Dirty Pretty Things – Waterloo To Anywhere

Da ist es wieder – dieses Gefühl der Empathie, der Zugehörigkeit zur Indie-Rock-Boheme, das die beiden Libertines-Alben so perfekt vermittelt haben. Dieses Gefühl der schäbigen Eleganz, des ewigen Draußenseins aus der Welt der anderen, die nie irgendwas kapieren werden, die romantische Illusion, mit Mitte 20 schon „alles“ hinter sich zu haben. Elf kleine Punk-Pop-Songs in der „Libertines-Tradition“. Mit Gitarren, die so fahrig und ausgefranst sind wie die rastlosen Songs, die sie tragen sollen, großartige Pop-Melodien, wie sie zur Zeit nur in England gemacht werden können, ein (unfreiwilliges?) „Whiskey In The Jar“-Plagiat („Doctors And Dealers“), herrlich dahingeschlonzte Gitarrensoli.

Korrekturmodus ein: Da haben wir Carl Barât wohl vorauseilend ein bißchen Unrecht getan, als wir Ende vergangenen Jahres in der allgemeinen Babyshambles-Euphovie klar zu erkennen glaubten. wer denn da rein songschreiberisch die Hosen angehabt hat bei den Libertines. Lassen wir die Katze gleich aus dem Sack: Waterloo To Anywhere ist der legitime Nachfolger der beiden Libertines-Alben Up The Bracket und The Libertines. Aber ganz so abwegig war der Gedanke ja auch wieder nicht, daß Barât unter Umständen ziemlich großen Schiß vor dem direkten Vergleich mit Pete Doherty gehabt haben könnte. Er zog sich im Doherty-Jahr 2005 weitgehend zurück. Ein für vergangenen Herbst angekündigtes „Soloalbum“ (wahrscheinlich dieses hier) ist nie erschienen, weil diesem das Babyshambles-Album Down In Albion in die Quere gekommen wäre. Vor allem medientechnisch. Weil ein Drogenfresser eben immer für eine Sensationsmeldung gut ist, im Gegensatz zu einem, der keine Drogen nimmt, oder zumindest keine, deren Namen mit C und H beginnen.

Das sind also die Dirty Pretty Things, die sich hoffentlich nach dem Stephen-Frears-Film benannt haben und nicht nach dereinst legendären 60er-Jahre-Band Pretty Things, die heute noch über die Schützenfeste tingelt. Die Dirty Pretty Things wurden aus der Not geboren. Aus den Trümmern der Libertines haben sie sich aufgerafft, ihre Wunden geleckt und den Staub abgeklopft: Schlagzeuger Gary Powell, Doherty-Tour-Ersatz-Gitarrist Anthony Rossomando und Bassist Didz Hammond (Ex-The Cooper Temple Clause), der eine entscheidende Rolle in Teil 1 der Libertines-Seifenoper gespielt hat: Hammond war es, der kurzfristig eingesprungen ist, als Doherty im Jahr 2003 bei den Festivals „Rock am Ring“ und „Rock im Park“ krankheitsbedingt, aber unentschuldigt fehlte.

„Beobachtungen über den Zustand Englands, will Barât in den Songs von waterloo to anywhere abgeben, dabei verraten allein Titel wie „Blood Thirsty Bastards“, „Doctors &. Dealers“ und „The Enemy“, daß Barät sich auch Gedanken über seinen eigenen Zustand macht und damit auch ein stück weit Vergangenheitsbewältigung betreibt. „Bang Bang You’re Dead“, ein Song (nicht nur) über das Ende der Libertines („I knew all along but I was loathe to believe, there was nothing but spite, fury and lies in the words that you read“), ist der Erste unter Gleichen, und einer, der uns für den Rest der Saison bis in den Schlaf hinein verfolgen wird. Dieser Libertines-Revival-Band ist mit Waterloo To Anywhere ganz großes Power-Punk-Kino gelungen, es beginnt mit drei Hits, schwächelt nur ein einziges Mal (beim orientierungslosen, hardrockenden Blödsinn „If You Love A Woman“) und fällt nach hinten hinaus nicht ab. Wer einen verdammten Ohrwurm wie „Wondering“ bis fast zum Schluß einer Platte aufhebt, hat mit Sicherheit kein Selbstbewußtseins-Problem. Laßt uns gleich nach Albion segeln und trotzdem nicht vergessen: Es ist einfach nur Rock’n’Roll. www.dirtyprettythingsband.com