Die Singles

10.000 Mark von Heiner Lauterbach, dem herzkranken Altmacho. Noch mal dieselbe Summe von Dieter Thomas Heck, dem grundsympathiscben Dampfplauderer vom Zett-De-Eff. Und dann hat noch Michael Holm, dieser Schlagersänger, 5000 Mark focker gemacht. Und das alles nur, damit Helmut Kohl, der größte Oggersheimer aller Zeiten, weiterhin seine postsenile Folklore veranstalten kann. Drah di net um, der Mann mit dem virtuellen Spendenkoffer geht um. Das ist schlimm, das ist fies und das ist vor allem so mordsmäßig enttäuschend. Von wegen „Tränen lügen nicht“. Pustekuchen! Tun sie doch. Allerdings nicht immer. Früher, in der schlimmen Zeit, als das Gros der Leserschaft und auch der Autor dieser Zeilen noch Quark im Kühlschrank waren, da regierte die Ehrlichkeit. Ausnahmslos, und auch und gerade in der Schlagerbranche. „Im Sommer scheint Sonne, im Winter, da schneit’s in der Schweiz, in der Schweiz, in der Schweiz“. Vico Torriani anno 1955 im Song „In der Schweiz“. Seinerzeit ein echter Brecher und Platz 2 in den deutschen Charts. Der selige Vico war übrigens tatsächlich Schweizer, und manchmal reicht schon die bloße Nationalität, um sehr elegant ins Hier und Jetzt überzuleiten. Stefan Altenburger ist nämlich auch Schweizer, hat sich als Musiker den hübschen Namen Klettermax verpasst und sein Track „Lotte“ (Formic) loopt wie der Teufel, knackst, klackert und atmet mindestens so befreit durch wie der gewöhnliche homo sapiens sapiens (wir sind ja schon eine Stufe weiter, gelle, Albert?!! nach einer Anstaltspackung Ricola. 4 Bevor’s aber hier zum Klischeealarm kommt, kommt gleich noch ein elektrifiziertes Qualitätsprodukt. Raioof bringt mit „Montego Bay“ (Formic) seine aktuelle Vision von housiger Musik in die Vinylrille: In der Original-Version gibt’s luftige Fill-Ins, die aus Reggae gestrickt sind. Der Knaller aber ist auf der Flipside (Flipside: Das Wort hob’ich fast schon wieder vergessen, danke dafür -Anm. d. Red.) der schön flächige, perkussiv gewirkte Remix von SALZ. Macht Lust auf Tanzen. 5 Und wo wir gerade so schön dolle Lust drauf haben, shuffeln wir uns rüber zu Moloko. Die hatten ja Ende letzten Jahres schon mit „Sing It Back“ gezeigt, wie man den Mirrorballsehr stylish zum Glitzern bringt – und auch mit der neuen Single „The Time Is Now“ (Roadrunner) stellen sie wieder eine schwer suggestive Frage: Discokugel, willst du dich ewig drehen? Roisin Murphy singt mit viel Sexyness auf den Stimmbändern, dazu gibt’s Streicher, Handclaps und einen geschmeidigen Groove. Macht summa summarum: Sehr modernes Saturday Night Fever, anwendbar auch an allen anderen Wochentagen. Und wenn John Travolta nicht so dick geworden wäre, könnte er sich dazu glatt noch mal in seinen weißen Glamanzug von 1977 schmeißen. 5 John Travolta. 1977 und „schmeißen“-das ist zweifellos eine Kombination.auf die keine ‚ noch so konstruierte Überleitung passt. Schon gar nicht die zu der Band, die sich nach dem ersten Hund im Weltraum benannt hat. Der russische Köter ist längst tot, Lalka indes sind quietschfidel – und auch auf „Uneasy“ (Zomba), der ersten Single von ihrem hörbar gelungenen Album „Good Looking Blues“

grandios unterwegs.

Margaret Fiedler phrasiert ebenso großartig wie leicht unterkühlt, und insgesamt ist die Seven Inch mit ihren anschwellenden Sphärensounds (na Albert, Assoziationskette parat? Ja? Du Cleverle, du!) irgendwo zwischen hochgepitchen TripHop-Beats, Jazz-Schnipseln, Geplinker, Geplucker und gutem Geschmack zu verhandeln. 5 Auffallend ist in diesem Zusammenhang übrigens, dass die zweite Hälfte der Alliterationen im letzten Satz ohne weiteres auch auf das zutreffen, was Air im Moment so machen. J. B. Dunckel und Nicolas Godin, diese beiden sympathischen Schnarchnasen, umschiffen clever die bösen Worte „Erwartungshaltung“ und „Erfolgsdruck“ und haben sich als Soundtrackkomponisten für Sofia Coppalas Regiedebüt „The Virgin Suicides“ verdingt. Mit dem Ergebnis, dass ihr „Playground Love“ (Virgin) „bloß die Atmosphäre und Emotionen transportieren soll, die durch Bilder und Dialoge ja schon vorgegeben sind“. Soviel Bescheidenheit ist selten in der Branche wahr ist hingegen: „Playground Love“ ist vordergründig Auftragsarbeit, ansonsten aber ganz viel Air. Watteweiche Lounge-Sounds, ein fauler Nachmittag in der Hollywoodschaukel eben, zu dem dezent ein Saxofon tutet. Und im hochgradig ästhetischen Clip zum Song kommen sich zwei Kaugummis so nahe wie noch nie zwei Kaugummis zuvor. 5 Von völlig enthemmter Kaugummiliebe geht’s jetzt in Richtung melodiebetonter Gitarrenpop. Die Gebrüder McNamara, die sich zweifellos besser benehmen als so manches Brüderpaar im UK, singen und spielen mit ihrer Band Embrace „You’re Not Alone“ (Virgin)-und das klingt weniger nach Sixties-Pop und muffelt schon gar nicht nach Beatles, sondern duftet mit einem smoothen Bläsersatz herrlich nach Motown. Eine echte Hymne, keine Frage. 4 Und nun, wie versprochen, die Botschaft im Refrain von Superformy: „Webeltevethat pop will savethe world“

(wollen wir das glauben, Albert?!!!- das fand ich echt fein…). Aber sicher, na klar doch. Nötig war’s ja schon. Irgendwo, irgendwie, irgendwann.

Martin Weber