Die Sinlges

Schön oder nicht schön? – das sind Kategorien, die gar nicht so schwer zu unterscheiden sind. Nicht schön ist es zum Beispiet, wenn beim heiligabendlich gestimmten Einkauf in einer hübschen mallorquinischen Bäckerei „I Love Rock ’n‘ Roll“ aus den Boxen gammelt. Was selbstverständlich nicht an der mallorquinischen Bäckerei liegt – die war okay, hatte zuweilen hochkalorische Produkte im Angebot und duftete gar verlockend. Aber der Song von Joan Jett & The Blackhearts, der ist natürlich Grütze. Egal wo, und nicht nur zur Weihnachtszeit. Uneingeschränkt schön ist dagegen eine Autofahrt durch die mallorquinische Bergwelt. Besser, man nimmt da jede Kurve, wie sie nun mal ist und kurbelt sich Schwielen am Lenkrad – sonst war’s eventuell das letzte Mal. Garantiert noch öfter kommen dagegen an dieser Stelle Tipps für die binaurale Freizeitgestaltung. Nicht nur jetzt, sondern auch in Zukunft.

Kommen wir aber trotzdem zurück zur Gegenwart und legen gleich los. Mit dem Fraundaskrals und dessen neuer Single „Tabula Rasa Pt. 2“ (Four Music/Epic/Sony Music), die zweifellos eine echte Kaufempfehlung ist für Leute, die den Leistungskurs Esoterik erfolgreich hinter sich haben und sich jetzt weiterbilden wollen. Der anscheinend in diesem Kontext unvermeidliche Mr. Gentleman alias Tillmann Otto ist mit von der Partie, und beim ethnomäßig voll korrekten „Kokrobitey Mix“ mit viel Respekt für alles mögliche (die singen totsächlich was von „everlasting respect“, Albert -das macht mich ganz fertig) gibt’s geschmeidige Vocals von Joy Denalane. Weltverbesserungsgebimmel, handwerklich Eins A gemacht – und gerade deshalb so fies authentisch. Könnte man ohne weiteres auch mal beim nächsten Evangelischen Kirchentag ins Musikprogramm mit einbauen. Wer legt denn fest, dass zeitgemäßer Sakropop nicht auch mal reggaefiziert beziehungsweise multilingualer HipHop sein kann? Um Gottes Willen 1 Bevor noch einer vom Glauben abfällt, biegen wir lieber fix ab zu einem Track, bei dem der liebe Herrgott garantiert Pause hat. „War Pigs“ (Creation/Epic/Sony Music) von Bobby Gillespies Mnul Scrawn ist im Remix von den Chemical Brothers ein düster-groovender Stomper, der jeden Tanzboden hemmungslos rockt. Elektrifizierter Schweinerock, kann man auch dazu sagen. Und wer sich das Ganze audiovisuell gibt, rennt sowieso gleich los und bittet seine Mutter „Mama, bind mir Blumen an die Brille, ich muss in den Krieg“: Im Clip zum Song machen leicht bekleidete Frauen in Lack und Leder die ganze Kompanie verrückt, bis es auch den letzten Soldaten aus den Knobelbechern haut. Klarer Sieg für Primal Scream.4 Wo wir gerade bei leichtbekleideten Frauen sind: Boh Hog haben auch eine neue Single. Und bei Boss Hog denken 99,5 Prozent aller musikinteressierten Männer mit eigener Kaffeemaschine sofort an Cristina Martinez, die zum einen die wesentliche weibliche Hälfte der Band und zum anderen die Herzdame von Jon Spencer ist, dem männlichen Vorsitzenden. Auf dem Cover von „Whiteout“ (City Slang/Virgin) trägt Christina übrigens ein süßes Nichts von einem Bikini (alter Hut, Martin, hatten wir weiter vorne schon mal-Anm.d. Red. ;, u nd der catchy Song zum knappen Zweiteiler aus Leopardenfellimitat hat eine quäkende Kirmesorgel und ist für Boss Hog ungewöhnlich poppig. Allerdings nicht ganz so sexy wie Frau Martinez. 5 Und nun zu etwas komplett anderem: Deos. AXE, ein 08/15-Schweißgeruchshemmer, macht’s möglich. Die Reklame zum Deodorant mit modernem Rattenfänger-Motiv -Frauen laufen wie blöd einem Typen hinterher, der seine Achseln mit dem „vitalen Image dynamischer Duftstoffe“ (so doof und nicht anders steht’s im Promozettel, Albert) benetzt hat – ist mit „Bentley’s Gonna Sort You Out“ (Parlophone/Skint/EMI Electrola) unterlegt. Und so kommt’s, dass die trippige Freidenker-Elektronik von Bwrtlay Rhythm Aca nach 1996 und 1997 nun zum dritten Mal veröffentlicht wird. Was trotzdem unmittelbar zu einer wohlriechenden Wertung füh5 Uneingeschränkt empfehlenswert ist auch das, was uns Rasuf, in und um Köln bekannter und bald auch berühmter DJ, mit seiner ersten Maxi auf die Ohren gibt. „I Just Wanna Thank God“ (Nesta Recordings/Formic) ist fluffiger, sphärischer House, gespickt mit schönen Vocal-Schnipseln – und kontinuierlich so groovy, dass man stets an eine Zeile von den seligen Spliff denkt: „Schüttel. was du hast, denn du bist kein Brett“. Wer weiß, aus welchem Spliff-Song diese goldene Bedienungsanleitung stammt und außerdem noch auf Lager hat, welcher leider verblichene Reggae-Musiker mit zweitem Vornamen „Nesta“ hieß, kann übrigens die neue Freundeskreis-Single gewinnen (da ist ja dann wohl der Rechtsweg ziemlich ausgeschlossen. Martin – Anm. d. Red.) Eben solche werden ja an dieser Stelle gerne mal verlost – und liebgewordene Traditionen soll man ja pflegen, nicht brechen.5 Watscheln wir noch ein wenig weiter auf der elektrischen Spielwiese und kriegen dort mit. wie jovial, hilfsbereit und überhaupt dufte die Rheinländer an und für sich sein können. Was unmittelbar damit zu tun hat, dass die Berliner Luft zwar unheimlich aufbruchstimmungshaltig ist. musikalisch aber da so jut wie nüscht jebacken is. Doch obacht: Sxdu funkt ist Hauptstadtbürger, die Menschen aus Kölns szenenasigem Elektro-Schuppen Kompakt lassen mit ihm erstmals einen Berliner auf ihr Label – und Funkes „Campus“ (Kompakt/Neuton) rechtfertigt das Vertrauen: Sparsam und hin und wieder quäkend schiebt sich ein trockener Rhythmus von Rille zu Rille. Keinerlei Firlefanz, und irgendwo verhandelbar zwischen House mit Handbremse und dezentem Minimal-Techno-Geschabe.4 So, bevor der Autor dieser Zeilen wieder an die frische Luft geht und auf den hiesigen Waldlehrpfad schlurft, schnell noch mal „Kölner Label pusht ortsfremde Künstler“. tUHpp» Cattl wohnt im französischen Le Havre, macht dort für gewöhnlich Musik für Theater- und Ballett-Produktionen -und auf der 12-lnch „Caddie’s Day“ (Traum Schallplatten/Kompakt/Neuton) und der Flipside „Western“ ist er irgendwo zwischen Trance und Ambient unterwegs: mal nervös zischelnd, mal intensiv blubbernd, immer hypnotisch. 4 Und nun, endgültig: auf zum Waldlehrpfad!