ist ein Revolutionär, um nicht zu sagen: Freidenker! Und als Freidenker wollte Bennitt mal eben auf den Mißstand des Einheitsbrei-Dudelfunk-Radios aufmerksam machen und den Fuzzis vom Formatradio zeigen, wo der Bartel den Most holt. Und das hat er dann auch gemacht, der Oliver-mit minimalen Mitteln. Genauer gesagt: mit zwei CDs. „Dancing Queen“ von ABBA und „No Milk Today“ von Herman’s Hermits. Immer schön abwechselnd. Und satte vier Stunden lang, bis es alle Menschen da draußen im Radioland mitbeten konnten. Und bis die Verantwortlichen des Senders ihm den Saft abdrehten. Denn selbstverständlich hatte sich Oliver Bennitt vorsichtshalber im Studio verbarrikadiert. So ein innovatives, ausgefeiltes DJ-Set braucht schließlich Ruhe.“See that girl/watch the scene/dig in the Dancing Queen“. Si claro. Klar dürfte ja nun übrigens auch sein, daß durch den Singleskasten ab sofort der Geist des „Kommados Oliver Bennitt“ weht… hey: war’n Scherz. Ganz so arg wird’s wohl nicht (naja – Anm. d. Red).
Da ist nämlich erstmal Brian Molko, die Vorsitzende von Placebo. Im Grunde auch ein Mann, ja doch. Aber eben einer, der gerne in Strumpfhosen – nein, keine blickdichten Modelle – rumgockelt und mit dem zarten Köpfchen schon mal in einen Eimer Kajal abtaucht. Doch zurück zum Thema: Strumpfhosen. Man muß kein Visionär sein, um klipp und klar zu konstatieren: Eben jene Strumpfhosen sind etwas klamm im Schritt. Weil im Leben des Brian ein Traum wahr geworden ist: sich einmal, ein einziges Mal nur mit David Bowie, seinem großen Idol zu duettieren. Und so trug es sich zu: Sowie hält sich bei „Without You I’m Nothing“ (Virgin) – bekannt und beliebt vom gleichnamigen Placebo-Album vornehm zurück, gibt lässig den alten Hasen des Glam und läßt den jungen Hüpfer Brian vorneweg die Micky Maus machen. Pomp, Pathos, eine gepflegte Portion Larmoyanz. Blutend‘ Herz, was willst du mehr? 6 Sterne
Möglicherweise einen „Karl-May-Filmbildband“. Der Autor dieser Zeilen gesteht frank und frei: er besitzt derer zwei, „Winnetou 1“ und den sehr traurigen „Winnetou 3“. Er erstand sie neulich auf einem Trödelmarkt. Demselben Trödelmarkt übrigens, auf dem er mit seiner Freundin, dem Blauen Klaus und Angela einen eigenen Stand hatte, um sich ein kleines Zubrot zu verdienen. Die Sache mit dem „Zubrot verdienen“ hat geklappt, die Filmbildbände sind toll, und manchmal paßt im Leben einfach alles zusammen. Sogar Filmbildbände mit Musik. Denn „Tropiq“ (Versatile/Groove Attack), eine wunderbare Maxi von I:Cube trabt ein bißchen so daher wie Martin Böttcher, der große Karl-May-f ilmkomponist – aber eben auf elektrisch. Und „Adore“ ist der Track, zu dem Winnetou und Old Shatterhand heute durch irgendwelche Schluchten reiten würden. Egal. „Tropiq“ respektive „Adore“, das sind edle Ambient-Schleifen für edle Menschen. Ganz gleich, ob Bleichgesicht, Rothaut oder Milchgesicht. 5 Sterne
Ob Martin Gretschmann, im Hauptberuf bei unseren Lieblings-Weilheimern The Notwist, auch einen mentalen Kniefall vordem großen Apachen-Häuptling macht, ist nicht bekannt. Kein Geheimnis ist aber, daß sich der Mann hin und wieder als Contolt verkleidet und als solcher auch längst vergangenen Dekaden frönt. Sein „14 zero zero“ (Community/Virgin) pusht knuffige Elektronica, die in der Zeit von 1979 bis 1989 parkt und läßt einen beschwingt auf dem Kanapee hüpfen. Selbstverständlich mit Bontempi-Tasteninstrument, Eierharfe, Mundorgel und allerlei anderen Sachen, die innerhalb von Schaltkreisen schöne Geräusche machen. 5 Sterne
Und nun: Cerys Matthews (an der hast Du einen Narren gefressen, was? – Anm. d. Red). Nichts Lolli, und schon gar nicht süß. Ne, dafür ist die Waliserin, die CatatonU mit ihrer Stimme vollveredelt, einfach viel zu viel Frau auf einmal. (Albert, alter Womanizer du weißt, was ich meine, logo) Aber: auf alle Fälle eine interessante Person, diese Cerys. Wenn’s gewünscht wird, trinkt sie sämtliche verfügbaren Männer unter den Tisch, zu Hause sammelt sie Gartenzwerge und bei Bedarf hat sie jede Menge unschlagbare Refrains auf Lager. „Make hay not war“ hieß der aus „Dead From The Waist On“; auf der Follow up-Single „Londinium“ (WEA) beglückt uns Cerys nun mit „London never sleeps, it just sucks/ the life out of me and the money from my pocket“. Ein Song, zu dem auch jeder Zyniker vorbehaltlos sagen kann: ja. 5 Sterne
Schwer affirmativ sind wir natürlich auch weiterhin bei Mercury Rev „Deserter’s Songs“, ihre Blaupause für zeitgemäßen Eskapismus, hat mittlerweile ein Jahr auf dem Buckel -was aber nichts daran ändert, daß „Goddess On A Hiway“ (V2/Zomba) eine wunderbare Hymne ist. Und wer wissen will, wie Mercury Rev zu Beginn der 90er geklungen haben, dem sei die Single ohnehin ans Herz gelegt: zusätzlich gibt’s eine Live-Version von „Carwash Hair , einem Song vom Album „Yerself Is Steam“. 5 Sterne
Wer Jon Spencer sagt, denkt nicht selten an Christina Martinez. Logo, die Hormone sind schließlich an allem schuld. Und was die beiden 1995 zusammen als Boss Hog am Start hatten, war auch musikalisch ein Brett. Was uns mit ein paar völlig aus dem Zusammenhang gerissenen Schlenkern sofort zu Jon Spencers Schwester führt. Die heißt vorne „Muffin“, ihre Band nennt sich Bnsiy, und Brassys „I Can’t Wait“ (Beggars Banquet/Pias/ Connected) verkürzt einem mit lockeren HipHop-Beats, funky Scratches und flirrenden Loops die Wartezeit an der roten Ampel. Fahrradfahrer allerdings drehen sich um, orten keinerlei Menschen der Sorte Wachtmeister und fahren bei Rot drüber. 3 Sterne
Wetten, daß jetzt noch was aus der Kölner Elektronik-Schmiede Nummer 1 kommt? Wette gewonnen. Letzter Teilnehmer des ausklingenden Sommers 1999 ist Benjamin Wild, zu dessen „Kronberg“ (Kompakt/Neuton) – dem ersten Track auf der Flipside – man beschwingt in den Sandaletten wippen kann. Oder man schnippt freudig mit den Fingern, genießt die hübsch-hoppelnden House-Beats und staunt darüber, daß sogar noch so’n bißchen Trommel-Workshop mit drauf ist. 4 Sterne
Und nun, noch einmal feste und alle zusammen: Lang lebe Oliver Bennitt! Darauf einen Caipirinha. Oder einen mehr.
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