Diverse :: Africa – 50 Years Of Music

Discograph/Alive

Mit Chancen, ins Weltkulturerbe des Pop aufgenommen zu werden: Diese 18-CD-Box (mit 185 Beiträgen aus 39 Ländern) ist eine bestechend scharfe Panorama-Aufnahme afrikanischer Musik aus den vergangenen 50 Jahren.

Jede Woche eine neue Afrobeat-Platte – Highlife, Soukous, Benga, Mbaqanga und Ethio-Jazz sind der gut informierten Pop-Gemeinde keine Fremdwörter mehr. Und das nicht erst seit den afrobeatinformierten Songs von Vampire Weekend und den Foals. Im Internet streamen uns rare Aufnahmen genialer malischer Regionalorchester von der „Biennale Of Arts & Culture 1970“ entgegen, bevor sie von Mississippi Records als Vinyl neu aufgelegt werden. Special-Interest-Labels wie Analog Africa und Soundway, Sterns, Sublime Frequencies und Honest Jon’s scannen den 30-Millionen-Quadratkilometer-Kontinent Afrika nach den Schätzen von gestern und dem Weltkulturerbe von morgen ab. Nie sind so viele Re-Issues aus den diversen Regionen des afrikanischen Kontinents erschienen wie in den vergangenen paar Jahren – Regionen, deren Dialekte und Traditionen einer verzweigten Geschichte entstammen, die genauso von ihren Wurzeln als auch von der kulturellen Assimilation und später vom Crossover künden.

Mitglieder des von Staatsseite finanzierten Orchestre National A aus Mali hatten in den 1960ern einen Schwur auf ihr Land zu leisten, diesem durch ihr Genie zu dienen – zum Schutz und zur Wiederbewertung der Musik-Kunst. Ein ähnliches Anliegen darf man dem 18-CD-Projekt AFRICA – 50 YEARS OF MUSIC unterstellen. Es ist eine bestechend scharfe Panorama-Aufnahme der Musik eines kompletten Kontinents geworden, die von den letzten Tagen der Folklore bis in die Gegenwart reicht. Das selbstbewusste Projekt wurde von einem Manne mit reichlich Geschichte zusammengestellt: Ibrahim Sylla zählt zu den einflussreichsten Produzenten seines Kontinents, er brachte vor allem westafrikanische Musik einem weltweiten Publikum nahe. Seine Auswahl ist auf die Boomphasen in den verschiedenen Strängen afrikanischer Musik fokussiert, deren Geburt wir hier als Reflex auf die Entkolonialisierung erklärt bekommen. Die Unabhängigkeit machte Appetit auf Musik. Die Musik begleitete die Stationen der Unabhängigkeit (von Libyen 1951 bis Eritrea 1993). Die Zusammenstellung dokumentiert die Soundwerdung dieser Entfesselung, flankiert vom Expertenwissen französischer Autoren im 75-seitigen Booklet.

Die Superstars, die ihre Abdrücke auch auf der Landkarte des Pop hinterließen, fehlen natürlich nicht. Fela Kutis panafrikanisch angelegte und transatlantisch rückversicherte Funk-Revolution aus dem Herzen Nigerias (hier vertreten mit der Zwölfeinhalbminutenpredigt „Shakara“ von 1972), Ali Farka Tourés Mali-Blues, Mulatu Astatkes vibrafonisierter Ethio-Beat, der Jazzmeister Masakela aus Südafrika und Miriam Makeba, die Stimme der Anti-Apartheid, sind prominent vertreten. Kaum bekannte Sixties-Aufnahmen von Künstlern aus Algerien, Gambia und Gabun bilden das Gegenstück dazu: Geschichten, die vom Lokalstolz erzählen und die Welt gar nicht brauchen. Wer den Klang dieses „anderen Afrika“ sucht, wünscht sich Salah Ragabs Space-Jazz aus Kairo auf die Zusammenstellung.

Auf je drei CDs werden Nord-, Ost-, Süd-, West- und Zentralafrika thematisiert, weitere drei CDs sind den portugiesischsprachigen Regionen gewidmet („Lusophone Africa“). Die früheste Aufnahme reicht über das Spektrum des halben Jahrhunderts und die Ära der Entkolonialisierung deutlich hinaus, sie stammt von der ägyptischen Nationaldiva Oum Kalsoum (1944). 60 Jahre später nimmt Youssou N’Dour sein Orchester-Album EGYPT auf, in Erinnerung an Oum Kalsoum, als Tribut an die senegalesische Sufi-Gemeinde. Der Zeitsprung in der Widmung bleibt im Soundsprung festgeschrieben. Die späten 60er-Jahre markierten eine Art Wasserscheide, die meisten vor dieser Zeit entstandenen Aufnahmen entbehren das Moment der afroamerikanischen Rückkoppelung, jene Periode, als vor allem junge Musiker aus westafrikanischen Regionen sich mit dem Rock und Funk aus Übersee von den Sounds und Stilen ihrer Vorfahren zu befreien versuchten. Den Zuschnitt auf angloamerikanische Produktions- und Arrangement-Techniken kann man erst deutlich in den 80er-Jahre-Veröffentlichungen entdecken, in den Hits von Mory Kanté („Yeke Yeke“), Baaba Maal, Youssou N’Dour und Angelique Kidjo. Da pappte die Etikette „World Music“ zur Vergewisserung, dass wir ja doch alle von dieser einen Welt kommen, längst auf den meisten Produktionen.

In einem im Booklet abgedruckten Interview sagt Manu Dibango, dass er mit dem Begriff „afrikanische Musik“ gar nicht glücklich ist. Allein in seiner Heimat Kamerun gibt es 80 ethnische Gruppen und 200 Dialekte. Aber wenn es etwas gäbe, das für ganz Afrika gilt, dann, dass die Menschen ihre Traditionen entdeckten. Und dass Ansätze zu einer Integration all dieser Stile und Traditionen existieren, die bis in die Keller-Studios Londoner Dancefloor-Hipsters reichen, sollte man hinzufügen (dokumentiert im finalen Beitrag der dritten Südafrika-CD, „The Warm Heart Of Africa“ von The Very Best). Die Welt in Afrika ist zusammengerückt. Wir kennen heute zwar, Damon Albarn sei Dank, die Exportgeschichte der andalusischen Chaabi-Musik, die bis in die Clubs von Algier reichte und mit Aufnahmen von Abdel Hadi Halo wieder belebt wurde, und den Rumba-Rock aus dem Kongo der fünfziger Jahre. Aber was ist mit der portugiesischsprachigen Popmusik Angolas, Sao Tomés und Principes? Finden wir hier.

Die Box ist mit ihren 18 CDs nicht nur die bislang größte Stoffsammlung zu den unterschiedlichen Identitätsfindungen auf einem kulturell lange kalt gestellten Kontinent. AFRICA – 50 YEARS OF MUSIC vermag die Entwicklungsgeschichten der diversen Stile und ihre Verwandtschaften hörbar zu machen. Wer sich das nachtschlafraubende Vergnügen dieser 18 CDs gönnt, wird King Kuti auf der Stelle Recht geben; diese Musik ist die Waffe der Zukunft.

www.discograph.com